An einen Lauf der legendären 1983er Saison erinnert sich Erwin Weber sofort: „Die Hunsrück-Rallye im Juli. Sie war gleichzeitig Bestandteil der Europameisterschaft, daher waren mit uns etliche internationale Topteams auf der Piste. Eine Sonderprüfung war dabei, die hatte es wirklich in sich.“ Die Bilder hat Weber nach all den Jahren noch immer klar im Kopf: „Schauplatz war ein Truppenübungsplatz der US Army. Unendlich viele Kurven, viel Schotter, überall loser Untergrund. Links und rechts dicke Betonpfeiler, die Panzern als Wegbegrenzungen dienten. Da wollte man auf gar keinen Fall dagegenknallen.“
Darum war auf der rund 70 Kilometer langen Strecke ständig höchste Konzentration angesagt. „So geschafft war ich selten“, erinnert sich der heute 64- Jährige an den Moment, in dem er nach rund einer Dreiviertelstunde in seinem Manta 400 über die Ziellinie fegte. Doch die Anstrengung hatte sich gelohnt. Am Ende des Tages hatten er und sein Beifahrer Gunter Wanger die Hunsrück-Rallye gewonnen. Es war bereits ihr dritter Saisonsieg in Folge. Zuvor hatten die beiden schon die Vorderpfalz- und die Hessen-Rallye für sich entschieden. Und so langsam machte es in der Szene in der Runde: Der Erwin Weber, dieser Jungspund, kann es tatsächlich schaffen. Den Titel holen. Deutscher Rallye-Meister werden. 24 Jahre war er damals alt, es fuhr sein drittes Jahr als Profi im Opel-Werksteam.
Nach drei Siegen macht es in der Szene die Runde: Der Jungspund Erwin Weber kann es tatsächlich schaffen. Den Titel holen.
Als 19-Jähriger war der junge Mann aus Neufahrn bei München in der Nachwuchsserie unterwegs, als Opel-Teamchef Jochen Berger auf ihn aufmerksam wurde. Weber pilotierte einen Kadett C, einen 1200er mit 60 PS. Wie er zu der Marke gekommen war, noch bevor Opel ihn anheuerte? „Ich begeisterte mich für Rennsport, wollte auch selber Rallyes fahren und das Umbau-Kit war erschwinglich. Als gelernter Schlosser verdiente ich nicht viel, da gab es für mich nicht viel Auswahl: Ein C-Kadett musste es sein.“
Lehrmeister heißen Berger, Aaltonen, Röhrl
Bergers Blick für Talente bewährte sich, der Neue machte schnell Fortschritte. Auch, weil er gute Lehrmeister hatte. Neben Jochen Berger ist da noch Rauno Aaltonen. Zu seinen aktiven Zeiten noch als „der fliegende Finne“ bekannt, nennt man ihn nun, wo er als Trainer und Berater dient, den „Rallye-Professor“. Erwin Weber weiß, warum. „Im Test Center Dudenhofen habe ich so manche Runde mit ihm gedreht – und unheimlich viel von ihm gelernt.“
Und dann war da natürlich noch Walter Röhrl. „Der Lange“, mittlerweile in den Dreißigern, war 1982 für eine Saison zu Opel zurückgekehrt. „Er war damals das Idol aller deutschen Nachwuchsfahrer, erfolgreiche Formel-1-Piloten hatten wir damals ja nicht“, erinnert sich Weber. Röhrl und Jochen Berger waren bereits 1974 mit Opel Rallye-Europameister geworden. Mit Fiat gewann Röhrl später die Deutsche Meisterschaft und den WM-Titel. Den sicherte er sich 1982 erneut, diesmal wieder für Opel, mit einem Ascona 400 – und an gemeinsamen Trainingstagen gab er dem Nachwuchsmann, der ihm nacheifern wollte, immer wieder wertvolle Tipps.
Nebenbei verschaffte Teamchef Berger seinem Youngster genügend Freiraum, um Fahrzeugtechnik zu studieren. In seinem ersten Jahr als Profi durfte Erwin Weber in zwei EM-Läufen Erfahrungen sammeln, im zweiten Jahr startete er bei insgesamt fünf DM-Rallyes. In einem Ascona B i2000, in dem doppelt so viele Pferdestärken unter der Motorhaube lauerten wie in seinem Kadett C aus der Nachwuchsserie. „Das war schon eine gewaltige Umstellung.“ Die der begabte Pilot jedoch schnell schaffte.
Vor der Saison 1983 überrascht Berger seinen Nachwuchsmann dann mit der Nachricht: Er soll die kommende Deutsche Rallye-Meisterschaft bestreiten – komplett. Allerdings braucht der Jungspund Erfahrung an seiner Seite. Bergers Wahl fällt auf Gunter Wanger. Der Mann aus Ludwigshafen ist fünf Jahre älter als Weber und hat mit „Jochi“ Kleint auf dem Fahrersitz schon unzählige Rallye-Kilometer abgespult. 1979 holte er mit Kleint den EM-Titel mit einem Kadett GT/E und einem Ascona B.
Beim ersten Aufeinandertreffen ist der Lehrmeister Walter Röhrl lediglich 33 Sekunden schneller als sein Schüler.
In die Saison starten Weber/Weber mit einem Ascona 400. Denn bei dem für diese Serie eigentlich angedachten Nachfolger verzögert sich die „Homologation“, die Produktion der geforderten Stückzahl, die für ein Fahrzeug nachgewiesen werden muss, ehe es eine Wettbewerbszulassung erhält.
