Dynamisch und aggressiv kommt er daher, und ein kleines bisschen böse. Das darf so sein, und das soll auch so sein, denn der neue, rund 330 PS starke Opel Astra TCR tritt ab dieser Saison an, um sich erfolgreich in der Touring Car Racer Series (TCR) zu etablieren. Die TCR steht für packenden, ausgeglichenen Kundenmotorsport mit seriennahen, aber dennoch spektakulären Tourenwagen. Und der neue Astra K ist als Basis für solch einen Kundensport-Tourenwagen wie geschaffen.
Ein gefundenes Fressen also für einen Vollblut-Techniker wie Dietmar Metrich. Der 49-Jährige hat schon zahlreiche Rallye- und Rennwagen für Opel auf die Pisten gebracht und daher gewissermaßen einen Masterplan für die Entwicklung eines Motorsport-Geräts in petto. Dieser Masterplan beginnt immer mit einem technischen Reglement als Grundlage, einem weißen Blatt Papier – und jeder Menge Kopfarbeit.
WAS STECKT IM REGLEMENT?
„Während ich das Reglement studiere, entsteht in meinem Kopf quasi schon ein erster Entwurf des späteren Rennwagens“, erklärt Metrich. „Ich überlege, in welchen Bereichen die Regeln Spielräume für individuelle Lösungen lassen und was man tun könnte, um diese Spielräume maximal, aber natürlich hundertprozentig legal auszunutzen. Dabei habe ich immer das Gesamtkonzept im Kopf. Und natürlich auch das zur Verfügung stehende Entwicklungsbudget und den Zielpreis des Rennautos.“
↑ Saisonvorbereitung: Hier spult det Astra TCR viele Testkilometer ab
Der Preis eines Fahrzeugs ist in der TCR gedeckelt, um die Konkurrenzfähigkeit eines technischen Pakets nicht von den monetären Möglichkeiten des Herstellers und der Einsatzteams abhängig zu machen. 95.000 Euro plus Mehrwertsteuer kostet der Astra TCR in rennfertiger Ausstattung. Inklusive aller Features wie einem sequenziellen Renngetriebe mit Wippenschaltung oder einem FT3-Benzin-Sicherheitstank, die bei anderen Herstellern auf der Aufpreisliste stehen.
Europäisches Paket an Komponenten
1. Der spezifisch für den Astra TCR gerechnete Sicherheitskäfig kommt von den deutschen Spezialisten aus dem Hause Wiechers.
2. Den Antriebsstrang inklusive sequenziellem Sechsgang-Getriebe steuert die französische Rennsport-Schmiede Sadev bei.
3. Die Bremsanlage mit 378-Millimeter-Bremsscheiben und Sechskolben-Bremssätteln vorne sowie 265-Millimeter-Bremsscheiben und Zweikolben-Sätteln hinten bei vom Cockpit aus verstellbarer Bremsbalance stammt vom britischen Hersteller AP.
Zurück zu Dietmar Metrich und dessen technischer Kopfarbeit. Besonderes Augenmerk widmet der gebürtige Trierer der Vorderachse, deren Anlenkpunkte vom Reglement freigestellt sind. „Die Vorderachse ist bei einem so leistungsstarken Fronttriebler eine ganz entscheidende Komponente, weil sie den größten Teil der Längs- und Querkräfte aufnehmen und übertragen muss“, erklärt Metrich. „Als erstes definiere ich Anlenkpunkte, Geometrie und Verstellmöglichkeiten der Radaufhängung. Daraus und aus der festgeschriebenen Fahrzeughöhe ergeben sich dann auch die Ein- und Ausfederwege.“ Dargestellt wird das Konzept zunächst in aller Regel am Computer, parallel entstehen aber oft auch schon die ersten Schweißteile. Der erste Prototyp wie auch die späteren Einsatzautos werden auf Rohkarosse aufgebaut. In sie hinein kommen jede Menge Hightec-Komponenten.
„Die Koordination der verschiedenen Zulieferer und deren Zeitplänen ist mitunter knifflig. Aber mit Hilfe von guten, langjährigen Beziehungen zu verlässlichen Partnern klappt das alles in den allermeisten Fällen sehr gut“, betont Dietmar Metrich. Zu diesen verlässlichen Partnern zählen nicht zuletzt natürlich auch die verschiedenen Fachabteilungen wie die Design- oder Aerodynamik-Spezialisten der Adam Opel AG, die in verschiedenen Bereichen wertvolle Beiträge zum späteren Rennfahrzeug leisten.
KOMPONENTEN AUF DEM PRÜFSTAND
Der Aufbau des ersten Testträgers verläuft dann etappenweise. Jede Komponente muss ihre Funktionalität und Performance immer wieder unter Beweis stellen – zum Beispiel auf dem Prüfstand. Wenn im praktischen Test nicht alles so passt, wie in der Theorie erdacht, wird zunächst alles am Fahrzeug analysiert. Auf Basis dieser Ergebnisse erfolgt dann die weitere Entwicklung.
