Dass elektrische Rennfahrzeuge hoch performant und dynamisch faszinierend sind, daran kann mittlerweile kein Zweifel mehr bestehen. Elektrische Fahrzeuge sind von Natur aus aber auch leise. Was für den normalen Straßenverkehr und Anwohner ein Segen ist, muss im Motorsport im Allgemeinen und im Rallyesport im Besonderen als suboptimal angesehen werden.
Erstens, weil Sound eben irgendwo zum Rennsport dazu gehört. Zweitens – und in diesem Fall sogar noch entscheidender – ist es bei einer Rallye zwingend erforderlich, dass Zuschauer und Sportwarte ein nahendes Wettbewerbsfahrzeug nicht nur sehen, sondern auch möglichst rechtzeitig hören. Die deutsche Automobilsportbehörde DMSB setzt hier ganz klare Vorgaben. „Damit war für uns klar: Der Opel Corsa-e Rally braucht nicht nur Performance, sondern auch Sound. Aus Gründen der Sicherheit, aber auch für mehr Attraktivität“, erklärt Opel Motorsport Direktor Jörg Schrott.
„Für uns war klar: Der Opel Corsa-e Rally braucht nicht nur Performance, sondern auch Sound. Aus Gründen der Sicherheit, aber auch für mehr Attraktivität.“
Opel Motorsport Direktor Jörg Schrott
Die Herausforderung: eine höchst anspruchsvolle Pionierarbeit
Was sich so einfach anhört, geriet in den folgenden Monaten zur echten Herausforderung. Erfahrungswerte? Fehlanzeige, es hatte ja noch nie zuvor jemand einen elektrischen Rallye-Markenpokal in Angriff genommen. Der ADAC Opel e-Rally Cup ist eine echte Pionierleistung, das zeigte sich im Verlauf der Entwicklung immer wieder. Was die Sache enorm spannend, aber eben auch höchst anspruchsvoll macht.
Zurück zum Soundsystem. Da war zunächst die Frage nach der Hardware. Ein Verstärker? Okay, kein Thema. Aber schon bei den Lautsprechern ging es los. Handelsübliche Geräte sind für den Gebrauch in Innenräumen konzipiert und werden in der Regel nur im Falle einer besonders wilden Party mal nass. Bei einer Rallye geht’s aber eben schon mal durch eine Pfütze oder über eine regennasse Straße, also musste etwas Belastbareres her.
Hörprobe: So klingt der Corsa-e Rally
Schritt 1: die Hardware aus
der Welt der Marine
Das Entwicklerteam von Opel Motorsport wurde im Marine-Zubehör fündig. Vier spritzwassergeschützte 400-Watt-Lautsprecher, die normalerweise auf größeren Booten zum Einsatz kommen, wurden in alle vier Ecken des Corsa-e Rally montiert, wozu spezifische Halterungen konstruiert werden mussten.
Und wo sollten die Halterungen überhaupt hin? Am liebsten natürlich so exponiert, wie es eben geht, sodass der Sound möglichst ungefiltert abgestrahlt werden kann. Damit ginge aber natürlich das Risiko einher, dass die Speaker beim kleinsten Streifkontakt des Fahrzeugs, und so einer kommt ja im Laufe einer Rallye durchaus mal vor, durch die Gegend fliegen. Also mussten sie hinter die – eben leider auch geräuschdämmende – Verkleidung.
Im Falle des Fahrzeughecks keine große Sache. Je ein Umlenkschacht leitet den nach unten gerichteten Schall um rund 45 Grad zur Seite und nach hinten. Vorne aber ging das nicht, weil die Schächte so tief geraten wären, dass sie sich beim harten Aufsetzen des Fahrzeugs, etwa nach einem Sprung oder bei einem Cut, definitiv selbstständig gemacht hätten. Also blieb es vorne dabei: Die Lautsprecher, die optisch Verwandtschaft ersten Grades zu einer Thermoskanne aufweisen, schallen nach unten weg. Und dies erwies sich im Praxisversuch auch als völlig ausreichend. Das Hardware-Thema war also gelöst.
