„In die Region
hineinwachsen“

 

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Teil 2: DIE ERÖFFNUNG DES WERKS

Das Dörfchen Bosenbach liegt nur 25 Kilometer von Kaiserlautern entfernt. Von dort aus ohne eigenes Auto in die Stadt zu gelangen, ist im Jahr 1965 gar nicht so einfach. Ein Bus pendelt nur vom zwei Kilometer entfernten Jettenbach nach Lautern, und der Weg dorthin führt steil bergauf. Mitfahrgelegenheiten zu finden, ist ebenfalls schwierig. So viele Pkw-Halter gibt es in Bosenbach nicht – dass jeder Haushalt über mindestens ein Auto verfügt, ist damals noch keine Selbstverständlichkeit.

Helmut Preis will an diesem Frühlingsmorgen dennoch unbedingt in die Stadt. Von seinem Vater weiß er, dass Opel in Kaiserslautern ein Werk errichtet und noch Personal sucht. Die Vorstellung, einmal in einem großen Industriebetrieb zu arbeiten, gefällt dem 16-Jährigen. Denn da wird zugepackt. Schreibtischjobs sind nichts für ihn. Im Jahr zuvor hat er die Handelsschule in Kusel besucht, sich da aber nie richtig wohlgefühlt.


Auch als Ruheständler schlägt sein Herz noch für den Blitz: Helmut Preis in seinem „Opel-Zimmer“ im heimischen Bosenbach.

 


PERSONALSUCHE IN DER PFALZ:
VIELE BEWERBER, KAUM INDUSTRIEARBEITER

Im Personalbüro in der Lauterer Eisenbahnstraße gibt Helmut Preis seine Unterlagen ab. Er will Maschinenschlosser lernen. Nicht alle Bewerber, deren Wege er an diesem Morgen kreuzt, verlassen das Büro wieder so schnell wie er. Wer an einer Anstellung als Meister oder an einer gleichrangigen höheren Tätigkeit interessiert ist, muss mehr Zeit mitbringen, wird medizinisch untersucht und absolviert verschiedene Eignungstests. Und hat die Möglichkeit, sich mit seinem künftigen Betriebsleiter zu unterhalten.

Am Ende jeden Tages legen die Führungskräfte fest, wer für die anstehenden Meisterkurse in Frage kommt. Geleitet wird die Personalauswahl von Hans Gensert, einem gelernten Werkzeugmacher und studierten Maschinenbauer aus dem hessischen Urberach. Der 40-Jährige soll das Versprechen einlösen, das Opel-Vorstandsmitglied Dr. Jürgen Riehemann der Pfalz bei der Unterzeichnung des Ansiedlungsvertrages gab: Opel werde so schnell wie möglich „in die Region hineinwachsen“. Das bedeutet auch: Die entstehenden Arbeitsplätze sollen, so weit es geht, mit Pfälzern besetzt werden. Keine leichte Aufgabe, da es 1965 in und um Kaiserslautern kaum gelernte Industriearbeiter gibt.

Stammnummer 400003: Die ,,4“ tragen alle in Kaiserslautern beschäftigten Unternehmensangehörigen vorne, die „3“ hinten weist Helmut Preis als den dritten Mitarbeiter aus, der in Lautern eingestellt wurde.

 

 

 


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Ein Standort wartet auf Schichtbeginn: In Kürze wird ein Lkw nach dem anderen über die noch jungfräulichen Werksstraßen rollen.

 


 

Zeitung

GM-Chef Frederic Donner besucht die Opel-Baustelle in der Pfalz – die „Rheinpfalz“ nimmt es ihren Lesern zuliebe ganz genau: Der „Superboß“ wird in der Bildberichterstattung sogar mit Pfeil gekennzeichnet.

 

HOHER BAUSTELLENBESUCH:
EIN PFÄLZER AUS PENNSYLVANIA
Doch nicht nur im Personalbüro läuft der Betrieb auf Hochtouren. Schon in den ersten Januartagen haben Sprengstoffexperten das Areal am westlichen Ende der Stadt nach „Blindgängern“ abgesucht – nicht detonierten Fliegerbomben aus dem Zweiten Weltkrieg. Erst danach begannen Erdaushub, Fundamentarbeiten und Rohbau.

Im Spätsommer 1965 besucht Frederic G. Donner, der Präsident und Aufsichtsratsvorsitzende von General Motors, die Baustelle. Kaiserslautern empfängt ihn wie einen hohen Staatsgast. Um seinen kulinarischen Vorlieben gerecht zu werden, werden im holzgetäfelten Direktionszimmer des gerade entstandenen Verwaltungsgebäudes mit der Gebäudebezeichnung „K2“ asiatische Gerichte gereicht, die die Pfälzer eigens aus der mondänen Kurstadt Wiesbaden angekarrt haben – denn chinesische Restaurants gibt es in Kaiserslautern noch nicht. Und der städtische Beigeordnete Hans Jung hat sich persönlich darum gekümmert, dass der Schornstein in dem Miniaturmodell des entstehenden Werks, das dem Gast präsentiert wird, auch raucht, da ihm zu Ohren gekommen ist, dass Frederic Donner solche Details sehr schätzt.

