Die Opel Post-Redaktion der Nachkriegsjahre hatte einen sicheren Blick für Motive, die sich hochformatig gut darstellen lassen, wie sie für Titelbilder meist gebraucht werden. Nach dem Industrieschornstein der Startausgabe präsentierte sie auf der zweiten Ausgabe vom August 1949 den Opel Turm – fast so, wie man ihn auch heute noch kennt.
DER OPEL TURM, DIE WEHMUT, DAS HEIMLICHE GRÜSSEN
In die Zeit, in der die Aufnahme entstanden ist, verweist die untere Hälfte des Bildes: Da stehen Modelle des Opel Olympia in Reih und Glied, die auf den Abtransport und ihren Einsatz auf den Straßen der Welt warten. Den für den Begleittext zum Bild zuständigen Redakteur stimmt der Anblick wehmütig: „Einem Teil von ihnen werden wir wieder begegnen, vielleicht nach Jahren erst. Dann wird es ein heimliches Grüßen geben. Der Fahrer wird ihn nicht verstehen, diesen Blick; was weiß er auch von den Sorgen und Mühen, von der Arbeit, die uns mit jedem Teil seines Wagens verbindet.“
WARUM OPEL SEIN EXPORTGESCHÄFT WIEDER AUFBAUT
»Ströme von Schweiß werden umsonst fließen, Schrunden und Schwielen umsonst entstanden sein, wenn nicht in zähem Ringen mit der Konkurrenz der in- und ausländische Markt täglich immer wieder neu erobert würde.«
Das Unternehmen ist mittlerweile wieder in die Verkaufsorganisation von GM eingegliedert worden. Jetzt gilt es, die Absatzmärkte zurückzuerobern, die Opel durch den Weltkrieg verloren gegangen sind. Im Leitartikel der Ausgabe wird ausführlich erklärt, wie notwendig dieser Schritt vor allem auch für die im Wiederaufbau befindliche deutsche Volkswirtschaft ist.
Die zerstörte Infrastruktur, aber auch die gegenüber Wettbewerbern schwierigere Versorgung mit Rohstoffen werden als Hindernisse ebenso angeführt wie Absatzprobleme, die durch Währungsschwankungen entstehen.
KRITISCHE KÄUFER WOLLEN QUALITÄT UND GÜNSTIGE PREISE
„Wir dürfen keinesfalls den verhängnisvollen Fehler begehen, deutsche Erzeugnisse als qualitativ einzig dastehend zu betrachten, denn der Weltmarkt hat eine tiefgreifende Veränderung erfahren. Die Käufer sind durch das steigende Angebot und die fortschreitende Sättigung des Marktes sehr kritisch geworden, es haben daher nur Qualitätserzeugnisse mit günstigen Preisen eine Chance.“ Sätze, die heute nichts an Aktualität eingebüßt haben.
TYPHUS-GEFAHR IST NICHT GEBANNT – HYGIENE IM FOKUS
Anderthalb Seiten sind einem Interview mit dem damaligen Werksarzt gewidmet, der leider nicht namentlich genannt wird. Er weist eindringlich auf die große Bedeutung der Betriebshygiene hin. Klingt übertrieben? Keinesfalls: Im Interview ist zu lesen, dass es im ersten Quartal 1949 auch in Deutschland wieder zu Typhus-Epidemien kam – verursacht durch schlechte hygienische Bedingungen.
WAS WASCHRÄUME UND TOILETTEN VERRATEN
Der Werksarzt sagt: „Ein guter Gradmesser für die Reinlichkeit der hier auf engem Raum zusammengeballten Menschen sind besonders die Waschräume und die Toiletten, aus deren jeweiliger Sauberkeit man Rückschlüsse auf die hygienische Erziehung der sie Benutzenden ziehen kann.“
VOM TOLLEN FRANZ UND ANDEREN VERSUCHSFAHRERN
»Schon hatte er einen dieser langhaarigen Burschen gepackt und den Arm mit dem Messer herumgedreht, da stach dieser zu.«
Eine Szene wie aus Hollywoods „Schwarzer Serie“: Während einer Fahrt durch nasskalte, neblige Nacht erzählt der erfahrene „Versuchsfahrer“ Max dem Frischling Fritz, was es heißt, neue Opel auf Herz und Nieren zu testen – in einem immer währenden Kampf gegen die „Feinde“ Eis, Nebel und Müdigkeit. Oder gegen tumbe Hirschkühe, die sich plötzlich auf die Fahrbahn stürzen. Und bevor er einen ausgerutschten Radfahrer überfährt, reißt ein Opel-Versuchsfahrer lieber seinen Wagen von der Straße und stürzt in eine Kiesgrube – Berufsrisiko.
