Uruguay oder Argentinien. Das sind die Alternativen. Das Ergebnis der vielen Gespräche und durchdiskutierten Nächte. Alexandre Herrero Crespo und Sonsoles Ramírez wandern aus. Nach Südamerika. Eigentlich wollen sie nicht, räumen sie ein. Es sei eher die Hoffnung darauf, das eigene Leben endlich wieder selbst in die Hand zu nehmen. Der Handelsrecht-Absolvent und die Lehramts-Absolventin sind jetzt 28 und 30 Jahre alt. Viel zu lange und zu zermürbend verlief ihre vergebliche Jobsuche. „Mal abwarten, was der heutige Tag bringen wird“, sagt Alexandre Herrero Crespo noch schulterzuckend. Es ist frühmorgens 8:15 Uhr. Vis-à-vis der Pilar-Kathedrale in Saragossa, der Hauptstadt der Region Aragón in Nordostspanien. Das Paar wartet auf einen Shuttlebus, der sie nicht nur ins Opel-Werk im benachbarten Figueruelas bringen sollen. Sondern auch ein Stück näher an eine berufliche Perspektive.
Die Teilnehmer haben Lebensläufe im Gepäck,
gekoppelt an Ambitionen und einen Traum.
Es ist eine Premiere der besonderen Art. Der Auftakt des allerersten Coaching Day. Zugleich der Startschuss dieses von Opel und General Motors initiierten, europäischen Projekts zur Reduzierung der exorbitanten Jugendarbeitslosigkeit. Das Motto: „In charge for the next generation in charge“ (dt. Verantwortlich für die kommende Generation in Verantwortung). Die 420 Teilnehmer, die bei 40 Grad im Schatten in Figueruelas ankommen, haben Lebensläufe im Gepäck, gekoppelt an Ambitionen und einen Traum, der im Opel-Werk – dem größten Europas – näher erscheint als Monate oder Jahre zuvor: nämlich einen Beruf zu finden, der ihrem Profil entspricht.
Alejandro García (22)
Für den Mechanik-Ingenieur hat sich die Teilnahme am Coaching Day in Saragossa bereits ausgezahlt. Dem 22-Jährigen winkt nach einem teils auf Deutsch geführten Interview beim deutschen Reifen- und Technologiekonzern Continental ein Praktikum. „Ich bin überglücklich“, sagt er. Opel sei er dankbar, für die Einladung, die ihm eine „wichtige Türe öffnen konnte“.
Treffen mit dem spanischen König Felipe VI.
Marina Ons Vidal (26, rechts) und
Claudia Ferrero Baranda (27)
„Wir, die junge Generation, sind qualifiziert, aber es gibt keine Arbeit. Und schon gar keine qualifizierten Jobs.“ Marina Ons Vidal (26) hat Rechtswissenschaft studiert. Auf Einladung des Jobservice Instituto Aragonés de Empleo (INAEM) nimmt sie am Opel Coaching Day teil. Ihre Freundin, Claudia Ferrero Baranda (27), Unternehmensführungs-Absolventin, warf ein: „Wir sind desillusioniert.“ Doch zugleich seien sie dankbar, für die Möglichkeit, hier in Figueruelas sein zu können: „Zumindest sorgen sie sich um uns“, das beweise der Event allemal.
„Ich würde heute nicht hier stehen, wenn mir die Gesellschaft in meiner Jugend die Möglichkeit verwehrt hätte, Arbeit zu finden“, sagt Opel-CEO Karl-Thomas Neumann zur Begrüßung. Wo er unterstrich: „Jugendarbeitslosigkeit kann man nicht akzeptieren.“ Unternehmen, Politik und Ausbildungsinstitutionen seien gefordert. Immerhin gehe es „um die Zukunft Spaniens, und um die ganz Europas“. Noch bis Ende 2016 folgen identische Coaching-Events in den Ländern Portugal, Italien, Ungarn und Polen.
„Jugendarbeitslosigkeit kann man nicht akzeptieren.“
Opel-CEO Karl-Thomas Neumann
Der spanische Opel-Kommunikationschef Fernando Saiz zeigt sich beeindruckt von der außerordentlichen Kooperationsbereitschaft. Neumann persönlich sei es gewesen, der sich an Chefs von 22 spanischen, deutschen und internationalen Konzernen von Weltruf wandte, um sie als Co-Gründungsmitglieder sowie als Teilnehmer aus Spanien und der Region Aragón zu laden: „Alle sagten prompt zu. Es gab nicht eine Absage“. Darunter namhafte Global-Player: Etwa der Autovermieter Sixt, „der zum Anlass eigens eine Dependance in Saragossa eröffnete“, berichtet Saiz. Sowie Continental, die Banken Ibercaja und Deutsche Bank, der weltführende Bremsenhersteller Brembo, der spanische Haushaltselektronikerzeuger B/S/H, Telepizza nebst dem Consulter und Headhunter Kienbaum.
DIE HOFFNUNG NICHT AUFGEBEN
„Es ist unsere Verantwortung, uns der jungen Generation zu widmen. Und zwar jetzt. Denn bereits in naher Zukunft wird sie am Ruder sein“, betont Antonio Cobo, Chef von GM Spanien. Bei fast 50 Prozent Jugendarbeitslosigkeit in Spanien, das sich eben von der tiefen Wirtschaftskrise langsam zu erholen scheint, fällt es vielen der Teilnehmer schwer, nach zig Rückschlägen und Praktika, auf der Suche nach einem Arbeitsplatz, der ihrer hohen Qualifikation entspricht, nicht die Hoffnung gänzlich aufzugeben.
