„Wir sind verantwortlich für Farben und Materialien – sowohl im Interieur als auch im Exterieur.“
– Belinda Günther –
Ein kompaktes SUV, vollelektrisch mit fünf Türen, Coupé-Anmutung und voller innovativer Ideen: Mit dem Opel GT X Experimental haben die Rüsselsheimer einen viel beachteten Ausblick auf die kommenden Jahre gegeben. Laut Mark Adams, Vice President Design, verbindet die Markenstudie „eine klare und mutige Designgestaltung mit fortschrittlichen Technologien, die das Leben leichter machen.“
Die Farben des Interieurs und Exterieurs, die Materialien und Formen der Fahrgastzelle, all das und mehr trägt dabei die Handschrift der Abteilung Color&Trim. Wir haben Belinda Günther getroffen, die Leiterin des Teams aus dem Rüsselsheimer Designzentrum, und mit ihr über den GT X Experimental, ihr Faible für Autos und die Arbeit ihres Teams gesprochen.
Frau Günther, mit dem GT X Experimental gibt Opel einen Ausblick auf das künftige Design seiner Modelle. Was war die wichtigste Prämisse, als Sie mit der Gestaltung dieser Konzeptstudie begonnen haben?
Über allem stand ein ganzheitliches Konzept für Interior und Exterior, der rote Faden zu unserer Design-Philosophie ‚Bold and Pure‘. Wir wollten mit dem GT X Experimental eine mutige und puristische Formensprache verfolgen. Eine, die unsere Tradition würdigt und diese zugleich mit der Zukunft verbindet. Ich denke, das ist uns auf überzeugende Art und Weise gelungen.
Sie leiten den Bereich Color & Trim in Rüsselsheim. Was verbirgt sich dahinter und womit beschäftigt sich Ihr Team allgemein?
Wir sind für die Farben und Materialien im Interieur und Exterieur verantwortlich. Welchen Lack bieten wir für die Karosserie an, aus welchem Stoff sollen die Sitzbezüge bestehen, wo setzen wir optische Akzente? Im Grunde geht es um alles, was man sehen und anfassen kann.
Spielen Gerüche dabei auch eine Rolle?
Ja, natürlich. Eine spezielle Fachabteilung kümmert sich um die Geruchsaura des Innenraums.
Gibt es ein Material, das einen besonderen Einfluss auf den Geruchssinn nimmt?
Leder ist hier ein gutes Beispiel. Jeder hatte diesen prägnanten und – bei guter Qualität – auch angenehmen Geruch schon einmal in der Nase. Man assoziiert mit ihm Klasse, bisweilen Luxus und auch eine Nähe zur Natur. Hochwertiges Leder vermittelt Weichheit und signalisiert Wärme. Gleichzeitig bleibt es über viele Jahre widerstandsfähig und belastbar. Der Geruch des Leders stammt teilweise vom Material selbst. Dieser bildet sich aber auch aufgrund komplexer Gerbungs- und Konservierungsprozesse. Am Ende erhält man eines der vielfältigsten und attraktivsten Gestaltungsmaterialien.
„Hochwertiges Leder vermittelt
Weichheit und signalisiert Wärme.“
Inwiefern beschäftigen Sie sich mit der Auswahl des Leders?
Wir beurteilen das Ergebnis der Hersteller und wählen nach Oberflächenqualität, Farbe und auch nach Geruch aus.
Im GT X Experimental findet sich kein Leder. Als Bezug – etwa für die Sitze – haben Sie sich hier für ein strukturiertes Material entschieden. Weshalb?
Wir wollten eine moderne Anmutung, angelehnt an Gewirke, also industriell hergestellte Maschenwaren, die auch bei Sneakern eingesetzt werden. Mit eher technisch anmutenden Elementen – hauptsächlich auf der Mittelbahn des Sitzes – und den weichen, hellen Flächen erzeugen wir ganz bewusst Kontraste. Die verschweißten Farbakzente komplettieren das ‚Bold and Pure‘-Konzept, denn sie ermöglichen die richtige Farbproportion und die Präzision, die wir wollen. Die Sitze wirken sportlich, sind zugleich aber auch spürbar und atmungsaktiv.
Den jungen, dynamischen Ansatz stützt eine Fotoserie mit dem GT X Experimental, in der eine Frau und ein Mann in sportlicher Kleidung zu sehen sind. Apropos, gestalten Sie eher für Männer oder für Frauen?
Gute Frage. (lacht) Wenn ich mir die Antwort leicht machen möchte, würde ich sagen ‚Opel gestaltet Unisex‘. Aber im Ernst: Wir gehen anders an die Sache heran. Die Fragen müssen immer lauten: Wer kauft unsere Autos? Welche Zielgruppe wollen wir ansprechen? Und was wird diese aller Wahrscheinlichkeit nach von uns erwarten?
Das klingt, als müssten Sie mit sehr vielen Experten im Unternehmen zusammenarbeiten?
Allerdings. Unser Bereich entscheidet niemals alleine. Die Auswahl der Farbpalette etwa erfolgt in einem ständigen Dialog mit den Kollegen des Interior und Exterior Design, aber auch mit jenen aus den Marketing-Abteilungen – und natürlich den ME-Bereichen in den Werken. Sie alle gemeinsam gestalten den Rahmen, in dem wir Farben und Kombinationsmöglichkeiten für ein neues Modell anbieten können.
Wie sieht eine solche Farbpalette normalerweise aus?