So unterhält der „Tatsachenbericht über die Versuchsfahrer der Adam Opel Aktiengesellschaft“ den Leser. Darin geht es auch um das Schicksal, das den „tollen Franz“ ereilte: Er wurde einst bei einer Versuchsfahrt ums Haar von einem betrunkenen Mob gelyncht. Dabei erlitt er eine Schnittverletzung am Arm, die ihn zwang, seinen Job aufzugeben – ohne Frage der literarische Höhepunkt der Ausgabe, zudem kongenial reißerisch illustriert.
DAMIT ES „WIE BEI MUTTERN“ SCHMECKT
Wie die „Küche D-10“ es schafft, Mittagessen für 1600 Mitarbeiter vorzubereiten und innerhalb von 30 Minuten auszugeben, schildert eine weitere Reportage mit großer atmosphärische Dichte: „Heißer Dampf durchzog den Raum und es war so schwül wie in der Küche wie draußen vor einem Gewitter.“ Kartoffeln und Gemüse sind in den frühen Morgenstunden frisch geschält und geputzt worden.
»Wenn man bei der Essensausgabe durch den geöffneten Schalter in die Küche blickt, könnte man annehmen, das Personal müsste es inmitten der gefüllten Fleischtöpfe besonders gut haben. Wir glaubten das zuerst auch, mussten uns aber belehren lassen, dass das Küchenpersonal am wenigstens von all den Schätzen hat.«
Herr Bobrich, Leiter der Wirtschaftsabteilung, verweist stolz darauf, „dass der größte Teil der Werksangehörigen mit dem Essen sehr zufrieden ist“. Und wenn sich die Ernährungssituation weiter verbessere, schmecke es bei Opel bald „wie bei Muttern“.
INTERESSANTE EINBLICKE
ZWISCHEN 12 UND 1
In der Mittagspause wird im Werk ganz schön was geboten, wie die Rubrik „Zwischen 12 und 1 geknipst“ (Collage links) dokumentiert. Konzerte, Boxkämpfe – unter Aufsicht des hessischen Amateur-Boxverbandes – sowie eine Demonstration im Barrenturnen durch Werksangehörige: Da fragt man sich, ob die Belegschaft da überhaupt zum Mittagessen gekommen ist.
NEU IN DER BÜCHEREI: THOMAS MANN
Den Beschäftigten steht eine eigene Werksbücherei offen. Die Opel Post-Redaktion rührt die Werbetrommel und stellt fest, „dass eine interessante Lektüre anregt, die Müdigkeit verscheucht und einen missmutig begonnenen Feierabend verschönern hilft“. Frisch eingetroffen sind im August 1949 „Dr. Faustus“ und „Lotte in Weimar“ von Thomas Mann, aber auch Hermann Hesses „Das Glasperlenspiel“ (beide Bände). Interessant: Die New Yorker Bücherei der GM Corporation hat den Rüsselsheimern englischsprachige Lektüre zur Verfügung gestellt, aber nicht Hemingway oder Faulkner, sondern Sachbücher mit Titeln wie „Big Business in a Democracy“ oder „Detroit is my Home Town“.
OLYMPIA BIETET PANORAMABLICK
Opel-Fahrer haben nicht nur Durchblick, der Olympia erschließt ihnen sogar einen Weit-, um nicht zu sagen: Breitblick. Dies wird in der Ausgabe mit einem schmucken Kameraschuss durch dessen breite Windschutzscheibe demonstriert. Erwähnt werden natürlich auch die großzügigen Seiten- und Rückfenster, die die gute Rundsicht vervollkommnen.
KURZ BERICHTET
Über Sonderschauen und neue Verkaufsaktionen informiert die Rubrik „Kurz berichtet“. So ist etwa zu lesen, dass ab dem 1. November 1949 der viertürige 2,5 Liter-Kapitän wieder an Zivilpersonen verkauft wird. Interessant mutet auch die Fahndung nach dem ältesten Opel an, der noch auf den Straßen unterwegs ist. Nach ihm wird in Zeitungsinseraten gesucht, und wenn er gefunden ist, darf sein Besitzer ihn gegen den 100000. Olympia eintauschen, der in Rüsselsheim von der Linie rollt. Die Redaktion verspricht, am Ball zu bleiben – und dementsprechend sind auch wir gespannt auf den nächsten „Rückspiegel“.