Es gibt Typen, denen sieht man ihr Alter nicht wirklich an. Und schon gar nicht ihre Geschichte. Ein Beispiel: der Opel Astra, der dieses Jahr gleich zwei Partys feiert. Zum einen kommt Ende des Jahres die sechste Modellgeneration auf den Markt – und dann wäre da noch dieser wunderbar runde Geburtstag, um den es sich heute dreht: Happy Birthday zum 30., lieber Astra!
Sie müssen nicht nachzählen, es ist tatsächlich schon 30 Jahre her, dass Opel den Vorgänger Kadett in Rente schickte. Nach sechs sehr erfolgreichen Generationen war es Zeit für etwas Neues. Schließlich wandelte sich damals die halbe Welt. Im Radio sangen die Scorpions vom „Wind of Change“, als die ersten Astra von den Bändern rollten. Erst in Bochum, später auch in Eisenach. West- und Ostdeutschland waren ja endlich wieder vereint, Kanzler Kohl sogar in Eisenach beim Produktionsstart des Astra dabei. 1991 drängten sich Tausende IAA-Besucher in Frankfurt vor dem Opel-Messestand. Alle wollten die Astra-Familie sehen: Fließheck, Stufenheck und Caravan – die drei feierten in Silbermetallic Weltpremiere. Die Kirsche auf der Torte: ein knallroter Astra GSi.
Zum 30. Geburtstag haben wir diesen Opel Astra F aus der Rüsselsheimer Opel Classic Sammlung zu einem Ausflug eingeladen.
Unwirklich, aber wahr: Die ersten Astra tragen H-Kennzeichen
Die Tränen der Kadett-Fans trockneten so schnell wie die Tinte auf den ersten Kaufverträgen. Im Oktober 1991 standen die zwei- und die viertürige Fließheck-Version des Astra, der Caravan und der GSi bei den Händlern; die Stufenheck-Limousine folgte im Frühjahr 1992. Ein Jahr später veredelte Bertone den Astra zum Cabrio. Mit großer Stoffmütze – ohne Bügel.
Neuer Name, alte Ziele: Der Astra sollte den Golf überholen und die Klasse der Kompakten anführen. Wie? Mit viel Raumgefühl, neuen Sicherheitssystemen und ökonomischen Motoren. Das Auto kam gut an, die Verkaufszahlen explodierten. Nach sechs Jahren zählte Opel 4,13 Millionen Kaufverträge, was den Astra F zum meistgebauten Opel-Modell machte – der Rekord ist bis heute ungebrochen. Sogar den Golf überholte er, in der Kombi-Version: Von 1993 bis 2000 war der Astra Caravan der meistverkaufte Kompakt-Kombi.
Für Freunde großer Kofferräume hat Opel ohnehin ein großes Herz
Wer wollte, bekam den Caravan auch mit dem 150-PS-GSi-Motor. Seine Fahrer müssen es sehr genossen haben, wenn sie mit ihrem Astra Kombi-Modelle wie BMW Dreier Touring oder Audi Avant ärgern konnten.
Genug zurückgeschaut, Zeit zum Feiern. Dazu rollen wir einen Astra F aus der Opel-Sammlung, für eine exklusive Geburtstagsrunde. Noch nicht einmal 17.000 Kilometer hat das barockgelbe Fließheck hinter sich, der Innenraum verströmt noch den wunderbaren Neuwagenduft.
Viel Raumgefühl, neue Sicherheitskonzepte und ökonomische Motoren: Das Gesamtpaket des Opel Astra kam an – er ist bis heute der meistgebaute Opel überhaupt.
Fakten
zum Astra F
ASTRA Der Name kam von Vauxhall. Denn so hieß in Großbritannien bereits der Kadett.
PLATZ Im Vergleich zum Kadett E sitzt die Frontscheibe um 74 Millimeter weiter vorn, wurde die Kniefreiheit um bis zu 50 Millimeter erhöht. Der cW-Wert des Astra F beträgt 0,30.
