Es gibt Automobile, die möchte man sofort fahren. Und es gibt Automobile, die faszinieren schon im Stand, mit liebevoll gestalteten Ausstattungsmerkmalen und Verzierungen. Sechs Zylinder, 3,6 Liter, 75 PS, 132 km/h Spitze – das waren 1937 mehr als beachtliche Werte. Aber wer denkt an Zahlen, wenn er diesen Kühlergrill sieht, den Blick über die Hebel und die fein gezeichneten Instrumente gleiten lässt, die Haltekordeln in die Finger bekommt? Die Kurbeln der ausstellbaren Dreiecksfenster toppen dann alles.
Es sind Merkmale der Designrichtung Art déco – der Name leitet sich vom französischen Begriff „art décoratif“ ab, dekorative Kunst. Art déco ging aus dem Jugendstil hervor und trat von Frankreich aus seinen Siegeszug an, in den Jahren zwischen 1920 und 1940. Im Überflüssigen das Notwendige erblicken fasst das Credo der Bewegung elegant zusammen. Und um Eleganz ging es. Eleganz als Gegenentwurf zu einer Welt, die zwischen Euphorie über den Fortschritt und Wirtschaftskrisen den Wunsch nach dem Schönen entwickelt hat.
Wie aber kommen die vom Art déco beeinflussten Elemente in den Opel Admiral ’37, der übrigens zeitweise 25 Prozent Marktanteil in seiner Klasse gehalten hat?
Es gibt mehrere plausible Vermutungen, nur leider keinen Beleg. Der erste Erklärungsansatz führt ins Jahr 1932. Damals begann der bekannte Grafiker Bernd Reuters über die Werbe- und Kommunikationsagentur McCann Erickson für Opel zu arbeiten. Reuters, der heute als einer der wichtigsten Wegbereiter für professionelle Autowerbung gilt, war seinerzeit ein großer Anhänger des Art déco. Sein Stilempfinden beeinflusste Zeichner im In- und Ausland.
Art déco verband sich explizit mit einem modernen Lebensgefühl, mit dem Blick nach vorn.
Ähnlich prägend für die Automobil-Akteure der Ära war die Arbeit des Designers Johannes Beeskow, der für den Luxuskarosseriehersteller Erdmann & Rossi in Berlin im Einsatz war. Nach der Machtergreifung 1933 durften deutlich von Art déco inspirierte Premiummodelle, etwa von Bugatti oder den französischen Autobauern Voisin und Delahaye, kaum noch in Deutschland verkauft werden. Und wer einen solchen Exoten besitzen wollte, ließ ihn sich bei Erdmann & Rossi einkleiden. Dort sorgte Beeskow bevorzugt für eine aerodynamische Formgebung, durch die sich sogenannte Stromlinienfahrzeuge definieren, die besonders in den 1930er-Jahren sehr populär waren.
Der zweite Erklärungsansatz für das Design des Admiral ’37 führt ins Jahr 1935 – und ins Innere der Marke Opel. In dem Jahr startete in Rüsselsheim die „Modellierabteilung“ unter der Leitung von Franklin „Frank“ Hershey ihre Arbeit. Wer die Begrifflichkeiten dieser Dekade nicht kennt, stellt sich darunter die Arbeit mit Tonmodellen vor. Tatsächlich hatte GM aber nach der Kritik an 1,2 Liter und 1,8 Liter erkannt, Storchschnabelverkleinerungen US-amerikanischer Modelle ließen sich zwar verkaufen, eine marktbeherrschende Stellung aber damit nicht erreichen. Deshalb wurde Franklin Hershey mit dem Aufbauen der Abteilung und dem Vermitteln der Methodik betraut. Was nach 1935 von Opel kam, stammt von Zeichenbrettern in Rüsselsheim.
Art déco wurde in Paris der 1920er Jahre geprägt. Im Laufe der 30er Jahre bis zum Zweiten Weltkrieg bahnte sich die Stilrichtung ihren Weg auf allen Kontinenten. Zwei der bekanntesten architektonischen Beispiele in den USA: das Empire State Building und das Chrysler Building in New York. In Miami entstand ein eigener Stadtteil, das Art Déco-Viertel. Die ikonischen Gebäude, alle in Pastellfarben gehalten, bilden zusammen ein einzigartiges Arrangement perfekter Symmetrie.
Werden die Erklärungsansätze nebeneinander betrachtet, dann kristallisieren sich plausible Erklärungen für die Elemente des Art déco im Admiral ‘37 heraus: Opel wollte die europäische Identität der Marke unterstreichen und hat deshalb absichtsvoll den Stil verwendet. Der Autohistoriker und Gründer der Alt-Opel-Interessengemeinschaft, Eckhart Bartels, sowie Werner Schollenberger, Opelaner und Verfasser einer Biografie über den Bernd Reuters, halten die Vermutung, Reuters habe indirekt und ohne persönliche Einflussnahme den Vorkriegs-Admiral inspiriert, für schlüssig. Nur findet sich leider nirgends ein Beweis dafür.
das auf den ersten blick gegebene versprechen, kann der admiral auch auf der straße umsetzen.
Bleiben einige abschließende Feststellungen. Der Admiral ‘37 sah und sieht nicht nur umwerfend aus, weil die Gestalter dem Flaggschiff der Marke durch klugen Einsatz filigraner Elemente jede Schwere genommen haben, er konnte das damit gegebene Versprechen auch auf der Straße umsetzen. Tatsächlich lässt sich der Admiral leichter lenken und bedienen als ähnlich große Modelle anderer Hersteller. Und markentypisch bot er ein überzeugendes Packaging.
Ein Merkmal, das auch heute, 80 Jahre später, den neuen Insignia Grand Sport auszeichnet.
TECHNO CLASSICA AHOI: DER OPEL-BLOG NIMMT KURS AUF DIE KLASSIKER-MESSE
Stand April 2017