Der Schriftzug „HYDROGEN“ verrät es: Vor dem M55 auf dem Rüsselsheimer Werksgelände parken keine gewöhnlichen Opel Vivaro-e – es sind kleine Stromkraftwerke auf Rädern. Der Strom, der die Transporter antreibt, wird nicht in großen Batterien gespeichert. Er wird stattdessen während der Fahrt erzeugt. Dafür sind an Bord jeweils drei Wasserstofftanks (im Unterboden) sowie eine Brennstoffzelle (unter der Motorhaube). Eine extern aufladbare Batterie ist außerdem Teil des Systems. Brennstoffzellenantrieb plus Lademöglichkeit mit dem Stecker – erfindet Opel den Plug-in-Hybrid neu? Wir sind neugierig.
Bei einer Testfahrt mit Dr. Lars Peter Thiesen wollen wir mehr über den alternativen Elektroantrieb à la Opel erfahren. Und der Leiter der Einführungsstrategie Wasserstoff und Brennstoffzelle ist bestens gelaunt, als er auf dem Fahrersitz Platz nimmt. Kein Wunder, seit der promovierte Physiker 1998 ins Unternehmen eingestiegen ist, arbeitet er auf dieses Ziel hin: „Mit dem Vivaro-e HYDROGEN haben wir jetzt als erster Hersteller einen Wasserstoff-LCV auf die Straße gebracht – ein Meilenstein!“, sagt er und dreht auch schon den Zündschlüssel um.
„Mit dem Vivaro-e HYDROGEN haben wir jetzt als erster Hersteller einen Wasserstoff-LCV auf die Straße gebracht – ein Meilenstein!“
Geräuschlos rollt das Stromkraftwerk los. Der Manager erklärt das Zusammenspiel aus Brennstoffzelle und Batterie – Vorgänge, die im Verborgenen ablaufen: Wasserstoff wird aus den Tanks in Richtung Brennstoffzelle geleitet, der Druck dabei von 700 auf etwa 1 bis 2 bar reduziert. Das Anfahren auf den ersten Metern übernimmt währenddessen die Batterie unter den Vordersitzen; sie unterstützt auch bei Lastspitzen, etwa beim Beschleunigen. So sorgt der kombinierte Plug-in-Brennstoffzellen-Ansatz nicht nur für mehr Leistung, die Brennstoffzelle kann auch immer unter optimalen Bedingungen betrieben werden. „Das bietet Vorteile hinsichtlich der Lebensdauer“, sagt Thiesen. „Und die Hybridisierung bedeutet auch: Wir können Bremsenergie zurückgewinnen.“ Das größte Plus aber sei das clevere Packaging, das das Mid-Power-Konzept ermöglicht.
Nichts als dynamisches Gleiten
So ist die Karosserie unverändert. „Das Ladevolumen von bis zu 6,1 Kubikmeter bleibt erhalten, genauso wie die Zuladung und die Anhängelast von jeweils einer Tonne – für einen Transporter unabdingbare Parameter“, so Thiesen. Nicht zuletzt sorgt die Batterie für 50 Kilometer extra Reichweite. Ein leises Sirren setzt ein. „Der Kompressor läuft an“, kommentiert Thiesen. Wir erfahren, dass der Kompressor jetzt Außenluft an die Brennstoffzellen liefert. Die chemische Reaktion mit dem Wasserstoff, die den Strom erzeugt, startet. Und der Transporter – der fährt einfach. Kein Ruckeln, kein Hoppeln. Nichts als leises, gleichmäßiges, dynamisches Gleiten. „Und als einziges Produkt der Reaktion kommt reiner Wasserdampf aus dem Auspuff – wir fahren also emissionsfrei.“
„Als einziges Produkt der chemischen Reaktion kommt reiner Wasserdampf aus dem Auspuff – wir fahren also emissionsfrei.“
Das emissionsfreie Plug-in-Brennstoffzellen-Fahrzeug, das Lars Peter Thiesen mit 110 km/h Spitzengeschwindigkeit über die Autobahn gleiten lässt, ist das Ergebnis jahrzehntelanger Wasserstoff-Expertise. Über 20 Jahre haben Kollegen im Unternehmen Erfahrungen mit der „kalten Verbrennung“ von Wasserstoff gesammelt, haben Grundlagenforschung betrieben und dabei Industriestandards gesetzt. Thiesen erinnert sich an den ersten Prototyp, den HydroGen1, der bei den Olympischen Spielen 2000 in Sydney medienwirksam als Pace Car bei den Marathon-Wettbewerben am Start war, den HydroGen3, der als erstes Auto der Welt über ein 700 bar-Tanksystem verfügte, oder den HydroGen4, der sechs Jahre später bei einem international bedeutenden Markttest seine Alltagstauglichkeit in Kundenhand unter Beweis stellte. „Hohe Reichweite, Null-Emissionen, kurzer Tankstopp: Die Vorteile lagen und liegen auf der Hand. Und wir haben die Technologie stets vorangetrieben – aus tiefster Überzeugung.“ Das größte Problem sei seinerzeit das fehlende Tankstellennetz gewesen. Das wollte niemand aufbauen, solange noch keine Wasserstoff-Fahrzeuge auf der Straße waren. Doch dieses Henne-Ei-Dilemma ist überwunden.
