Frühjahr 1990: Die DDR, eben noch ein Land mit unüberwindbaren Grenzen, ist plötzlich zum Land der unbegrenzten Möglichkeiten geworden. Viele Ostdeutsche nutzen die Gunst der Stunde und erfüllen sich lang ersehnte Wünsche. Die einen kaufen sich ein „West-Auto“, die anderen fahren nach Paris. Einige besonders Mutige verwirklichen sich den Traum vom eigenen Unternehmen. Es sind jene, die nicht auf die von Helmut Kohl versprochenen „blühenden Landschaften“ warten wollen, sondern den Spaten lieber selbst in die Hand nehmen, um ihr Feld zu bestellen. Zu ihnen gehört das Ehepaar Marlies und Peter Kramm.
Es war der 10. März 1990 – eine Woche vor der ersten und letzten freien Wahl in der DDR –, als der gelernte Kfz-Meister der per Fax im Ostberliner Stadtteil Buchholz eingetroffenen „herzlichen Einladung zu Opel nach Rüsselsheim“ folgte und einen Händlervertrag unterschrieb. Kalbsrückensteak mit Kräuter-Sesam-Kruste auf Steinpilzen gab es auf dem Festakt. „Die Hauptspeise, die mein Leben verändert hat“, erinnert sich Peter Kramm. Das ist allerdings nur die halbe Wahrheit. Wenn überhaupt. Das Essen allein brachte ihn jedenfalls nicht in die Erfolgsspur, die er bis heute nicht verlassen hat. Vielmehr waren es sein Mut, seine Entschlossenheit und Risikobereitschaft.
„Kalbsrückensteak mit Kräuter-Sesam-Kruste – diese Hauptspeise hat mein Leben verändert.“
Peter Kramm
Nur kurze Zeit nach der Vertragsunterzeichnung eröffnete Peter Kramm am 7. April 1990 sein Autohaus – und schrieb damit Opel-Geschichte. Er war der erste Opel-Händler in der Noch-DDR. Mit 28 Jahren! Was für ein Wagnis! Allein die äußeren Umstände sprechen Bände über die Mühsal des Beginns. Die Infrastruktur – Straßen und Telekommunikation – waren damals im Osten vorsintflutartig. Nicht einmal Telefon gab es, geschweige denn, ein Fax oder gar einen Computer. Anfangs musste die Mutter von Peter Kramm, die auf demselben Gelände eine Spedition betrieb, über den Hof rufen: „Telefon für euch.“ Später erwarben die Jungunternehmer ein tonnenschweres Funktelefon für satte 7000 D-Mark, dessen Akku maximal eine Stunde hielt.
Ein Grund zu resignieren? Niemals. Im Gegenteil. Zu Gute kam den Kramms, dass sie mit der kleinen Werkstatt, mit der alles begann, neu im Geschäft waren. Sie waren, wenn man es so nennen möchte, „unbefleckt“ von der Misswirtschaft, die gerade im Kfz-Bereich zur DDR-Normalität gehörte. Wer seinen Wagen schnell repariert haben wollte, musste schon mal mit Westgeld bezahlen oder andere Mangelware besorgen – oder eben sehr lange warten. Die Kramms setzten – und setzen bis heute – auf Ehrlichkeit. Und natürlich auf: „Arbeit. Arbeit. Arbeit“, wie Frau Kramm es formuliert. „Mein Mann ist ein Workaholic.“
DER SPRUNG INS KALTE WASSER
Haben die zwei es jemals bereut? „Nicht einen Tag“, sagt Herr Kramm. Seine Gattin sekundiert: „Niemals. Es war eine schwere Zeit, aber wir würden es immer wieder so machen.“ 25 Jahre ist das nun her, genauso lange wie die Wiedervereinigung alt ist. Reden die Eheleute über die damalige Zeit, über den Aufbruch in ein neues aufregendes Berufsleben, wirkt alles sehr präsent, als sei der Händlervertrag mit Opel erst vor einer Woche unterzeichnet worden. „Mein Mann hatte eine Vision“, sagt Frau Kramm mit Stolz. Zu Recht. Der Sprung ins kalte Wasser war alles andere als risikofrei. „Ich musste mich schnell entscheiden und wusste nicht immer, ob das wirklich alles richtig war, was ich tat“, sagt der Opel-Mann. Wenn seine Frau an den ersten Kredit denkt, den die frisch gebackenen Unternehmer aufnehmen mussten, kommt ihr noch heute die Frage in den Sinn: „Was können wir verkaufen, wenn das schiefgeht?“ Zum Glück ging nichts schief – zumindest nicht in dem Sinne, dass es die Firma in ihrer Existenz bedrohte.