MOTOREN Hierzulande ging der Kompakte mit fünf Benzinern (1,4, 1,6, 1,8 und 2,0 Liter) und einem Selbstzünder (1,7 l) an den Start.
SICHERHEIT Zum „Opel Safety System” zählen unter anderem Doppelrohrverstärkungen in den Türen. Spezielle Sitzrampen verhindern das „Wegtauchen“ unter dem Gurt, die Gurtstraffer halten den Körper sicher. Ab 1994 gab es Airbags für Fahrer und Beifahrer serienmäßig.
NACHFOLGER Ab 1998 übernahm der Astra G.
An der Tankstelle erzählt ein Nebenzapfer, dass er auch mal einen in der Farbe gehabt habe: „Ein treuer Begleiter war das.” Ob er kurz Platz nehmen dürfe, um der alten Zeiten willen? Klar! „Wie übersichtlich das Cockpit doch war”, staunt er. Stimmt. Wo heute XL-Bildschirme thronen, informiert im ersten Astra ein „Multi-Info-Display“ – dezenter als jedes Smartphone. Anfang der 1990er war es eine der ersten Anzeigen, die Radio, Bordcomputer und Kontrollhinweise vereinten, sodass der Fahrer alles im Blick hatte. Mit „alles“ sind übrigens fünf Infos gemeint …
Vorreiter ist der Astra auch mit und hinter dem Armaturenbrett: Große Teile davon (sowie der Innenverkleidung, der Sitze und der Mittelkonsole) sind aus Polypropylen – dafür hatte Opel einst ein innovatives, ressourcenschonendes Recycling-Verfahren entwickelt. Und hinter dem Armaturenträger? Da filtert ein System wirksam Pollen und Schmutzpartikel aus der Frischluft. Heute hat der Filter frei. Wir schalten die Klima ab, lassen die Fenster runter und öffnen das Schiebedach. So geht’s rein nach Frankfurt, etwas große Welt einatmen. Dabei hat der erste Astra auch damit Erfahrung gesammelt – als Weltauto gab es ihn über das GM-Netzwerk auf fünf Kontinenten.
Das kompakte Fließheckmodell lässt sich mühelos durch den Stadtverkehr manövrieren – inklusive fantastischer Ausblicke auf die Skyline.
Sehr gute Übersicht,
harmonischer Antrieb
Was im dichten Stadtverkehr auffällt: wie übersichtlich das kompakte Fließheck gebaut ist. Alle Ecken sind gut einsehbar. Zudem: keine Spur von Oldie-Eigenheiten oder zittrigem Gehabe. Der Astra schwimmt leichtfüßig mit, springt auch mal in kleine Lücken, lässt sich brav dirigieren, bremst auf den Punkt und ist stets komfortabel. Für die passende Unterhaltung sorgt kein Audio-Streaming, sondern ein Zweiliter-Vierzylinder. Der 16-Ventiler mobilisiert 136 PS und lässt den Fahrer das volle Drehzahlband des Benziners auskosten.
Dabei hatte Opel auch das Thema alternative Kraftstoffe recht früh auf dem Schirm: 1996 startete zum Beispiel eine limitierte Serie des Astra Caravan mit Erdgasantrieb. Versorgungsunternehmen, Behörden und Flottenbetreiber testeten die 500 Fahrzeuge im Alltag.
Auch der Elektroantrieb
war bereits Thema
Mit dem Astra Impuls III führte die Marke von 1993 bis 1997 den ersten Elektroauto-Großversuch in ihrer Geschichte durch. Zehn elektrische Astra Impuls spulten auf der Ostseeinsel Rügen insgesamt 350.000 Testkilometer ab. Raus aus Frankfurt, rein ins hügelige Land der Weinbauern. Der Astra surft über kurvige Straßen und beamt uns in jene Zeit zurück, in der normale Autos nicht wie Sportwagen federn mussten, keine fahrbaren Computer waren. Schade auf jeden Fall, dass es nur noch wenige Astra F im Straßenbild oder in den Gebrauchtwagenbörsen gibt. In diesem Punkt spürt man die 30 Jahre dann doch.
August 2021