Das Röhren
im Walde

Das Testzentrum im Wald von Dudenhofen feiert
am 10. September 50. Geburtstag mit einem Tag der offenen Tür.
Die Opel Post erzählt dessen Geschichte – in drei Kapiteln

 

 

—  F O L G E  1 :  D I E  E R Ö F F N U N G  —

 

 


Passstraße_nm


Die Zu- und Abfahrtsstraße des Berggeländes auf dem Opel-Prüffeld in Dudenhofen sind wie Passstraßen
mit engen und engsten Kehren angelegt.

 

WIE DAS PRÜFFELD NACH
DUDENHOFEN KAM

Schon 1963 hat Opel begonnen, ein neues Prüffeld zu planen – und geeignetes Gelände zu suchen. Eine Anekdote wird in den nächsten 50 Jahren immer wieder erzählt: Opel hatte sich zunächst ein Areal in Dudenhofen bei Speyer ausgeguckt, die Post jedoch hatte die entsprechende Anfrage an die Gemeindeverwaltung falsch zugestellt – nach Dudenhofen in Südhessen.
Dort lasen die zuständigen Amtsträger mit Interesse, was nicht für sie bestimmt war, und boten Opel prompt Gelände in der eigenen Gemarkung an. Wenn es darum geht, eine Marke, die wie kaum eine andere fürs deutsche Wirtschaftswunder steht, als Gewerbeansiedler zu gewinnen – da ist sich jede Kommune nun mal selbst die nächste.
 

Am Vormittag des 1. April 1966 wird es wieder mal laut im Wald von Dudenhofen, einem kleinen Ort in Südhessen. Schon seit November 1964 knarren hier Motorsägen und rollen Bagger, obwohl für Autofahrer, die das Grün auf der Landstraße nach Babenhausen durchqueren, von deren Arbeit nicht viel erkennen. Das Unternehmen, das angekündigt hat, hier eine „Zukunftswerkstatt“ entstehen zu lassen, hat ja auch zugesichert, es rode lediglich 15 Prozent der 2,6 Millionen Quadratmeter umfassenden Fläche, die es erstanden hatte.

Der Lärm heute Morgen klingt jedoch anders als der, den die Baumaschinen in den vergangen 15 Monaten verursacht haben. Er ist gleichmäßiger, sonorer und kommt als angenehmes Röhren daher.  Seit Kurzem ist dieser neue Sound öfter aus dem Waldstück zu hören. Vor drei Tagen etwa ist eine Busladung ausgewählter Journalisten zu der ominösen „Zukunftswerkstatt“ chauffiert worden, kurz darauf hob das Brummen wieder an. Heute aber klingt es noch einmal anders. Feierlicher.

 

KADETT, REKORD, ADMIRAL UND
EIN KLEINER UNBEKANNTER

 

Es sind Pkw-Aggregate, die da auf Touren gebracht werden, und zwar in der Tonlage der 1960er-Jahre. Reines Motorengeräusch, noch nicht nach Designerwünschen mit elektronischen und anderen Hilfsmitteln moduliert. Und wer zu den Gästen der Eröffnungsfeier dieser „Zukunftswerkstatt“ gehört, sieht auch, wer diesen Sound verursacht: Kadett, Rekord, Admiral und Diplomat, inklusive seiner schnittigen V8-Coupé-Version. Die gesamte bekannte Opel-Palette also.

 


GT Versuchswagen_nm


Die meisten Blicke zieht natürlich der Grand Tourisme Coupé, das Hochleistungslaboratorium auf Rädern, auf sich.

Flankiert allerdings von einem weißen Sportflitzer, den viele nicht einordnen können. Der Kleinste von allen, der allen die Schau stiehlt. Was soll das denn sein? So einen gibt’s bei Opel doch noch gar nicht. Wie’s aussieht, hat der noch nicht einmal Scheinwerfer. Kenner der Automobilszene klären die Unwissenden auf: Das ist der Opel GT Experimental, den das Unternehmen etwa vor einem halben Jahr mal auf der Frankfurter IAA gezeigt hat. Jetzt ist er mit Messeinrichtungen vollgepfropft, fungiert auf dem neuen Prüffeld als rollendes Labor. Und die Scheinwerfer lassen sich erst bei Bedarf aufklappen – eine Weltneuheit, mit der die künftige Designikone ab ihrer Markteinführung 1968 Furore machen wird.

 


 

Eröffnung Mason_nm


Generaldirektor L. Ralph Mason durchschneidet auf der Schnellfahrbahn ein weißes Band und übergibt das neue Opel-Prüffeld seiner Bestimmung. Neben ihm Chefingenieur H. Mersheimer.

 

DER CLOU: EINE „STEILKURVE“
WIE AUF EINER CARRERA-BAHN

 

Nicht minder spektakulär ist die Fahrbahn, über die die Opel-Flotte an diesem Premierenpublikum vorbeibraust. Eine „Steilkurve“, wie die meisten Besucher sie nur aus den Spielzimmern ihrer Kinder kennen, von den Carrera-Rennbahnen, die seit 1963 immer populärer werden. Die hier ist allerdings echt, und sie führt an einem Stück komplett um die gesamte Zukunftswerkstatt herum.

