Riccardo Damiano zeigt mit dem Daumen nach oben. Er sitzt in einem knapp drei Meter langen Rennauto. Fünf seiner Teamkollegen der Technischen Universität (TU) schieben ihn gerade zurück in die Box. Der 25-Jährige nimmt seinen Helm ab, der schwarze Rennanzug mit den schmalen weißen Streifen passt optisch zum Fahrzeug. Das Team jubelt, Riccardo ruft: „Die Reaktion des Fahrwerks ist knackiger. Super!“
Nur zwei Wochen zuvor Wochen teilten sich elf Formel 1-Teams die Boxengasse am Hockenheimring, nun finden an gleicher Stelle 115 Rennställe Platz. Auf engstem Raum schrauben, testen und besprechen sich tausende Studenten, die sechs Tage im Dauerstress sind: Sie alle wollen beweisen, dass sie einen Rennwagen konstruiert haben, der das beste Gesamtpaket bei der Formula Student Germany (FSG) abgibt, bestehend aus Konstruktion, Fertigung, Rennperformance, Finanzplanung und Verkaufsargumentation. Sieben der Teams aus insgesamt 25 Ländern werden von Opel gesponsert. Darunter die Mannschaft der Technischen Universität Darmstadt.
Beim „Skid Pad“ unter den besten Drei
Genau wie die Profis weiß auch Riccardo Damiano, worauf es auf der Strecke ankommt: „Man muss ein gutes Gefühl fürs Fahrzeug haben und sollte möglichst wenige Lenkbewegungen machen.“ Die nötige Sensibilität für den Wagen und das Gefühl für Geschwindkeiten hat sich der Fahrer mit der typischen Pilotenfigur – eher klein, schlank, durchtrainiert – schon früh geholt: „Mit acht Jahren habe ich das erste Mal auf einem Kindermotorrad gesessen.“ Seine Leidenschaft zahlt sich aus. In der Disziplin „Skid Pad“, bei der die Rennwagen einen nassen Parcours in Form einer Acht durchfahren, landet Damiano auf dem dritten Platz. Damit ist bewiesen: Das Team hat einen der besten Wagen im Feld in Bezug auf die statische Querbeschleunigung entwickelt.
Ein paar Meter entfernt verfolgt Christian Butschek, ein weiteres der 35 Teammitglieder, mit wachen Blicken den Sicherheitscheck. „Ich habe die Vehicle Control Unit programmiert und bin für die Regelung und Fehlerbehandlung zuständig.“ Der Mathematik-Student mit den unzähligen Locken auf dem Kopf ist vom Projekt Formula Student begeistert: „Man lernt den Zeitdruck kennen, die Kommunikation mit anderen Fahrbereichen, außerdem, wie Ingenieure arbeiten. Ein Riesenprojekt, das einem weiterhilft!“ Die rote Lampe oberhalb des Pilotenkopfes leuchtet auf, der Hinweis dafür, dass der Versorgungsstrom für die Elektromotoren fließt. „Wir testen das lieber noch mal hier in der Box. Denn wenn der Rennwagen am Start steht und dann funktioniert es nicht, wäre das schon peinlich“, sagt der 25-Jährige.
Der neue Rennwagen wiegt 50 Kilogramm weniger
Mit hochrotem Kopf sitzt dagegen Richard Scholz in seinem Flitzer in der Box der Hochschule Rhein-Main Wiesbaden Rüsselsheim. Er ist sauer. Ein Jahr Arbeit hat das gut 30-köpfige Team in die Fertigung des Rennwagens mit Elektroantrieb gesteckt. Der Prototyp ist um 50 Kilogramm leichter als sein Vorgänger, die Flügel wurden weggenommen, die Verkleidung hinten entfernt, der Unterboden verkleinert, auch der Rahmen wiegt weniger. Und nun das. Beim „Acceleration Run“, bei dem die Rennwagen so schnell wie möglich beschleunigen und 75 Meter zurückliegen müssen, hat der Pilot mit dem rot-blonden Bart doppelt so lange gebraucht wie erhofft. Warum hat die „Flotte Biene“, wie die Rüsselsheimer ihren Boliden in den schwarz-gelben Opel-Farben liebevoll nennen, nur einen mauen Frühlingsflug hingelegt?