„Mein Mann hatte eine Vision.“
Marlies Kramm
Den Traum von der eigenen Firma begann Peter Kramm früh zu träumen. Deshalb machte er seinen Meister. Mit Glück und Geschick boxte er kurz vor der Wende den Antrag auf Eröffnung einer Kfz-Werkstatt für Wartburg durch. Dafür eine Genehmigung zu erhalten, war in der DDR, in der Unternehmertum nichts galt, äußerst schwierig. Peter Kramm ist eben ein Typ mit festem Willen. Eines seiner Markenzeichen ist aber auch unternehmerisches Gespür. Kurz nach der Wende war ihm klar, dass weder die Nachfrage nach „West-Autos“ noch der Bedarf an Reparaturen jemals abreißen würde. Mit der Einschätzung lag er goldrichtig.
Dass es die Marke Opel wurde, war kein Zufall. Ein in Nordrhein-Westfalen lebender Cousin Peter Kramms schrieb in einem Fax an die Rüsselsheimer Opel-Zentrale am 14. November 1989, also nur fünf Tage nach dem Fall der Mauer, dass sein Verwandter eine Werkstatt für Opel-Fahrzeuge eröffnen will: „Er lässt nun nachfragen, ob in Ihrem Werk die Möglichkeit der Teilnahme an Lehrgängen oder Einführungskursen besteht.“ Die Adam Opel AG reagierte bald. Am 20. Dezember 1989 schrieb sie direkt an Peter Kramm, dass erst einmal die „Entwicklung der Handelsbeziehung“ zwischen Ost- und Westdeutschland abgewartet werden soll. Und: „Zunächst haben wir Sie als Interessenten für einen Händler- bzw. Kundendienstvertrag vorgemerkt.“
EIN UNTERNEHMEN MIT 65 MITARBEITERN
Das Ergebnis dieser Zeilen ist bekannt. Das Autohaus ist bis heute erfolgreich. Der mittlerweile 53-Jährige schaffte es, eine kleine Werkstatt mit einst vier Angestellten, deren erstes Verkaufsbüro in einem Container untergebracht war, in ein Unternehmen mit heute 65 Mitarbeitern zu verwandeln. Immer wieder nahm Peter Kramm Um-, An- und Neubauten vor, investierte Millionen in die Erneuerung der Anlagen und Schauräume. 1999 eröffnete er ein weiteres Opel-Autohaus in Berlin im Stadtteil Karow. „An unserem Standort in Buchholz platzten wir seinerzeit aus allen Nähten.“ Auch Veränderungen wie den Rückzug der General-Motors-Marke Chevrolet aus Europa im vergangenen Jahr steckten die Kramms weg. Nun setzen sie auf die GM-Wagen Corvette, Camaro und Cadillac.
Einer zentralen Herausforderung muss sich der Opel-Händler noch stellen in seinem Berufsleben. Er gehört zu jener Generation ostdeutscher Unternehmer, die den Sprung in die Selbstständigkeit unmittelbar nach der Wende wagten und nun vor der Aufgabe stehen, die Firma an einen Nachfolger zu übergeben. Tochter Franziska rüstet sich gerade mit einem Studium der Betriebswirtschaftslehre für den Job. Dass ihr das gelingen wird, steht außer Frage. „Sie kennt den Betrieb von Anfang an“, sagt Mutter Kramm. Das kann man wohl sagen. Franziska kam 1991 zur Welt – exakt während der Bauphase des ersten Schauraums. „Schon als Baby krabbelte sie zwischen den Autos umher.“ Keine schlechten Vorrausetzungen, das Lebenswerk ihrer Eltern zu bewahren.
Text: Thomas Schmoll; Fotos: Werner Popp, privat
Das Opel-Händlernetz in Deutschland, das aktuell 420 Partner umfasst, zeichnet sich durch eine große Tradition und Loyalität aus. „Die Opel-Händlerverträge bestehen im Schnitt seit fast 50 Jahren“, betont Jens Nagl, Direktor Händlerentwicklung.
30 der Betriebe sind der Marke sogar seit über 90 Jahren treu. Die Opel Post nimmt das zum Anlass, aus allen fünf Opel-Regionalbereichen langjährige, bemerkenswerte Händler-Betriebe in der Serie „Opel forever“ vorzustellen.
Den Beginn macht das Autohaus Kramm in Berlin. Der Inhaber Peter Kramm war am 10. März 1990 der erste, der nach dem Fall der Mauer im Osten einen Opel-Händlervertrag unterzeichnet hat.
Insgesamt waren es 38 Pionier-Händler, die sich vor genau 25 Jahren zur ersten Tagung der „DDR“-Opel-Betriebe in Rüsselsheim versammelt haben.
Auf Einladung der Regionalleiterin der Region Ost, Heike Herzog, kamen am vergangenen Dienstag (10. März 2015) die „Ost-Händler“ in Berlin zu einer „25-Jahr-Feier“ zusammen. Mit dabei war auch Opel-Deutschlandchef Jürgen Keller.