Es dauert lange, bis die geladenen Gäste aus Politik und Wirtschaft alle Eindrücke verarbeitet haben, mit denen sie an diesem Morgen in dem Wald bei Dudenhofen überwältigt werden. Immerhin brauchen sie sich nicht zu schämen, wenn sie sich eingestehen, so etwas noch nie gesehen zu haben. Denn diese „Zukunftswerkstatt“, das neue Opel-Prüffeld, ist bislang einzigartig in Europa. Gut, dass viel fachkundiges und hochkarätiges Personal zur Stelle ist, um die vielen Fragen der Gäste zu beantworten, nach dem Opel-Generaldirektor L. Ralph Mason das obligatorische weiße Band durchgeschnitten hat, um die neuen Anlagen ihrer Bestimmung zu übergeben.

 

AUF DEN STRASSEN IST ES ZU VOLL:
EIN NEUES PRÜFFELD MUSSTE HER

 

Die am häufigsten gestellte Frage lautet: Wieso braucht Opel dieses neue Prüffeld? Es ist schließlich erst 15 Jahre her, seit das Unternehmen in unmittelbarer Nähe seines Werksgeländes in Rüsselsheim ein Prüffeld errichtete, das seinerzeit ebenfalls als „State of the Art“ galt.

„Seit damals ist die Entwicklung rasanter vorangeschritten, als selbst wir es absehen konnten“, erklärt Hans Mersheimer, Chefingenieur und Mitglied des Opel-Vorstands. Dass beispielsweise die Top-Modelle der eigenen Flotte mittlerweile 200 km/h und mehr fahren, hätte 1951 noch niemand zu träumen gewagt. Für viele Tests ist das Rüsselsheimer Prüffeld schon bald zu klein geworden, etwa für Bremsversuche aus hohen Geschwindigkeiten heraus. Daher mussten die Opel-Testfahrer auf öffentliche Straßen ausweichen. Auf denen aber wird der Verkehr zunehmend dichter.

Denn immer mehr Menschen legen sich einen eigenen Pkw zu – eine Entwicklung, die ein Autobauer im Grunde mit Freude verfolgt. Nur braucht er auch Platz, seine Autos ungestört auf Herz und Nieren zu testen, bevor er sie zum Verkauf anbietet.

 

 


Bergstraße_nm


Inmitten des Waldgeländes in Dudenhofen erhebt sich der Berg des Leidens.

 

IN ZWEI MONATEN EIN AUTOLEBEN ABSPULEN

 

Ziel sei nicht nur, neue Opel-Modelle bei allen erdenklichen Fahrbahnverhältnissen zu testen, erläutert Versuchsgruppen-Leiter Thomas E. Dolan. Die Prüfungen müssen in exakt strukturierten Testreihen ablaufen, unter immer gleichen Bedingungen, jederzeit wiederholbar – nur so können sich exakte Messergebnisse mit bestmöglichen Vergleichswerten erheben lassen.

Die ermittelten Daten und Fakten sollen bestätigen, was sich die Entwickler ausrechneten, als sie einen neuen Opel konstruierten, aber auch der kontinuierlichen Verbesserung laufender Modellserien dienen. In Dauerversuchen können die Opel-Tester ein Auto auf 50.000 Kilometern durchleiden lassen, was es draußen auf durchschnittlich 150.000 Kilometern erfahren muss. Das schaffen sie in etwa zwei Monaten, die somit einem „echten“ Fahrzeugleben von etwa sechs Jahren entsprechen – dazu fahren sie rund um die Uhr, in drei Schichten.

 


 

Marterstrecke_nm


Geradezu mittelalterlich sieht diese Marterstrecke aus. Kopfstein-Quader mit groben Kanten, unregelmäßig mit großen Fugen verlegt, beanspruchen unbarmherzig Fahrwerk und Karosserie des darüber holpernden Wagens.

 

 

 

SCHLECHT, ABER STABIL:
STRASSEN WIE ABSTRAKTE KUNST

 

Doch wie entsteht ein solches Straßennetz – neu, aber gleichzeitig denkbar holprig ausgeführt, dabei stabil, da es sich in den endlosen Versuchsreihen ja nicht verformen darf, egal bei welcher Witterung? Die Antworten darauf weiß Helmut Stark, stellvertretender Leiter der Hauptabteilung Werksanlagen. Um trotz aller gewollten Makel Stabilität auf den schlechten Straßen zu gewährleisten, verfügen diese über einen Unterbau aus frostsicherem Material, der zusätzlich mit einer 15 Zentimeter dicken Zementschicht versehen ist. 4,5 Kilometer des Straßennetzes sind mit Pflastersteinen aus Blaubasalt und Granit ausgelegt, die jahrzehntelang auf echten Landstraßen abgeschliffen und gerundet wurden – authentischer geht’s nicht.