Über alle Carlines hinweg gibt es Kernfarben, sogenannte Core Colours. Sie ändern sich oft über Jahre nicht. Dazu gehören Schwarz, Silber und auch Weiß. Letzteres ist vor einigen Jahren wieder modern geworden, viele haben gesagt, das ist ein Trend, der wieder vorbeigeht, doch es zählt bei den meisten unserer Carlines immer noch zu den nachgefragtesten Farben. Daneben gibt es die Solidfarben, die ohne oder nur zu einem geringen Aufpreis angeboten werden, mit denen wir aber ebenfalls länger planen. Und dazu kommen eben die Modefarben, die wir vielleicht in zwei oder vier Jahren wieder austauschen, um ein neues Statement abzugeben. Sofern sie nicht zur unerwarteten Erfolgsfarbe werden, wie Mahagonibraun beim Insignia.
Sie sind in der Automobilbranche in einem eher männlich dominierten Umfeld aktiv. Überlässt Opel in puncto Geschmacksbildung also den Frauen das Feld …?
Das mag auf den ersten Blick so aussehen, aber dahinter steckt keine bewusste Planung. Tatsächlich hat sich der Bereich Color & Trim nicht nur bei Opel als weibliche Domäne herauskristallisiert. Der männliche Überhang in der Entwicklung und in der Technik stellt die Verhältnismäßigkeit wieder her.
Wie erklären Sie sich diesen weiblichen Überhang?
Das weibliche Faible für Color and Trim hängt sicher mit generellem Interesse an Mode, Farben und Stoffen zusammen. Frauen springen in der Regel schneller auf neue Modetrends an, richten ihre Wohnungen mit Accessoires ein – daher finde ich es wenig verwunderlich, dass sich ihr Interesse und ihre Freude an Gestaltung auch in der Autoindustrie niederschlagen.
„Der Bereich Color and Trim hat sich als weibliche Domäne herauskristallisiert – nicht nur bei Opel.“
Trotzdem gibt es sicher klare fachliche Kriterien, nach denen Sie Ihr Team zusammenstellen?
Ja, natürlich. Wir versuchen, über einen fachlich möglichst vielfältigen Hintergrund optimale Voraussetzungen zu schaffen. Konkret heißt das: Man hat es mit Produkt-, Grafik- oder Farbdesignern zu tun. Ich selbst habe Modedesign studiert.
… und in der Modebranche gearbeitet?
Nicht ganz. Der direkte Bezug dazu endete mit dem Abschluss des Studiums. Danach entschied ich mich sofort für die Automobilindustrie. Nach ersten Erfahrungen als Color & Trim Designerin bei Nissan kam sehr rasch der Wechsel zu Opel.
Hatten Sie schon immer ein Faible für Autos?
Ja und nein. Schöne und schnelle Autos spielten in meiner Familie immer eine große Rolle. Daher hatte auch ich schon früh ein starkes Interesse für Autos entwickelt. Aber ich bin kein „Auto-Maniac“.
Würden Sie wieder in die Modeindustrie zurückkehren, wenn sich die Möglichkeit ergäbe?
Auf keinen Fall. Die Automobilindustrie ist in puncto Vielfalt und Spannung nicht zu toppen. Gerade jetzt, wo wir in Zeiten gravierender Mobilitätsumbrüche leben, kann ich mir keinen spannenderen Beruf vorstellen. Zu dem Spaß an kreativer Arbeit kommt die Herausforderung, den Funken der Begeisterung auf ein tolles, hochmotiviertes Team überspringen zu lassen. Im Gegenzug setze ich mich immer mit neuen Ideen aus dem Team auseinander. Es ist ein ständiger Austausch und das Gefühl gegenseitiger und gemeinsamer kreativer Entwicklung ist einfach großartig.
Stichwort Team: Wie treffen Sie letztendlich die Entscheidungen, wenn mehrere Lösungsvorschläge vorliegen?
Tatsächlich schaffen wir es bei den allermeisten Aufgaben, sie als Team zu lösen. Aber bisweilen ist es natürlich auch spannend, wenn sich der persönliche Lösungsvorschlag durchsetzt und man einem Detail mit seiner Kreativität eine persönliche Note verleihen kann. Das geht jedem Designer so.
Wie hilfreich ist es dabei, seine Lösungsidee auch überzeugend darstellen zu können?
Die Fähigkeit kann natürlich von Vorteil sein, solange man das große Ganze nicht aus den Augen verliert. Wenn das der Fall ist, bewegen wir uns bereits in einem relativ engen Gestaltungsrahmen. Car Design bietet kaum Platz für exaltierte Individualisten.
Empfinden Sie den Weg zu einer Entscheidung als hart?
Hart würde ich es nicht nennen. Es ist vielmehr ein gemeinsamer Reifeprozess über Stationen. Und wenn der rasch gelingen soll, müssen wir verstehen, dass es ohne ständiges Hinterfragen „Warum tue ich es so und wie tue ich es?“ nicht geht.
„Anders als der klassische Künstler, der in aller Regel einzigartige Werke – die Betonung liegt auf ‚einzig‘ – erschaffen möchte, arbeiten wir an Produkten für die breite Masse. Da trennen sich die Wege zwischen Kunst und Design.“
Wo liegt der größte Unterschied zwischen Künstlern und Designern?
Anders als der klassische Künstler, der in aller Regel einzigartige Werke – die Betonung liegt auf „einzig“ – erschaffen möchte, arbeiten wir an Produkten für ein breit gefächertes Publikum. Da trennen sich die Wege zwischen Kunst und Design.
Auf den Punkt gebracht: Welche Eigenschaft zeichnet einen erfolgreichen Designer aus?
Kritische Kreativität.
Vielen Dank für das Gespräch.
„Bei den allermeisten Aufgaben schaffen wir es, sie als Team zu lösen.“
Februar 2019