Der hohe Gast zeigt sich auch sehr angetan – und enthüllt im lockeren Gespräch, dass er im Grunde ja nur nach Hause komme: Denn seine Vorfahren seien Pfälzer gewesen, die nach Pennsylvania auswanderten.

Am 15. Oktober wird Richtfest gefeiert, gerade mal zehn Monate nach der Unterzeichnung des Ansiedlungsvertrages. 1.300 Bauarbeiter, Poliere, Meister und Ingenieure waren und sind Einsatz. Sie haben 35 Kubikmeter Beton und 1.200 Tonnen Baustahl verarbeitet, und insgesamt 7.400 Tonnen schwere Stahlkonstruktionen errichtet. 70 Unternehmen, die fast alle in der Region beheimatet sind, arbeiten an dem Werk.

 


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Speisen in gepflegtem Ambiente: Das Werk begrüßt seine VIP-Gäste zur Eröffnungsfeier.

 


 

„K1“ ERSCHLIESST NEUE DIMENSIONEN –
INKLUSIVE DER  PONDEROSA IM WESTERN-STIL

Herzstück des Standorts ist das „K1“ – 56.800 Quadratmeter Produktionsfläche unter einem Hallendach, das sind Dimensionen, wie man sie in der Pfalz bislang nicht kannte. Ihm vorgelagert ist das dreigeschossige Verwaltungs- und Sozialgebäude K2 mit Wasch- und Umkleideräumen, Werksküche, Speisesaal, Werksärztlichem Dienst, Feuerwache sowie Personal- und Direktionsbüros. Eine eigene Energiezentrale sorgt für Wärme, Pressluft und Elektrizität. Ein großes Wasserreservoir mit Kühltürmen, ein Gebäude für die Betriebskrankenkasse, überdachte Flächen für Motor- und Fahrräder, Parkplätze, ein Wiege- und ein Pumpenhaus sowie ein Tanklager runden den Gesamtkomplex ab.

Die originellste Unterkunft haben aber die Zentrale Bau- und die Materialabteilung gefunden. Sie residieren im ehemaligen „Rod & Gun Club“, einem im Western-Stil eingerichteten Ranch-House, das sich auf dem von den US-Militärs mitveräußerten Gelände befunden hat. Im Werksjargon wird es in Kürze als „Ponderosa“ firmieren – benannt nach dem Zuhause der berühmten Cartwright-Familie aus der in den 1960er-Jahren sehr populären Fernsehserie „Bonanza“.

 

Der Hesse, der seine Mannschaft fast komplett aus Pfälzern formte: Werksdirektor Hans Gensert.

 

 


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Ein Händedruck vom Landesvater: Hans Gensert begrüßt den rheinland-pfälzischen Ministerpräsidenten Peter Altmeier.

 


 

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Der erste Werksrundgang: Die VIP-Gäste begutachten die neuen Einrichtungen im K1.

 

 

 

„DER MENSCH STEHT IM MITTELPUNKT –
OB AN DER MASCHINE, AM SCHRAUBSTOCK ODER AM ZEICHENBRETT“
Am 3. Juni 1966 wird das Werk offiziell eröffnet. Die rund 2200 Mitarbeiter haben schon in den Wochen vorher nach und nach ihre Arbeit aufgenommen. Nur 40 Belegschaftsmitarbeiter haben zuvor schon in Rüsselsheim und Bochum Opel-Erfahrung gesammelt. Der Rest ist neu eingestellt, stammt fast komplett aus der Region. Hans Gensert hat Wort gehalten. „Bei aller Bedeutung unserer technischen Einrichtungen steht die menschliche Arbeitskraft im Mittelpunkt des Produktionsgeschehens“, erklärt der neue Werksdirektor zur Eröffnung. „Das gilt gleichermaßen für den Mann an der Maschine, am Schraubstock oder am Zeichenbrett.“ Einer von ihnen: Helmut Preis, der seinen Arbeitsvertrag bereits am 5. April 1965 unterzeichnet hat. Seinen Werksausweis ziert die Stammnummer 400003. Die ,,4“ tragen alle in Kaiserslautern beschäftigten Unternehmensangehörigen vorne, die „3“ ganz hinten weist ihn als den dritten Mitarbeiter aus, der am Produktionsort eingestellt wurde. Nummer 1 und 2 werden Opel schon kurz nach ihrer Lehrzeit verlassen. Somit darf Helmut Preis in den kommenden vierzig Jahren für sich in Anspruch nehmen, „der erste Mann“ am Standort zu sein.