Sicher untergebracht: An der Front schallen die vorderen Lautsprecher nach unten weg.
Am Heck: Je ein Umlenkschacht leitet den nach unten gerichteten Schall um rund 45 Grad zur Seite und nach hinten.
Schritt 2: eine an die Drehzahl gekoppelte Audio-Software
Doch nun wurde es erst richtig knifflig. Zum einen musste ein geeigneter Sound kreiert werden, was mit moderner Audio-Software heutzutage an sich keine Hexerei mehr darstellt. Aber es musste eben auch noch sichergestellt werden, dass Soundsystem und Fahrzeug miteinander kommunizieren, dass der Sound also dynamisch den Fahrzustand des Corsa-e Rally abbildet. Dies regelt ein eigenes Steuergerät, das mit den Daten arbeitet, die es vom Fahrzeug bekommt.
Im Try-and-Error-Verfahren wurde in Zusammenarbeit mit dem französischen Unternehmen „Sound To Side“ das für dieses Zweck geeignetste Prinzip ausgetüftelt. Dieses basiert auf einem „Standgeräusch“, im Fachdenglisch „idle sound“ genannt, das an die Drehzahl des Elektromotors gekoppelt wird, was zum Beispiel auch durchdrehende Vorderräder (die eben selbst ein Torsen-Sperrdifferenzial nicht immer verhindern kann) hörbar macht.
Erste Bewährungsprobe: Der Saisonstart des ADAC Opel e-Rally Cup findet am 11. und 12. Juni bei der ADAC Rallye Stemweder Berg statt.
Schritt 3: Geräuschtester helfen
bei Praxisversuchen
Damit war der Grundstein gelegt, und es ging nur noch darum, den richtigen Sound zu mixen. Eine Arbeit, die immer wieder im Praxisversuch verifiziert werden musste, weil es eben doch einen Unterschied macht, ob ein Geräusch von einem Computer oder von einem fahrenden Rallyeauto erzeugt wird. Und ein bisschen spacig durfte er durchaus sein, es geht ja nun einmal nicht um ein konventionelles Rallyeauto, sondern um eines, das es so noch nie gab.
Um der Gefahr der Betriebsblindheit vorzubeugen, spannten die Entwickler bei ihren Probefahrten – oft genug übers Werksgelände in Rüsselsheim – verschiedene Personen bis hin zu ahnungslosen Passanten als Geräuschtester ein. So nach dem Motto: „Da kommt gleich ein Rallyeauto vorbei. Hören Sie mal hin. Und, wie klingt das? Gefällt ihnen also, ja? Danke und schönen Tag noch …“
„Es ging uns darum, einen Sound zu finden, der unsere Anforderungen in Bezug auf die Sicherheit erfüllt, der aber auch das innovative Projekt abbildet.“
Das Ergebnis: ein Sound, der Aufmerksamkeit schafft
„Wir wollten nicht einfach einen Verbrenner simulieren, was natürlich problemlos möglich gewesen wäre“, sagt Jörg Schrott. „Es ging uns darum, einen Sound zu finden, der zum einen unsere Anforderungen in Bezug auf die Sicherheit erfüllt, der aber auch das innovative Projekt abbildet. Ich denke, der Sound des Corsa-e Rally wird an den Wertungsprüfungen Aufmerksamkeit erregen.“
Übrigens, wo eingangs von Anwohnern die Rede war, die in Bezug auf Lärmbelästigung geschont werden sollen: Das Soundsystem des Corsa-e Rally verfügt über zwei Leistungsstufen. Auf den Verbindungsetappen, also im öffentlichen Straßenverkehr, operiert der Bolide im Low-Noise-Modus. Erst auf der Wertungsprüfung geht dann richtig die Post ab. Speed- wie auch soundmäßig.
April 2021