Wie Daniel García (22), Ingenieurswissenschaften-Absolvent aus Saragossa, der „nur zu gern bei B/S/H-Balay, dem führenden Haushaltsgeräte-Erzeuger Spaniens, seine Karriere starten würde“, wie er sagt. Spezialisiert auf Elektrotechnik, wäre es für García das Ideale, dort „Beruf und sein angestrebtes Master-Studium zu kombinieren“. Nach mehreren Praktika will auch Carlos Conesa Alfranco (22), studierter Financial Business Administrator, nur noch eines: „Eine feste Anstellung, ganz gleich wo. Doch im Idealfall in einem multinationalen Konzern.“ Etwas, das die Mehrheit der Coaching Day-Teilnehmer bevorzugt. Denn nicht nur der Berufseinstieg ist in Spanien noch außerordentlich schwer. Auch die Vertrags- und Lohnverhältnisse nach der Krise haben sich besonders in kleinen, lokalen Unternehmen deutlich verschlechtert.
Nicht nur der Berufseinstieg ist schwer. Auch die Vertrags- und Lohnverhältnisse haben sich deutlich verschlechtert.
Jedoch nicht die Jobvermittlung per se ist Ziel des Coaching Day. Sondern die Chancen der jungen Generation am Arbeitsmarkt zu steigern. Natürlich ist das für beide Seiten, wie Neumann zum Ausklang betont, von Vorteil. Denn zugleich eröffnen sich für Arbeitgeber Chancen, in einem großen Pool Hochqualifizierter wertvolle Nachwuchskräfte zu finden. Eine Rechnung, die offenbar aufgeht: Bereits beim ersten Coaching Day dieser Art werden Dutzende Praktika und eine Handvoll Trainee-Programme vermittelt.
BERUFSSTART DANK INCHARGE GEGLÜCKT
Zu den Glücklichen zählt Paloma Collar (25), Industrieingenieurin aus Saragossa, die im Jobinterview mit Continental überzeugen konnte und schon bald ein internationales Trainee-Programm startet. „Es war ein sehr tief gehendes, langes und komplexes Bewerbungsgespräch. Natürlich auf Englisch.“ Sie sei „sehr zufrieden“ und hoffe auf eine Karriere in Deutschland oder der Schweiz, wo ihre Schwester lebe.
Zum Ausklang treffen wir auch wieder auf Alexandre Herrero Crespo und Sonsoles Ramírez. Was der Tag ihnen gebracht habe? „Hoffnung“, sagen sie. Sie hätten nicht nur wertvolle Kontakte geknüpft. Auch Ratschläge, wie jene von Ulrich Schumacher, Vorstand Personal und Arbeitsdirektor der Adam Opel AG, haben sie verinnerlicht: „Vertraue auf Dich selbst, sei stolz auf das, was Du kannst. Und sei geduldig.“ Und was ist mit den Plänen, auszuwandern? „Die liegen erst einmal auf Eis“, sagt Sonsoles.
Argentinien oder Uruguay sind erst einmal gestrichen. Auch das ein erstes Ergebnis einer Initiative, die in Saragossa ihren vielversprechenden Anfang genommen hat.
DIE TEILNEHMER…
…waren aus über 800 Bewerbern ausgewählt, in enger Kooperation mit dem Jobservice der Region, dem INAEM (spanisch Instituto Aragonés de Empleo). Sie sind zwischen 20 und 35 Jahre alt. Und bauen auf verschiedenste Qualifikationen aus ihren eingeschlagenen Bildungswegen. Klarerweise sind darunter viele Ingenieure, die im Idealfall bei Opel selbst oder eben in Aragóns Automobilcluster generell auf eine Anstellung hoffen. Aber auch Wirtschafts- und Rechts- oder Sozialwissenschaftsabsolventen.
JE NACH PROFIL…
… waren die Teilnehmer in sieben Gruppen aufgeteilt, mit eigenem Tourprogramm. Bei dem die Werksbesichtigung natürlich nicht fehlen durfte. Die große Mehrheit von ihnen hat kürzlich den Universitätsabschluss gemacht. Oder ihre Berufsausbildung (span. Formación Profesional) erfolgreich abgeschlossen. Einige weitere stehen unmittelbar davor. Zudem sind auch bereits Berufstätige dabei, die sich vor Ort in Figueruelas nach beruflichen Um- und Aufstiegsmöglichkeiten informieren. Um ihre Chancen beispielsweise über die zu Online-Jobsuche zu erhöhen, gab es Workshops von INAEM-Community-Manager Juan Martínez de Salinas Murillo.
GEFRAGTER GESPRÄCHSPARTNER…
… war Christoph Metzelder, ehemaliger Real-Madrid und Borussia-Dortmund-Fußballer. Wie es ist am Spielfeldrand zu stehen, das wisse er nur allzu gut. Nicht zuletzt da er selbst Jahre verletzungsbedingt am Spielfeldrand verbrachte. Er ist als Gründer und Leiter der „Christoph Metzelder Foundation“ in Saragossa dabei. Die Stiftung bemüht sich, Kindern und Jugendlichen aus benachteiligten Familienverhältnissen über Ausbildungsprogramme und -stipendien Berufschancen zu eröffnen. „Bildung ist elementar“, sagt Metzelder. „Der Arbeitsmarkt ist das Problem. Gebt niemals auf, zu kämpfen. Ihr müsst euch der Herausforderung stellen.“
Text: Jan Marot, Fotos: Jan Marot, Opel
Stand Juli 2015