Entscheidender Vorteil: Schnelles Betanken
Die H2 MOBILITY GmbH, ein Konsortium bestehend aus Energieunternehmen und Autobauern, betreibt aktuell 95 Wasserstofftankstellen allein in Deutschland, Tendenz steigend. Im Rhein-Main-Gebiet gibt es zum Beispiel zwei Tankstellen in Frankfurt, eine in Offenbach, eine in Wiesbaden. Letztere steuert der Opel-Manager gerade an. Denn: Eine Testfahrt im Vivaro-e HYDROGEN ist nicht komplett ohne eine Demonstration des entscheidenden Vorteils der Technologie: Dem minutenschnellen Tanken für eine hohe Reichweite – im Falle des Opel 400 Kilometer gemäß WLTP.
Und es geht wirklich fix: Tankdeckel öffnen, Tankpistole aufstecken, den grünen Startknopf drücken, und mit einem leisen Zischen wird mit 700 bar Druck gasförmiger Wasserstoff in den Tank gepumpt. Nach drei Minuten ist der Tankvorgang abgeschlossen, die Wasserstoff-Anzeige im Cockpit bestätigt es – das einzige Detail übrigens, das den Brennstoffzellen-Vivaro im Innenraum von einem gewöhnlichen Vivaro-e unterscheidet.
Made in Rüsselsheim
Der Opel Vivaro-e HYDROGEN und seine Konzern-Geschwistermodelle werden bei Opel Special Vehicles (OSV) in Rüsselsheim gefertigt. Im 1.500 Quadratmeter großen Fertigungsbereich mit 70 Mitarbeitern können pro Jahr mehrere Hundert Einheiten des emissionsfreien Transporters produziert werden. Dabei wird die Antriebsbatterie des Vivaro-e durch drei 700-bar-Wasserstofftanks aus Karbonfasern mit zusammen 4,4 Kilogramm Fassungsvermögen ersetzt. Auch der 45 kW-Brennstoffzellenantrieb ist so kompakt, dass er zusammen mit dem 100kW/136 PS-Elektroantrieb unter der Motorhaube Platz findet. Beim Starten oder Beschleunigen sowie bei der Höchstgeschwindigkeit unterstützt die unter den Vordersitzen untergebrachte 10,5 kWh-Lithium-Ionen-Batterie. Sie kann extern geladen werden, so dass das Fahrzeug 50 Kilometer rein batterie-elektrisch zurücklegen kann.
Vorteile des Plug-in-Brennstoffzellen-Ansatzes: Die Karosseriestruktur muss nicht verändert werden und auch das Ladevolumen bleibt unverändert. So besitzt der wahlweise in den Längen M und L (4,96 und 5,30 Meter) lieferbare Transporter mit 5,3 und 6,1 Kubikmetern identisch große Laderäume wie die Diesel- oder batterieelektrischen Vivaro-Varianten.
Die Produktion des Vivaro-e HYDROGEN wird derzeit in Abstimmung mit den Zulieferern hochgefahren. Die OSV-Experten unterstützten die Engineering-Abteilung bereits bei der Entwicklung und dem Bau von Prototypen. Denn das in Rüsselsheim gewonnene Know-how wird für die künftige Serienproduktion in den Werken genutzt. So hat der Opel-Mutterkonzern Stellantis bekanntgegeben, dass der Antrieb auch in einen größeren Transporter und Pick-ups eingebaut werden soll.
„Wir haben immer an die Brennstoffzelle geglaubt. Es war nur eine Frage der Zeit. Und nun ist das Serienprodukt da.“
Vor drei Jahren sei die Entscheidung gefallen, den Vivaro-e HYDROGEN zu konzipieren und zu entwickeln, erzählt der Manager auf der Rückfahrt nach Rüsselsheim. „Das war ein besonderer Moment: Wir haben immer an die Technologie geglaubt. Es war nur eine Frage der Zeit. Und nun ist das Serienprodukt da“, sagt er. Auch der Bund sieht das Potenzial und hat mit dem KsNI-Programm (Klimaschonende Nutzfahrzeuge und Infrastruktur) inzwischen ein wichtiges Förderinstrument für die Markteinführung von Nutzfahrzeugen mit Brennstoffzelle geschaffen. Hinzu komme, dass Wasserstoff ein hervorragender Speicher für Strom aus erneuerbaren Quellen ist, erwähnt der Brennstoffzellen-Spezialist und deutet damit auf die große Bedeutung von Wasserstoff für das Gesamtenergiesystem der Zukunft hin.
Beitrag zur Elektrooffensive
Dabei tritt die Brennstoffzelle beim Fahrzeugantrieb nicht in Konkurrenz zur Batterie. „Es ist kein Entweder-oder, sondern ein Sowohl-als-auch“, sagt Lars Peter Thiesen. Jede Technologie könne je nach Anforderung ihre Stärken ausspielen. „Da gerade für Flottenkunden und im Lieferverkehr Reichweite und Zeitersparnis eine große Rolle spielen, haben wir uns bei der Markteinführung des Brennstoffzellenantriebs für leichte Nutzfahrzeuge entschieden“, erläutert er. Und je mehr Kunden sich für ein Brennstoffzellenfahrzeug entscheiden, desto weiter reduzieren sich die Kosten. Als einer der ersten Kunden setzt der Haushaltsgerätehersteller Miele auf den emissionsfreien Opel-Transporter. Service-Techniker sind bereits im Rhein-Main-Gebiet damit im Einsatz. Geht es nach dem Opel-Strategen, könnte der Wasserstoff-Brennstoffzellenantrieb auch in zusätzlichen Fahrzeugklassen zum Einsatz kommen – „wenn sich der Markt und das Wasserstoff-Ökosystem entsprechend entwickeln.“
Juni 2022