Herr Arndt, „Lademeister im Designeroutfit“, „Der stilvolle Kombi“ oder „Gefällt uns (…) schon beim ersten Anblick“ – schaut man sich das Presseecho zum neuen Astra Sports Tourer an, dann fällt auf: Das Design kommt besonders gut an.
Oh ja, das Feedback ist wahnsinnig positiv. Es freut uns sehr, dass wir unser Ziel erreicht haben: einen Sportkombi zu gestalten, der Emotionen weckt, der begehrenswert ist. Die positiven Reaktionen sind natürlich umso wertvoller, da der Astra Sports Tourer der erste Opel/Vauxhall-Kombi ist, der auf Basis unserer mutigen, klaren Philosophie entstanden ist
Die Designphilosophie wurde 2018 mit dem Konzeptfahrzeug GT X Experimental eingeführt – welche Rolle spielte sie während des Entstehungsprozesses des Astra?
Eine sehr, sehr wichtige. Es ist nicht so, dass wir das Designen neu erfunden haben, das konnten wir vorher auch schon. Doch durch die Philosophie, die wir mit „Bold and Pure“ beschreiben, hatten wir eine Ausgangslage, die fokussierter nicht hätte sein können: Wir sind die deutsche Marke im Konzern. Wir wollen perfekte Proportionen und klare Linien, Minimalismus und Präzision. Wir hatten ein klares Ziel vor Augen und einen Kompass, der uns geleitet hat.
Nehmen Sie uns gerne einmal mit in den Prozess: Entstehen die Entwürfe für den Caravan parallel zu denen des Fünftürers?
Ja und nein, erst wenn das erste Design des Fünftürers eingefroren wird – wir nennen das den „Design Freeze“ – nehmen wir die Kombi-Version genauer ins Visier. Die Front und die vordere Seitenansicht des Fünftürers und des Caravans sind identisch. Ab der B-Säule starten wir mit einem weißen Blatt Papier. Die Kreativen blocken sich zwei Wochen im Kalender für den so genannten „Sketch Blitz“. Das Execution Team rund um Niels (Niels Loeb, Chefdesigner Exterior, Anm. der Redaktion) kommt dafür zusammen, es gibt ein Briefing, dann wird gezeichnet. Manchmal klassisch mit Papier und Stift aber meist mit dem Stylus auf dem Bildschirm. Drei, vier Tage lang. Jeder für sich. Dann trifft sich das Team wieder und die entstandenen Entwürfe werden gesichtet.
STEFAN ARNDT
Als der gebürtige Berliner 1986 ins Unternehmen einstieg, gestaltete er das Außendesign des Omega B, in den 90er-Jahren dann das des ersten Zafira, den ersten Siebensitzer seiner Klasse. Später leitete Stefan Arndt das Advanced Design von Opel/Vauxhall, beschäftigte sich mit neuen Plattform-Architekturen und Studien rund um das Auto der Zukunft. Seit 2005 ist er Chefdesigner Interior. Unter seiner Leitung entstanden unter anderem ADAM, Meriva B, Insignia und der Feinschliff des neuen Astra.
„Wir hatten ein klares Ziel vor Augen und einen Kompass, der uns geleitet hat.“
Treten denn die Entwürfe der Designer gegeneinander an?
Nein. Es geht nicht darum, in Konkurrenz zu treten, sondern eher darum, das Beste herauszufiltern. Bevor es dann in die nächste Zeichenrunde geht. Und die übernächste. Es ist immer ein wahnsinnig intensiver Prozess, an dessen Ende in diesem Fall die knackige Formensprache des Sports Tourers stand. Natürlich ist dann noch nicht jedes Detail finalisiert, aber das Ergebnis ist Basis für die ersten 1:1-Modelle, die wir durch die Befragung potenzieller Kunden testen. Was gefällt, welche Linienführung kommt besser an? Wenn dann die Entscheidung für einen Entwurf final gefallen ist, dann schlägt die Stunde meines Teams.
Was ist Ihr Part?
Wir sind das Industrialisierungsteam. Unsere Aufgabe ist es, den Entwurf auf die Straße zu bringen. Ich liebe diesen Prozess, er ist dynamisch und ergebnisorientiert. Und beim Astra Sports Tourer waren wir besonders heiß. Wir haben ja nicht nur eine lange Kombi-Tradition im Unternehmen, die meisten Astra Kunden – immerhin fast zwei von drei – entscheiden sich für den Caravan. Und für diese Kunden wollten wir ein Designerstück schaffen, das gleichzeitig seine Alltagstauglichkeit voll ausspielen kann.
Beginnen wir mit der Alltagstauglichkeit: Das Herz eines Kombis schlägt im Kofferraum, oder?
