„Sicher, ich habe ein Abenteuer gesucht. Aber gefunden habe ich ein ganz anderes als das, das ich gesucht habe.“Axel Scholl-Poensgen ist immer noch hin- und gerissen. Wie soll er zusammenfassen, was er die vergangenen Wochen erlebt hat? Seine Motorradtour von Mainz in die Mongolei – die Opel Post berichtete bereits von dem Start seiner Reise – hielt überwältigende Erlebnisse bereit, an die er sich sein Leben lang mit Freude erinnern wird. Aber auch jede Menge körperliche und seelische Strapazen. Und bittere Stunden. Denn für einen Biker gibt es wohl nichts Schlimmeres als plötzlicher Stillstand nach fast 6000 Kilometer durchgehender Fahrt. Und tagelanger Ungewissheit, ob und wann es weitergeht.
Am zehnten Tag seiner Reise hatte ihn ein Getriebeschaden an seiner „Honda Africa Twin“ jäh gestoppt. In einer Hinterhofwerkstatt im russischen Novosibirsk versuchte Kirill, ein guter Geist und begnadeter Motorradschrauber, verzweifelt, die Maschine wieder in Gang in zu bringen. Ein neues „Getriebeausgangslager“musste her. Wo und wie Kirill dieses so schnell beschaffen konnte, musste er erst klären. Für Axel Scholl-Poensgen begann das Warten. Quälend und scheinbar endlos. Auf einmal nichts mehr tun können, um das Ziel zu erreichen – „das war die Hölle“, erinnert sich der 53-jährige, der im Berufsalltag die Server Operationen im Rüsselsheimer ITEZ überwacht.
„Wir wussten, dass es hart würde – aber so hart?“
Bis dahin war für die neunköpfige Crew der Euro-Biker, die die monströse 10.000 Kilometer-Tour auf sich genommen hatten, zwar nicht alles optimal, insgesamt aber gut gelaufen. „Wir wussten, dass es hart würde. Aber dass es so hart würde, hatten wir dann doch noch nicht gedacht.“ Von Moskau an ostwärts – ungefähr auf der Strecke, die Jules Verne einst seinen „Kurier des Zaren“reiten ließ – wurden die Straßen so schlecht, dass es bisweilen stundenlang nur im Schritttempo über holprige Beläge ging – „das schlaucht“. Mit der Maschine „hingelegt“ habe sich dabei jeder Mal, mancher auch mehrmals: „Aber toi, toi, toi – es gab keine schlimmeren Verletzungen.“Auch die Psyche blieb nicht unbelastet. „Stundenlang durch die monotone sibirische Steppe fahren, wobei man in der Ferne die Erdkrümmung zu erkennen glaubt – da verliert man jedes Zeitgefühl. Irgendwann weißman nicht mehr, ob man zwei oder schon sechs Stunden auf der Maschine sitzt.“
Brautpaare, Veteranen und ein Rammstein-Fan
Die Reise hielt jedoch auch großartige Begegnungen bereit. Nahezu überall wurden die Biker mit einer Freundlichkeit und Hilfsbereitschaft willkommen geheißen, „die wir so noch nirgendwo sonst erlebt haben.“Unter anderem begegneten sie dem nach eigenen Angaben fanatischsten russischen Fan der deutschen Hard Rock-Formation „Rammstein“, wurden Augenzeugen einer einheimischen Hochzeit und eines zu Herzen gehenden Treffens russischer Weltkriegsveteranen. „Bei Omsk stellte ich dann fest, dass mein Motorrad Öl verlor“, berichtet Axel Scholl-Poensgen weiter. Glücklicherweise ist die Bikerszene gut vernetzt: „Ein Freund in Deutschland hatte mir mal den Rat gegeben: Wenn du nach Omsk kommst und ein Problem hast, sprich mit Vitali.“Mit ein paar Anrufen machte er diesen tatsächlich ausfindig.
Russische Retter in der Not: Vitali und Krill
Vitali war auch sofort zur Stelle, begutachtete den Schaden – und urteilte: „Da kann nur noch einer helfen: Kirill. Der lebt allerdings in Novosibirsk.“Daraufhin ratterte Axel Scholl-Poensgen auf der defekten Maschine noch einmal 600 Kilometer weiter. In strömendem Regen nahm ihn dort der bereits verständigte Kirill in Empfang – und die Honda sofort komplett auseinander. Nach drei endlos langen Tagen des Wartens dann die niederschmetternde Nachricht: „Ich kann das Teil innerhalb Russlands nicht besorgen“. Ergebnis einer verzweifelte Schnellrecherche, was eine Expresslieferung aus Deutschland kosten würde – 1400 Euro, zuzüglich 400 Euro Materialkosten. Das war zuviel. Mögliche Alternative: Als Beifahrer eines Biker-Kameraden die Fahrt fortsetzen. Problem: Niemand vermochte mit Sicherheit zu sagen, wie die Zollbeamten bei der Ausreise reagieren würden. „Meinem Visum zufolge hatte ich ja ein Motorrad mitzuführen. Hätte man mich deswegen nicht aus dem Land gelassen, hätte ich tagelang am Grenzübergang in der nördlichen Mongolei festgesteckt.“ Zu riskant also.
Zwischen Schmerz und Freude
Zudem waren die Visa der Motorradcrew zeitlich befristet. Von daher musste nun eine Entscheidung fallen. Die lautete schließlich: Weiterfahren ohne den, der den Trip über ein Jahr lang vorbereitet und organisiert hatte. Ohne Axel Scholl-Poensgen. Das traf tief. Doch ohne sein Ziel nicht zumindest gesehen zu haben, mochte der Mainzer auch nicht nach Hause fliegen. Also buchte er kurzerhand einen Linienflug nach Peking, und jettete von dort aus nach Ulan Bator. „Es war großartig, die Stadt und dieses Land kennenzulernen – und die anderen dort ein paar Tage später willkommen zu heißen. Dann aber in die unendliche Weite des Landes zu blicken und daran zu denken, dass ich sie nicht wie geplant mit dem Motorrad durchquert hatte, tat weh.“ Vergangenen Mittwoch setzte er sich ins Flugzeug nach Hause, Donnerstag früh konnte er wieder seine Familie in die Arme schließen. „Das war doch das eigentliche Ziel“, tröstete er sich: „Heil wieder heimzukommen –und das habe ich geschafft.“ Derzeit bemüht er sich, auch seine Honda wieder heimzuholen, zu überschaubaren Kosten.