„Ich hatte Probleme mit der Endgeschwindigkeit“, sagt Scholz hastig. „Und mit dem Zwischengas.“ – „Du darfst nicht auf der Bremse stehen“, fällt ihm Jeffert Paulat, zuständig für die Pedalerie, ins Wort. „Erst Gas, dann kurz runter, dann volle Kanne, sonst drehen die Räder durch.“ Ein letzter Versuch bleibt dem Team beim „Acceleration Run“. Bei Scholz ist der Ärger verflogen, er ist voll konzentriert. Armin Dressler, kurzgeschorene Haare, markante schwarze Brille, gebürtiger Rüsselsheimer und zum dritten Mal in Folge beim FSG dabei, schiebt die „Flotte Biene“ samt Scholz in Richtung Startbereich. Die Zuschauer weichen zur Seite, Dressler genießt jeden Moment. „Das ist es, wofür sich der ganze Aufwand lohnt.“ Eine Woche zuvor durften alle Opel-Teams auf den Teststrecken in Rodgau-Dudenhofen und Pferdsfeld ausgiebig testen. Danach „haben wir jeden Tag rund um die Uhr in der Werkstatt gearbeitet“, sagt der 24-jährige Maschinenbau-Student. Er hat das Getriebe für den Boliden entwickelt. Die beiden biegen um die Ecke, wo Hunderte Fans gebannt durch den Zaun im Start- und Zielbereich auf die Fahrbahn schauen. Das Röhren der Verbrennungsmotoren schallt durch die Boxengasse, bei den Elektroantrieben ist es ein stetig lauter werdendes Summen.
Studenten bewähren sich in der Praxis
Direkt am Start steht Udo Zuck, Opel-Mitarbeiter im Bereich Fertigungstechnik. Er hat den von Opel unterstützten Teams in den vergangenen Monaten mit Rat und Tat zur Seite gestanden. „Wer hier mitmacht, kriegt im Beruf definitiv keinen Praxisschock. Die Studenten haben bewiesen, dass sie interdisziplinär denken und handeln können – und das unter großem Druck und mit viel Einsatz.“ Er richtet seinen Blick erneut auf die Fahrbahn. „Die Rüsselsheimer sind wieder dran.“
Richard Scholz steht mit seinem Rennwagen am Start. Er schaut gebannt nach vorne. Vor seinem inneren Auge spielt er kurz die Bewegungen seines Fußes durch, die jetzt sitzen müssen. Da geht auch schon die grüne Flagge nach oben, die „Flotte Biene“ saust mit ihrem lauten Summen los. Die Zuschauer recken ihre Hälse zum Display: Der Sportwagen erreicht nach 4,64 Sekunden mit einer Geschwindigkeit von 103 km/h das Ziel. Eine Zeit, die das Team zufrieden stimmt.
Zurück in der Box steckt die Crew schon wieder die Köpfe zusammen. Es wird immer weiter an der perfekten Abstimmung gefeilt. Eins ist klar: Die Studenten haben Benzin im Blut – und noch lange nicht genug.
Die Formula Student Germany besteht aus zwei parallel ausgetragenen Wettbewerben: die Formula Student Combustion (mit Verbrennungsmotoren) und die Formula Student Electric (mit Elektromotoren). Bei beiden Wettbewerben bauen Studenten in Teamarbeit einen einsitzigen Formelrennwagen. 115 Rennteams – 75 mit Verbrennungsmotor, 40 mit Elektroantrieb – waren 2014 auf dem Hockenheimring am Start.
Es gewinnt nicht unbedingt das schnellste Auto, sondern das Team mit dem besten Gesamtpaket aus Konstruktion, Rennperformance, Finanzplanung und Verkaufsargumentation. Die Studenten sollen in Vorbereitung auf den Wettbewerb annehmen, dass sie den Prototypen eines Rennwagens bauen, der auch in Kleinserie produziert werden kann. Die Teams durchlaufen die statischen Disziplinen „Engineering Design“, Kostenanalyse, Präsentation des Businessplans. Dazu kommen die dynamischen Disziplinen Geschwindigkeitsrennen, „Skid Pad“, Autocross, Kraftstoff-/ Energieverbrauch und Ausdauerrennen.
Für Opel waren erstmals in der Geschichte der Formula Student sieben Partnerteams am Start: „Scuderia Mensa“ der Hochschule Rhein-Main (Rüsselsheim), „DART Racing“ der TU Darmstadt, „HAWKS“ der Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg, „Fast Forest“ der Hochschule Deggendorf, sowie die drei Teams aus den USA „Ann Arbor“ der University of Michigan, „Pomona“ der California State Polytechnic University und „Washington FSAE“ der University of Washington.
Vielseitige Unterstützung erhielten die Teams von Opel: Teststrecken in Rodgau-Dudenhofen und das Prüffeld in Pferdsfeld wurden für Validierungs- und Trainingsfahrten bereit gestellt, Entwicklungschef Mike Ableson gab letzte Tipps vor dem Rennen, Opel half bei der Fertigung im Werkzeugbau, etwa von Felgen, zudem ging Peter Andres (technischer Leiter V2X Kommunikation) den Teams bei der Elektrotechnik zur Hand.
Infos und Ergebnisse unter: www.formulastudent.de