In ihren ersten drei Rallyes fahren Weber und Wanger drei dritte Plätze heraus. Das ist schon mal nicht schlecht. Beim dritten Start, der Saarland-Rallye, wartet eine Herausforderung der besonderen Art: Erwin Weber muss gegen sein Idol antreten. Walter Röhrl fährt mit seinem Partner Christian Geistdörfer nun für Lancia, sie werden in dieser Saison allerdings nur drei DM-Läufe bestreiten, also keine dauerhafte Konkurrenz werden. In diesem ersten direkten Aufeinandertreffen hat der Altmeister knapp die Nase vorn, wird Zweiter hinter den Franzosen Michéle Mouton und Arwed Fischer. Mit einer Gesamtzeit von 3:03:26 Stunden ist der Lehrmeister aber nur 33 Sekunden schneller als sein Schüler.
Danach dürfen die beiden Opel-Fahrer umsteigen: in den Manta 400. Als Rallye-Fahrzeug auf der Basis des erfolgreichen Ascona B weiterentwickelt, also auch weiterhin mit Heckantrieb ausgestattet, obwohl der zu dieser Zeit langsam aus der Mode kommt. Dafür trumpft der Manta 400 gegenüber dem Manta GT/E mit einem von 0,41 auf 0,386 weiter verbesserten cw-Wert auf. Auch ist er nochmal ein Stück breiter geworden. Denn in den Radhäusern sollen gegebenenfalls auch 285er Reifen untergebracht werden.
Auf den im Rallye-Sport zusehends populärer werdenden Turbo-Antrieb hat Opel-Sportchef Tony Fall verzichtet. Er hält die Technik noch nicht für weit genug entwickelt. Außerdem war er der Überzeugung, dass nicht die schnellsten Autos die Rallyes gewinnen, sondern die standfestesten. Mit 275 PS hatte der konventionelle Vier-Zylinder-Reihenmotor mit 16 Ventilen genug Power, um die Konkurrenz in die Schranken zu weisen.
Die Deutsche Meisterschaft feiert das Opel-Team mit einwöchiger Verspätung.
Das Fachmagazin „Zwischengas“ sollte den Manta 400 später zum „besten Gruppe B-Rallye-Auto ohne Allrad und Turbo“ ernennen. „Schneller Brüter“ hatten die Opel-Mechaniker die Rennmaschine noch während der Aufbauphase getauft. Final getestet worden war sie bei der Korsika-Rallye und als Vorausfahrzeug bei der Vogelsberg-Rallye im März und im April. Weber und Wanger fahren zu ihrer Manta-Premiere bei der Rallye in Metz einen vierten Platz heraus. Danach ist der Pilot mit dem neuen Gefährt vollends vertraut. So ganz unbekannt ist es ihm ja auch nicht. „Ich hatte zuvor privat schon Manta gefahren.“
Es folgen die besagten drei Siege in Folge, anschließend ein zweiter Rang. Beim vorletzten Lauf, der Deutschland-Rallye, fallen sie aus. Zum Finale, bei der 3-Städte-Rallye in Südbayern, gehen sie erneut als Zweite durchs Ziel. Weshalb? Weil Erwin Weber erneut seinem Idol den Vortritt lassen muss. Diesmal ist Walter Röhrl sogar fast neun Minuten schneller als er.
Kurios: „Als Sieger in der Gesamtwertung wurde erst ein Österreicher ausgerufen“, erzählt Gunter Wanger. „Doch schon nach ein paar Stunden machten Gerüchte die Runde, dass da was nicht stimmt.“ Einige Tage später war’s dann gewiss: „Der Mann hatte gar keinen in Deutschland gültigen Führerschein mehr und wurde er aus der Wertung genommen.“ Die Deutsche Meisterschaft feierte das Opel-Team dann mit einwöchiger Verspätung. „Das hat aber auch noch gepasst“, erinnert sich Gunter Wanger. Heute genießt nun 69-Jährige seinen Ruhestand in Rüsselsheim.
In beiden darauffolgenden Jahren bestritten Weber und Wanger keine komplette DM-Serie mehr, waren aber bei einzelnen Rennen erfolgreich, national wie international. Und einmal durften sie mit ihrem Manta die berühmte Rallye Paris-Dakar fahren – „ein großartiges Erlebnis, damals entdeckte ich auch meine Liebe zu Afrika“, berichtet Erwin Weber. Das Team geht als bestes Fahrzeug mit Heckantrieb durchs Ziel, und als Vierter in der Gesamtwertung. Für den Manta 400 ist es der letzte große internationale Erfolg.
Erfolgreiche Karriere als Unternehmer
Erwin Weber verließ Opel 1985, wurde mit Seat 1991 ein weiteres Mal Deutscher Rallyemeister und 1992 Europameister. „Damit hatte ich meine größten Erfolge zu Beginn und gegen Ende meiner Karriere, was will man mehr.“ Nach seiner aktiven Laufbahn fungierte er noch einige Jahre als Teamchef bei Seat – „und in dieser Rolle war Jochen Berger stets mein großes Vorbild.“ Nach seinem Abschied vom Motorsport gründete Erwin Weber ein Unternehmen, das sich zunächst erfolgreich auf Tuning-Teile, später auf Transportsysteme und konventionelle Fahrzeugteile fokussierte. Das er schon früh in den Online-Handel integrierte. Er war eben immer gerne vorne dabei.
Welcher Erfolg sein schönster war? Einen, für den Motorsport immer mehr Berufung als Beruf war, darf man so etwas nicht fragen. „Eigentlich ist mir jedes einzelne Rennen unvergesslich geblieben – in der Saison 1983 sowieso.“ Und so ganz davon los gekommen ist er vom Motorsport sowieso nie: „Solange sich an meinem Auto noch ein Rad dreht, will ich fahren.“
Oktober 2023