Onkel Jürgen hatte es ihm gleich mit auf den Weg gegeben, als sein Neffe vor anderthalb Jahren seinen alten Opel Astra 1.6 Caravan übernahm: „Dieses Auto war in allen europäischen Ländern unterwegs. Es hat Kultur. Also halte es in Ehren.“ Marcel Gustke ließ sich dies nicht zweimal sagen. Der 24-jährige ist mit dem 16 Jahre alten Gefährt seither landauf, landab für den Mainzer Kunstverein „Freigeist“ unterwegs, transportiert Farben, Werkzeug, Gemälde und Skulpturen. Und der Lastesel frisst und frisst und frisst… Kilometer.
Über eine Million hat er bereits auf dem Tacho. Beziehungsweise: hat er nicht. Denn der Tacho weist keine sieben Stellen aus. Darum zeigt er aktuell gerade mal 60.000 Kilometer an. Für die sieht er allerdings schon etwas alt aus. Alt, aber rüstig. Und wie!
DER ASTRA BLEIBT IN DER FAMILIE
Jürgen Gustke hat ihn 1999 für sein Speditionsunternehmen angeschafft, das seinen Sitz in Kelsterbach hat und Material vom Frankfurter Flughafen in aller Herren Länder überführt – auch über weniger gut befestigte Straßen, wie man an den vielen kleinen Steinschlägen im Lack erkennt. Über ein Jahrzehnt war der Caravan fester Bestandteil des unternehmerischen Fuhrparks. Da bei Gustkes Fahrzeuge vorzugsweise innerhalb der Familie weitergegeben werden, durfte danach erst einmal Onkel Birger den Lastesel satteln. Der hatte es nicht so mit Autos, so dass Neffe Marcel, als er den Kilometerfresser 2013 übernahm, erst einmal reichlich Restaurationsarbeit leisten musste.
Glücklicherweise aber wusste er, was er tat, denn er hat bei Opel Industriemechaniker gelernt. Heute arbeitet er bei Böhringer in Ingelheim Schicht. Als „Freigeist“-Künstler ist Marcel Gustke auf Metallskulpturen spezialisiert – und auch die wollen transportiert werden. In den Astra hat bislang noch alles gepasst.
ERSATZTEILE GIBT’S BEI AMAZON UND EBAY
„Für Freigeist sind wir meistens in der Region unterwegs“, erzählt der 24-Jährige. „Ich war mit dem Wagen allerdings auch schon in Frankreich und Hamburg unterwegs. Lief wunderbar.“ Liegen geblieben ist er erst einmal – „das war aber ganz in der Nähe, auf dem Mainzer Lerchenberg“. Die Hydraulik hatte den Geist aufgegeben. Sie ist mittlerweile repariert. Als Nächstes werden die Ölleckage beseitigt, wegen der derzeit Pappe auf seinem Stellplatz ausgelegt ist.
An so einem Kilometermillionär – unter der Haube schnurrt tatsächlich noch der erste Motor – gibt’s halt immer was zu tun. Ersatzteile besorgt sich Marcel Gustke übrigens bei Amazon oder Ebay. Dass selbst der unverwüstlichste Opel nicht ewig rollen wird, ist dem stolzen Besitzer klar, doch ist er Künstler genug, um die Zukunft nicht allzu akribisch zu planen: „Mal sehen.“
Stand April 2015