Bei den meisten Komponenten können Dietmar Metrich und die Mannschaft von Opel-Motorsport-Entwicklungspartner Kissling Motorsport aus Bad Münstereifel auf Bewährtes zurückgreifen. Etwa das bereits erwähnte Getriebe oder die Bremsanlage. Oder den 2-Liter-Vierzylinder-Turbomotor mit zwei obenliegenden Nockenwellen, 16 Ventilen und Multipoint-Einspritzung, der seine sportlichen Gene im Langstreckensport bereits bewiesen hat und im TCR-Trimm mit 330 PS bei einem maximalen Drehmoment von rund 420 Newtonmetern mit dem leer nur 1200 Kilogramm schweren Astra TCR leichtes Spiel hat.
Aerodynamische Effizienz bezeichnet die Gegenüberstellung von Anpressdruck (Abtrieb) und Luftwiderstand. Vom einen möchte man so viel und vom anderen so wenig wie möglich haben, um eine perfekte Kombination aus hohen Geschwindigkeiten in den Kurven und auf den Geraden realisieren zu können.
Gegenüber dem Serienpendant ist der Astra TCR auf die vom Reglement erlaubten 1950 mm verbreitert. Modifiziert sind auch Stoßfänger, Kotflügel und Seitenteile. Für den entscheidenden Abtrieb sorgen in erster Linie jedoch Frontsplitter und Heckflügel. Beide Elemente sind im TCR-Reglement als Einheitsbauteile definiert, sodass zwar nicht an Form und Finish, sehr wohl aber an der Anbauposition gefeilt werden kann. Besonders wichtig ist die Position des Heckflügels, der gemäß Reglement nach oben nicht über die Dachkante hinausragen und nach hinten nicht weiter als 1050 mm hinter die Radnabenmitte der Hinterachse reichen darf.
––––
Ganz simpel ausgedrückt: Je mehr der Heckflügel im Wind steht, desto mehr Abtrieb generiert er. Gleichzeitig erhöht sich aber auch der Luftwiderstand des Rennwagens, was der Höchstgeschwindigkeit abträglich ist. Daher gilt es, einen Kompromiss zwischen Luftwiderstand und Abtrieb zu finden.
–––
Selbiges gilt für den Anstellwinkel des Frontsplitters. Er muss so flach wie möglich, aber steil genug sein, um die Vorderachse beim Anbremsen stabil zu halten und in den Kurven kein Untersteuern aufkommen zu lassen. Entscheidend ist auch die aerodynamische Balance, also das Abtriebsverhältnis zwischen Vorder- und Hinterachse, das so ausgewogen sein muss, dass der Wagen in jedem Fahrzustand stabil bleibt.
Um dieses sensible Gleichgewicht von Anfang an möglichst ideal zu treffen, unterzog das Entwicklerteam um Dietmar Metrich den Astra TCR schon in einer frühen Phase der Entwicklung umfangreichen Aerodynamik-Tests. Hierzu wählte man den Windkanal der Universität Stuttgart. Dieser verfügt über einen rollenden Boden und kann Geschwindigkeiten bis 250 km/h darstellen.
DIE STUNDE DER WAHRHEIT
Ist der Wagen für den ersten Fahrtest aufgebaut, kommt die Stunde der Wahrheit. Denn erst auf der Rennstrecke zeigt sich, ob alle Ideen, die in der Konstruktion entstanden sind, auch dem harten Test- und Renn-Alltag standhalten. „Zunächst schaut man, ob alles so funktioniert, wie man es sich vorgestellt hat“, schildert Dietmar Metrich den Testalltag. „Man probiert alle verschiedenen Komponenten und konzentriert sich im zweiten Schritt dann auf die Entwicklung der Basisabstimmung. Erst danach richtet sich das Augenmerk auf die Performance.“
–––
Das erste Rennen der TCR International Series findet
am 3. April in Bahrain statt – mit drei Opel Astra TCR in der Startaufstellung.
–––
BALANCE OF PERFORMANCE
Was übrigens die Leistungsfähigkeit des Astra TCR und seiner Wettbewerber angeht – diese wird letztlich auch durch die so genannte „Balance of Performance“ (BoP) definiert. Um sicherzustellen, dass jeder Fahrzeughersteller, unabhängig von der technischen Basis seiner Serienplattform, ein konkurrenzfähiges Rennfahrzeug auf die Rennstrecke bringen kann, und um dabei auch kostenintensiven technischen Auswüchsen einen Riegel vorzuschieben, balancieren die Regelhüter die Rennfahrzeuge über ein bewährtes System aus. Die beiden Balance of Performance-Stellschrauben in der TCR sind Motorleistung und Gewicht, wobei die Power der Motoren über die Elektronik, das sogenannte „Mapping“, kontrolliert wird. Ist einer dauerhaft zu schnell, heißt es: Gewicht rauf, Leistung runter. Oder sogar beides. Damit ermöglicht das TCR-Reglement spannenden Kundenmotorsport mit wirksamer Kostenkontrolle.
Aber klar ist auch: Jeder Hersteller möchte von der BoP eingebremst und nicht etwa von ihr ans Feld herangeführt werden. Die Einstufungs-Tests sind von der TCR-Organisation für Mitte März 2016 anberaumt worden. Danach werden die Fahrzeuge homologiert, das heißt, damit wird der technische Stand für eine Saison festgeschrieben. Modifikationen sind nach der Homologation nicht mehr erlaubt. Also arbeiten Dietmar Metrich und die Kissling-Mannschaft an jedem Detail, um bereits in der Premierensaison das bestmögliche Potenzial aus dem Astra TCR herauszuholen.
Februar 2016