Wilder Ritt um die Ostsee

Die nördlichste Rallye der Welt

GPS und Navi bleiben zu Hause, nur Karte und Kompass sind erlaubt: Der „Baltic Sea Circle“ führt 7.500 Kilometer um die Ostsee herum. Gestartet wird mit mindestens 20 Jahre alten Fahrzeugen, Autobahnen sind tabu. Unterwegs gilt es Challenges zu lösen, die Teilnehmer sammeln Spenden für einen guten Zweck. 272 Teams waren von Mitte Juni bis Anfang Juli unterwegs.

Wohin Abenteuerlust doch führen kann. Zum Beispiel gut 3.000 Kilometer weg von zu Hause in den Norden Russlands, an die Grenze des Polarkreises. Jens Schlöffel, Kai Müller und Jens Schindler haben sich aufgemacht zum „Baltic Sea Circle“, der nördlichsten Rallye der Welt. Sie führt rund um die Ostsee über Schotterpisten und Gletscherpässe, durch russisches Schlagloch-Roulette und dichte Nadelwälder, vorbei an rauer Natur und beeindruckenden Metropolen. Einfach überwältigend.

 


GLETSCHER, SCHOTTER, SCHLAGLÖCHER


 

Wenn das Rallye-Auto ins Stocken gerät und mitten in der kargen Landschaft der Polargrenze weit und breit keine Rettung in Sicht ist – selbst dann schlägt die Lust aufs Abenteuer nicht in Frust um. Schließlich ist das Rallye-Team unter dem Namen „Irgendwas ist immer“ an den Start gegangen. Unvorhergesehenes passiert – eine Autopanne, na und? Das Team hat genug technischen Sachverstand gebündelt, um Probleme zu beheben.

 


Natur, Weite, Ruhe: Für solche Augenblicke nimmt man das Abenteuer auf sich.


»Baujahr 1992 – das ist eine Ansage!«


 

Jens Schlöffel (46) und Kai Müller (35) arbeiten beim Opel-Autohaus Schinner in Weimar,  der Dritte im Bunde, Jens Schindler (40), in einem Autohaus in Straubing. Das Fahrzeug, mit dem sie angetreten sind, ist ein Opel Frontera. Mit dem Modell kennen sich die drei aus. Als der Geländewagen zu Beginn der 90er-Jahre auf den Straßen unterwegs war, haben sie bereits ein aktives Schrauberleben geführt.

„Baujahr 1992 – das ist allerdings eine Ansage“, sagt Jens Schlöffel. Denn das ist eine der strikten Regeln, die für die Rallyes des „Superlative Adventure Club“ gelten, der auch für den „Baltic Sea Circle“ verantwortlich zeichnet: Die teilnehmenden Fahrzeug müssen mindestens 20 Jahre alt sein. Und da kann ein Team noch so viel Schrauber-Kompetenz vereinen, manche Ersatzteile sind nur noch schwer zu beschaffen. Erst recht am Polarkreis, 360 Kilometer südlich von Murmansk.

 

 


→ Einige Wochen zuvor hatten die drei Abenteurer den Frontera  in Erfurt gekauft, 2.500 Euro hat er gekostet. Mit vereinten Kräften restaurierte das Trio den Geländewagen. Kupplung, Lichtmaschine und Tank wurden erneuert, ein für die Schaltung benötigtes Ersatzteil in Thailand geordert. Dem Start stand nichts mehr im Wege.

Die Rallye ging in Hamburg los, nach einigen hundert Kilometern aber kündigt die Benzinpumpe ihren Dienst. Was nun? Andere Rallye-Teilnehmer schließen zu dem liegengebliebenen Team auf. Alle halten an, fragen, ob und wie sie helfen können. „Allein das wird uns unvergesslich bleiben, diese Hilfsbereitschaft untereinander“, erzählt Jens Schlöffel. Aber, wen wundert’s, eine passende Benzinpumpe hat niemand dabei.

Also muss ein Abschleppdienst her. Der allerdings braucht seine Zeit in diesen Breiten. 24 Stunden dauert es, bis der Frontera am Seil hängt. Anschließend wird er 600 (!) Kilometer gezogen, bis die nächste Werkstatt erreicht ist. „Das ist ungefähr so, wie wenn du in München eine Panne

Fundstück: Das Wrack, das in einem Waldstück bei Ryd vor sich hinrostet, war angeblich einst der Tourbus der Popband Abba.