Glatte, ebene Oberflächen mit handelsüblichen Belägen aus Bitumen finden sich nur auf kurzen Streckenabschnitten. Der Rest ist mit Schlaglöchern, Kuppen, Wannen, Wellen, Beulen et cetera versehen – sie anzulegen, war, „als würden wir nicht Straßenbau praktizieren, sondern abstrakte Kunst“, schreibt die Opel Post im April 1966. So paradox es klingt: Opel hat die besten Straßenbauer verpflichtet, um die denkbar schlechtesten Fahrbahnoberflächen entstehen zu lassen. Insgesamt haben sie dafür 14 Monate benötigt. Exakt 235 Tage wurde malocht, an 91 herrschte Ruhe im Wald von Dudenhofen, weil das Wetter nicht mitspielte.

 

DER KNIFFLIGSTE PART:
EIN KREIS WIE EINE GERADE

 

Rund zehn Kilometer des Fahrbahnnetzes sind lediglich mit Betondecken ausgestattet, darunter die „Marterstrecken“, die beispielsweise mit grobkantigen Quadersteinen ausgelegt sind. Oder der Skid-Pad, ein kreisrundes Tablett von 100 Metern Durchmesser, auf dem es permanent qualmt und auietscht, wenn getestet wird, wie sich Opel beim Bremsen und Ausbrechen verhalten. Und natürlich die Schnellfahrbahn, die kreisrund ums gesamte Prüffeld führt.

 

 


Die 32,4 Kilometer von Dudenhofen

14 Kilometer Spezialprüfstrecken:
Für Messungen von Geräuschen sowie beim Beschleunigen oder Verzögern, Skidpad mit 100 Metern Durchmesser für  Prüfungen von Lenk- und Ausbruchsverhalten, Marterstrecken mit „Waschbrett“, Höckern, Schlaglöchern, einem bewässerbaren Schleuderkreis, Sand-, Staub- und Schlammstrecken, Schienen und Bahnübergängen.
11,5 Kilometer Dauerprüfstrecken:
Unterschiedliche Oberflächen wie Groß- und Kleinpflaster, guter und schlechter Asphalt, Schotter sowie Süß- und Salzwasser-Durchfahrten.
5,1 Kilometer Schnellfahrbahn-Rundstrecke:
Kurve mit progressiv ansteigender Querneigung bis 57 Prozent für Spitzengeschwindigkeiten bis 225 km/h, kann wie eine Gerade befahren kann.
1,8 Kilometer Bergstrecken:
Steigungen von 4,8,12 und 30 Prozent

 



 

Sie erst zu konstruieren und dann tatsächlich entstehen zu lassen, war der mit Abstand kniffligste Part des Projekts: Ein Kreis mit 800 Metern Radius und von 14,20 Metern Breite, der mit Höchstgeschwindigkeiten befahren werden kann, ohne dass Fliehkräfte nach außen entstehen, damit er Messergebnisse liefert, als wäre er eine Gerade. Das klingt bei 225 Sachen zunächst mal unmöglich, aber die zuständigen Physiker wussten schon, was zu tun war: Eine Fahrbahn mit einer Querneigung bis zu 57 Prozent musste her.

 

SPEZIALGERÄT FÜR SICH NEIGENDE KURVEN:
DER GLEITSCHALUNGSFERTIGER

 

Doch will ein Opel nicht nur mit Full Speed getestet werden. Daher entstanden drei Fahrspuren: Die untere ist für Geschwindigkeiten bis 80 km/h ausgelegt, die mittlerweile bis 130 km/h, und nur auf den oberen kann Vollgas gegeben werden, ohne dass Fliehkräfte entstehen. Entsprechend progressiv steigt der Neigungswinkel der Kurve an. Unten startet sie mit gerade mal zwei Prozent, und über der 57-Prozent-Spur oben verläuft noch eine Sicherheitsspur, die sogar 75 Prozent aufweist.

Um die Kurve in einem Arbeitsgang über die gesamte Breite betonieren zu können, musste eine eigene Straßenbaumaschine entwickelt werden, ein „Gleitschalungsfertiger“. Allein das Betonieren der „Fünf-Kilometer-Bahn“nahm 30 Arbeitstage in Anspruch.

 

PROBEFAHRTEN FÜR GÄSTE?
HEUTE NICHT

 

Nach all diesen Ausführungen juckt es so manchen begeisterten Autofahrer unter den Gästen, mal selbst über die Schnellfahrbahn zu jagen. Oder wenigstens eine der Spezialstrecken persönlich auszutesten. Daraus wird aber nichts. Interessierte Besucher haben noch die Gelegenheit, Präsentationen der Messgruppe zu verfolgen. Im „Technikzentrum“, wo 23 Hebebühnen für Pflege- und Reparaturarbeiten, Messplätze, eine Tankstelle und eine Waschanlage eingerichtet sind.

 

Probefahrten für Gäste sind am Eröffnungstag nicht vorgesehen. H.R. Riedrich, der Leiter des neuen Prüffeldes, und seine zunächst 100 Mitarbeiter wollen an die Arbeit gehen. Und in Dudenhofen die Zukunft beginnen lassen.

 

 

 

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Text: Eric Scherer; Fotos: Opel-Archiv