Definitiv. Dabei ist der Laderaum den gleichen Gesetzen unterworfen wie das Gesamtpaket: klare Linien und Präzision. Für eine möglichst niedrige Ladekante haben wir das Kennzeichen – anders als beim Fünftürer – in der Heckklappe integriert statt im Stoßfänger. Die Kofferraumöffnung ist so groß, da passt eine Waschmaschine rein. Und der Ladeboden ist absolut eben. Hinzu kommen durchdachte Details: ein Haken für die Einkaufstasche, serienmäßig Licht und eine 12 Volt-Steckdose. Die Rolloabdeckung verschwindet bei den Verbrenner-Modellen wenn gewünscht in einer zweiten Ladeebene. Von Augmented- bis Virtual Reality – modernste digitale Techniken haben dieses effiziente Packaging überhaupt erst möglich gemacht. Zumal wir uns in dieser Entwicklungsphase mit den Einschränkungen durch die Corona-Pandemie konfrontiert sahen. Ich bin mehr als einmal mit der VR-Brille im Gesicht virtuell in die Ladefläche eingetaucht. Das sieht für die daneben Stehenden ohne Brille dann recht lustig aus.
Und was zeichnet aus ihrer Sicht das Exterior des Sports Tourers aus?
Die Linienführung des Sportkombis ist sportlich-elegant. Er steht breit und satt auf der Straße. Ich würde immer das optionale schwarze Dach wählen – es unterstreicht den sportlich-gestreckten Look zusätzlich. In der Seitenansicht verstärken die nach vorne greifenden Säulen am Heck den Eindruck, als sei der Sportkombi zum Sprung bereit. Und natürlich findet sich auch beim Caravan in der Rückansicht der Opel-Kompass wieder – die horizontalen Linien lassen ihn auch aus dieser Perspektive breit auf der Straße stehen. Gleichzeitig war es uns wichtig, deutsche Modernität zu transportieren.
OPEL-KOMPASS
Beim Opel-Kompass kreuzen sich zwei prominente Achsen mit dem Markenemblem. In der Frontansicht leitet die Bügelfalte in der Motorhaube die vertikale Achse ein, während die Doppelscheinwerfer die horizontale Achse bilden. Auch in der Rückansicht findet sich beim Astra Sports Tourer der Opel-Kompass wieder – mit dem zentral in der Mitte angebrachten Blitz, der vertikalen dritten Bremsleuchte und den wie bei allen Astra-Lichteinheiten ultraschlanken LED-Rückleuchten.
„Ein Klassiker, der auch in vielen Jahren noch eine exzellente Figur auf der Straße macht.“
Inwiefern?
Wir wollten einen Caravan auf die Straße bringen, der noch effizienter ist. Aber nicht größer. Das waren wir dem Zeitgeist schuldig. Schluss mit größer, breiter, länger. Das haben wir geschafft: Der Sports Tourer ist kürzer als sein Vorgängermodell. Ganze sechs Zentimeter. Gleichzeitig ist der Radstand im Vergleich zur Vorgängerversion um sieben Zentimeter angewachsen, was natürlich dem Komfort der Passagiere zugutekommt. Der Astra Sports Tourer markiert ja schließlich auch in Sachen Antrieb eine Zeitenwende: Er ist seit dem Verkaufsstart als elektrischer Plug-in-Hybrid erhältlich – und damit unser erster elektrifizierter Kombi überhaupt. Bereits im Laufe des kommenden Jahres folgt eine batterie-elektrische Version. Das Design ist gleichermaßen nachhaltig: Es ist zeitlos schön. Wären wir Modedesigner, dann wäre der Astra Sports Tourer ein perfekt sitzender Maßanzug. Ein Klassiker, der fernab von Trends und Hypes auch in vielen Jahren noch eine exzellente Figur auf der Straße macht.
Welche Rolle spielt das Interior eigentlich im Vergleich zum Exterior?
Beides muss herausragend sein. Das Außendesign lockt die Kunden an, es verführt dazu, einzusteigen. Das finale „Haben-will-Gefühl“, dafür sorgt das Interior. Innen fällt die Kaufentscheidung. Ob wertige Materialien, gute Verarbeitung, eine angenehme Haptik und beste Bedienbarkeit – das Interior-Design ist sehr komplex. Deshalb gibt es bereits seit vielen Jahren ein Team, dass auf die Anforderungen im Innenraum spezialisiert ist.
„Das Außendesign verführt zum Einsteigen, im Innenraum fällt die Kaufentscheidung.“
Herr Arndt, vielen Dank, dass Sie uns die Faszination des Designprozesses anhand des Sportkombis ein wenig näher gebracht haben. Könnten Sie sich eigentlich vorstellen, etwas anderes als Autos zu designen?
Nein! An die Faszination und Komplexität ein Fahrzeug zu designen, reicht nichts heran. Ich wollte in den 80er-Jahren als Werbedesigner ins Berufsleben starten, doch ich merkte schnell, dass mir 2D nicht ausreicht. Ich brauche zusätzlich die räumliche Darstellung, das Formen mit Plastilin – heute mit dem Computer. Ein Auto zu erschaffen als Teil eines Teams mit großartigen Menschen, die ihr Bestes geben, ohne Ellenbogen-Mentalität, strukturiert, zielorientiert und kollegial – dafür liebe ich meinen Job. Und für den Moment, wenn das fertige Auto auf der Straße steht, die Menschen stehen bleiben und lächeln. Das ist mit nichts zu vergleichen.
Juli 2022