 

hast, dir aber erst in Schwerin geholfen werden kann“, veranschaulicht Jens Schlöffel. „Doch so sind nun mal die räumlichen Dimensionen in Russland.“ In der Werkstatt am Ende der Welt ist eine alte Lada-Pumpe verfügbar, und das fachkundige Rallye-Team erkennt sofort: Die passt. Aber: Es ist drei Uhr nachts. Von den russischen Service-Mitarbeitern will da keiner mehr an die Arbeit gehen. Also nehmen die Kunden die Sache selbst in die Hand.


Brennt zwei Mal: Die Teilnehmer zelebrieren den Mittsommer mit einem Bad im Polarmeer und einem Tanz ums Feuer.


Um fünf Uhr morgens läuft der Frontera wieder. Durchatmen – und erst mal entspannt zurücklehnen? Von wegen. Schließlich sind zwei Tage verloren gegangen, die wollen aufgeholt werden. Also rein in den Opel und los. 48 Stunden am Stück wechseln sich die Drei anschließend am Steuer ab. Und der Sightseeing-Tag, der in St. Petersburg vorgesehen war, wird ersatzlos gestrichen – irgendwas ist halt immer.

Am Ende erreicht das Team den Zielort Hamburg nach den vorgesehenen 16 Tagen. Die Ankunft ist nur eine von vielen unvergesslichen Erinnerungen an diese Reise. Das Team musste sich nicht nur unvorhergesehenen Herausforderungen stellen. Die „SAC“-Rallye-Leitung hatte den Teilnehmern eine Vielzahl weiterer Aufgaben gestellt, für deren Lösung einiges Improvisationstalent gefragt war. Eine skurriler als die andere, das ist ein weiteres Markenzeichen dieser Ausfahrten. Schließlich soll man mit den Einheimischen in Kontakt kommen.

 


VON ZIEGEN UND PFERDEN


 

Einmal musste sich das Team – mitten in Russland wohlgemerkt – in Taucheranzügen ablichten lassen. Oder eine Ziege auf den Beifahrersitz des Fronteras setzen. Oder den Wagen von einem Pferd ziehen lassen. „Erklär mal mitten in der Pampa einem Russen, dass du einen Taucheranzug brauchst“, schmunzelt Schlöffel. Wobei die Jungs aus Thüringen leicht im Vorteil waren. Sie haben in ihrer Schulzeit noch Russisch gelernt – „aber, ehrlich gesagt, so schrecklich viel hängen geblieben ist davon nicht.“ Mit Händen und Füßen kommuniziert es sich besser. „Davon abgesehen sind die Russen ein sehr gastfreundliches und hilfsbereites Volk.“ Lediglich diejenigen, die an den Landesgrenzen ihren Dienst tun, seien etwas schwieriger zu handhaben.

»Erklär mal mitten in der Pampa einem Russen, dass du einen Taucheranzug brauchst.«


 

Eine der Challenges, die unterwegs erledigt werden mussten: Sich in Taucher-Montur ablichten lassen.


Passt auf: Das Maskottchen wird für einen guten Zweck versteigert.


→ Mit der Ankunft im Ziel war der „Baltic Sea Circle“ jedoch nicht zu Ende. Die Spendenaktionen, die ebenfalls fester Bestandteil der Rallye sind, laufen noch bis Jahresende. Das „Irgendwas ist immer“-Team sammelt fürs Kinderhaus Weimar und den „Wünschewagen Jena“.

Mit an Bord war zum Beispiel der Teddy „Wünschi“, das Maskottchen des Wünschewagens. Ihn haben die Rallye-Fahrer vor allen möglichen Panoramen fotografiert. Demnächst soll er für den guten Zweck versteigert werden.

Und was wird aus dem Frontera, der – abgesehen von der kleinen Unpässlichkeit – seine Sache bravourös machte? „Den halten wir erst mal in Ehren. Und vielleicht bekommt er sogar einen Platz im Showroom unseres Arbeitgebers“, verrät Jens Schlöffel. Das Autohaus Schinner hat seine Mitarbeiter tüchtig gesponsert, unter anderem die Kosten für die zahlreichen Ersatzteile übernommen, die beim Herrichten des Opel anfielen.

Zum Jahresende soll der Veteran allerdings verkauft werden. „Am liebsten an jemanden, der ebenfalls den ‚Baltic Sea Circle‘ fahren will“, so der Team-Captain. „Denn dem können wir dieses Auto guten Gewissens empfehlen – denn da hat es ja gezeigt, was es kann.“ ♦

 


 

Juli 2019

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Text: Eric Scherer; Fotos: privat, Baltic Sea Circle