 

 

 


 Vom Feld in die Fabrik

von Dieter Haßdenteufel


Dieter Haßdenteufel.


Dieter Haßdenteufel war von 1965 bis 1995 als Meister, Obermeister, Härtetechniker, Sachbearbeiter im Presswerk und VV-Koordinator bei Opel in Kaiserslautern tätig. Aus den Pioniertagen des Werks ist ihm die folgende Episode in Erinnerung geblieben, die er mit einem Kollegen erlebt hat.

 

Es war einmal ein braver westpfälzischer Bauersmann, nennen wir ihn der Einfachheit halber Alfred. Der hatte Zeit seines Lebens seine Äcker und Wiesen bestellt und sich damit recht und schlecht durchs Leben geschlagen. Sein weitester Weg hatte ihn in die nahe Kreisstadt geführt. Ansonsten hatte ihn in die Welt nicht sonderlich interessiert.
Die Entwicklung der Landwirtschaft im zusammenwachsenden Europa hatte ihn aber im Lauf der Zeit eingeholt und ihn regelrecht überrollt. Der Ertrag seiner Felder wurde immer weniger.
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Eine Erinnerung aus dem Jahr 1984 (von links): Dieter Haßdenteufel mit Herbert Witt (Personal- und Budgetsachbearbeiter), Paul Kirsch (Härtereimeister), Josef Radix (Härtereimeister) und Harri Stemmler (Meister in der Kunststofffertigung). Das Quintett saß auch in seiner Freizeit oft zusammen – beim Skat.

 

 Am Ende reichte er nicht mehr aus, die Familie zu ernähren. So beschloss Alfred, die restlichen Tage seines Berufslebens in einem Industriebetrieb zu verbringen und bewarb sich bei der neu angesiedelten Firma Opel in Kaiserslautern.
Alfred wurde genommen und traf dort viele Schicksalsgefährten. Ehemalige Landwirte, aber auch Friseure, Bäckermeister, Metzger oder Maurer, die sich zu Industriearbeitern umschulen ließen. Er wurde einer Abteilung zugewiesen, in der viel Handarbeit anfiel. Sein erster Job war, ein Querloch in einen daumendicken Schaltbolzen zu bohren. Auf einer Ständerbohrmaschine war zu diesem Zweck eine Bohrvorrichtung aufgespannt. Die Arbeit konnte im Sitzen ausgeführt werden. Die ersten Tage liefen gut. Nachdem man Alfred in seine Arbeit eingewiesen hatte und er über Bohrerwechsel, Reinigung, Maschinenfunktionen, Kühlwasser et cetera Bescheid wusste, bohrte er Bolzen um Bolzen. Er war froh und zufrieden, eine so leichte Arbeit gefunden zu haben.Und er war nicht mehr vom Wetter abhängig, saß immer im Trockenen. Ein bisschen muss er seinen alten Beruf aber doch vermisst haben: Denn nach und nach begann er, während der Arbeitszeit von fetten Kühen und dicken Schweinen zu träumen.
In der dritten Woche an seinem neuen Arbeitsplatz war alles für ihn schon zur Routine geworden. Allerdings hatte er sich eine kleine Unart angewöhnt: Das Loch in der Bohrvorrichtung, durch das er den Bolzen einführen musste, reinigte er entgegen der Anweisung ab und zu mit dem rechten Zeigefinger von Spänen. Eines Tages geschah es dann. In Gedanken wieder einmal bei seiner Landwirtschaft, steckte er statt eines Bolzens seinen rechten Zeigefinger in die Bohrvorrichtung.
Ein lauter Schrei alarmierte seine Arbeitskollegen: Alfred hatte sich aus Versehen durch den rechten Fingernagel gebohrt. Als er den Finger aus dem Loch zog und das Blut sah, wurde er ohnmächtig und fiel vom Stuhl. Seine Kollegen haben ihn dann zur nahen Sanitätsstation gebracht, wo er ordentlich versorgt wurde. Danach schickte ihn der Werksarzt nach Hause, denn er sah, dass mit Alfred für heute nichts mehr anzufangen war.
Tags drauf war er jedoch schon wieder da. Eine Zeitlang wirkte er verstört und schämte sich wegen seines Missgeschicks. Bald aber war er wieder der Alte. Nur auf der Arbeit zu träumen, unterließ er fortan.

 

 Teil 1 Die Vorgeschichte: ,,Die wichtigste Entscheidung der vergangenen 100 Jahre“

 

 

 

 

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Text: Eric Scherer; Fotos: Alex Heimann, Opel Archiv