DESIGN THINKING
Entwickelt wurde Design Thinking von David Kelley, Professor für Ingenieurwissenschaften an der Stanford University, und Erfinder der ersten Maus für den Mac. Mit der Innovationsmethode befeuern Start-ups, aber auch Unternehmen wie SAP ihre Ideenfindung. Der Prozess selbst richtet sich ganz gezielt auf die Bedürfnisse des Kunden. Der Begriff „Design“ bezieht sich daher auch nicht auf die Formgebung, als vielmehr auf die Annahme, dass sich alle Bereiche des Lebens gestalten lassen: Produkte sind nur dann gut entworfen, wenn sie sich an den Bedürfnissen des Menschen orientieren.
Eigentlich steckt es von klein an in uns. Wenn Kinder einen Turm aus Holzklötzchen gebaut haben, bringen sie ihn krachend zum Einsturz – um Platz für ein neues Spiel zu schaffen. Bastian Stahl ist Masterand bei Opel und möchte genau diesen kindlichen Nervenkitzel wecken: von Null an einen kreativen Prozess zu starten – losgelöst von bestehenden Prozessen. Die Methode, die bei seinem Workshop zum Einsatz kommt, heißt Design Thinking. „Es ist eine gute Möglichkeit, ungeahnte Potenziale in Mitarbeitern und Unternehmen freizusetzen“, so der Masterand. Wichtige Werkzeuge: Empathie und Intuition.
Kreativ zu sein, kann man lernen
Auf einem Tisch im Opel-Creativity Room im J-Bau liegen Legosteine, bunte Knete, Schere und Papier. Die Methode hat fast etwas Spielerisches, wenn da nicht das strikte Vorgehen und die zeitliche Taktung wären. „Die Vorgaben stellen sicher, sich nicht in den einzelnen Schritten zu verlieren“, sagt Axel Scholl-Poensgen. Er ist einer von 25 Kollegen, die Ende November erstmals zusammengekommen sind, um in Fünfergruppen eine Neuerung auf den Weg zu bringen. Jetzt, Mitte Februar, haben die Teams einen fertigen Prototyp in der Tasche. Nicht, dass die Kollegen wochenlang Zeit gehabt hätten. „Wir haben uns neben den zwei Workshop-Tagen jede Woche mal hier, mal da eine Stunde abgezwackt“, relativiert der IT-Fachmann. Denn: Design Thinking ist nicht nur darauf ausgerichtet nutzerorientiert zu arbeiten, sondern lange Prozesse zu verkürzen. Die Aufgabe an die Gruppen lautete: „Wie können wir das Wohlbefinden der Kunden im Fahrzeug erhöhen?“
Wichtigste Grundvoraussetzung für die Methode: Menschen mit unterschiedlichen Erfahrungen, Meinungen und Perspektiven kommen zusammen. Was in der Unternehmenswelt gerne „bereichsübergreifend“ genannt wird, hat Bastian Stahl bei der Zusammenstellung der Teams – die Kollegen hatten Initiativbewerbungen geschrieben – bewusst forciert. So hat sich IT-Experte Axel Scholl-Poensgen zusammen mit Kollegen aus den Bereichen Diebstahlsicherung, Ersatzteile und Infotainment daran gemacht, zu verstehen, was das Wohlbefinden im Auto erhöhen kann. Dabei sollen sie dem Kunden so nah wie möglich kommen, auch physisch. Also weg vom Schreibtisch, rauf auf den Parkplatz. Die Teams haben ausführliche Interviews geführt, aber auch beobachtet: Was machen die Leute eigentlich im Auto – morgens im Stau, an der roten Ampel.
»Natürlich muss man sich verlaufen,
um an Plätze zu gelangen, die nicht gefunden werden können.
Ansonsten wüsste ja jeder, wo sie wären.«
– Captain Barbossa im Blockbuster Fluch der Karibik –
Erst aus diesen Einsichten heraus erfolgt die Suche nach Ideen, zugeschnitten auf eine ganz konkrete, fiktive Person, eine sogenannte Persona. Peter, PS-verliebter, junger Gutverdiener ohne Frau und Kind. Oder Petra, 40 Jahre alt, Mutter von zwei Kindern und passionierte Köchin. Nach der Maxime Albert Einsteins – „Man kann ein Problem nicht mit den gleichen Denkstrukturen lösen, die zu seiner Entstehung beigetragen haben“ – forderte Bastian Stahl die Teilnehmer auch dazu auf, Probleme zu hinterfragen, tief zu graben, ja, auch einmal wild zu fantasieren – fernab von Nutzen und Umsetzbarkeit.
Nach der Ideenfindung entsteht bereits ein Prototyp. Ohne großen Aufwand, recht rudimentär: Aus Legosteinen, Pappe, Knete oder was immer gerade zur Hand ist und hilfreich erscheint. Testpersonen werden eingeladen, die im Provisorium manifestierte Idee zu beurteilen. „Damit ist sichergestellt, dass man sehr früh erkennt, ob ein Lösungsansatz tut, was er soll“, erläutert der Masterand. Falls nicht – und das ist ein weiterer zentraler Punkt der Methode –, wird die Lösung verworfen, um eine bessere zu finden. „Ich habe mein ganzes Arbeitsleben lang nach der Maxime gearbeitet, immer alles richtig zu machen“, konstatiert Axel Scholl-Poensgen. „Sich die Freiheit zu nehmen, Fehler zu machen, war eine einschneidende Erfahrung.“
»Sich die Freiheit zu nehmen, Fehler zu machen,
war eine einschneidende Erfahrung.«
– Axel Scholl-Poensgen –
Elektromobilität, Carsharing, autonomes Fahren – die Autobranche muss sich massiven Veränderungen stellen. „Design Thinking kann einen Beitrag leisten, das kreative Potenzial im Unternehmen auszuschöpfen und Innovationen anzuschieben“, ist sich Bastian Stahl sicher.
Kommende Woche präsentieren die Gruppen des Workshops ihre Ergebnisse vor einem Opel-Gremium. Die besten Ideen werden weiterverfolgt, die Gruppen eventuell mit einem kleinen Budget ausgestattet. „Es ist sehr spannend zu sehen, welche Ideen für ein Mehr an Komfort im Fahrzeug in kurzer Zeit entstanden sind“, so der IT-Spezialist Scholl-Poensgen, der im Berufsalltag dafür sorgt, dass PC und Server laufen. Das Thema Design Thinking wird im Unternehmen weiterverfolgt, mehrere Workshops sind für das Jahr 2018 geplant.
Stand Februar 2018