Herr Schnell, 1965 präsentierte Opel als erster europäischer Hersteller ein Konzeptfahrzeug, den Experimental-GT, auf der Frankfurter IAA – war diese Studie von langer Hand geplant?
Erhard Schnell: Nein, überhaupt nicht. Sie war die Idee von Clare MacKichan, der kurz zuvor als Design-Chef aus Detroit nach Rüsselsheim gekommen und von der Idee überzeugt war, dass wir einen klassischen Sportwagen entwickeln könnten. Er stellte sich ein kompaktes, besonders aussagekräftiges Fahrzeug vor. Aber klar war nur, dass es ein zweisitziger Sportwagen werden sollte.
Sie waren damals Leiter der Vorausentwicklung im Design. Haben Sie sich in Anbetracht der kurzen Entwicklungszeit ganz auf die Vollendung des GT konzentrieren können?
Das wäre zu schön gewesen. Nein, leider nicht. Wir haben auch an anderen Opel-Fahrzeugen gearbeitet, sowie den Rekord und den Kadett weiterentwickelt. Dem GT konnten wir uns nur alle paar Wochen widmen – dann aber mit viel Herzblut. Jeder, auch die jungen Kollegen, die gerade vom Art Center of Design in Pasadena zu uns gekommen waren, haben eigene Ideen vorgestellt. Aus all diesen Entwürfen ist dann allmählich das endgültige GT-Design entstanden. Es war wirklich erstaunlich, dass die Studie und das Serienmodell jeweils in weniger als drei Jahren entwickelt werden konnten.
»Klar war nur, dass es ein zweisitziger Sportwagen werden sollte.«
War die Entwicklung tatsächlich so geheim?
Allerdings. Clare MacKichan hatte den Vorstand wirklich nicht eingeweiht. Als die Studie dann fast fertig war und auf der IAA gezeigt werden konnte, kam er aber nicht drum herum, seine Vorgesetzten zu informieren. Wir hatten wirklich arge Bedenken, als der Experimental GT zum ersten Mal intern vorgeführt wurde. Uns ist dann ein riesiger Stein vom Herzen gefallen, als die hohen Herren spontan applaudierten und völlig hingerissen waren.
Wahrscheinlich weil die Studie so viele neue Design-Elemente aufwies…
Sie meinen die Klappscheinwerfer? Ja, sicher auch ihretwegen. Aber es gab noch viel mehr Details. Wir hatten Vollrahmentüren vorgesehen, die nur geringe Fertigungstoleranzen zuließen. Aber die waren Voraussetzung für die aussagekräftige Dachform des GT. Auch dass der Wagen keinen klassischen Kofferraum hatte, war ein Novum.
Haben Sie denn an einem Nachfolgemodell gearbeitet?
Selbstverständlich. Wir waren sogar schon sehr weit. Es gab ein Modell, das größer war und sehr dynamisch wirkte. Das Problem waren wirklich die Stoßfänger, die für Amerika vorgeschrieben wurden und das elegante, dynamische Design völlig entstellt hätten. Damit wurde die Form für die Vereinigten Staaten unattraktiv. Und da war natürlich die Ölkrise. Die hätte den Erfolg eines Nachfolgers in Europa mehr als in Frage gestellt.
BIOGRAFIE
Erhard Schnell, Jahrgang 1927, studierte vor seinem Beginn als Designer bei Opel Gebrauchsgrafik und gilt als Vater des GT. Er wurde 1964 mit der Entwicklung der Studie beauftragt und brachte die Design-Visionen schnell zu ihrer endgültigen Gestalt: Der Experimental GT war geboren und seine wohlgerundeten, dynamischen Formen brachten der Silhouette den Spitznamen „Coke-Bottle-Shape“ ein. In ebenfalls kurzer Zeit wurde daraus ein Produktionsmodell für die Großserie. Danach gab Schnell unter anderem der ersten Generation des Corsa ihre Gestalt und entwickelte die Form des Aerodynamik-Weltmeisters Calibra. Heute lebt der Pensionär in Südhessen; vom Design und Gestalten kann er die Finger jedoch noch lange nicht lassen.
Zeitlos schöne Designskizzen aus der Feder von Erhard Schnell finden Sie hier zum Download.
Neben dem GT oder dem Corsa A haben Sie ein weiteres Erfolgsmodell für Opel entworfen, den Calibra. War das einfach nur ein anderer Job?
Nein, überhaupt nicht. Wenn ein Auto von der Kundschaft so gut akzeptiert wird, dann ist das ein Ergebnis einer völlig eigenen Entwicklung und vor allem der Arbeit eines ganzen Teams. Da wird immer wieder mit sehr viel Herzblut gearbeitet und da zählt jedes Detail. Ich war damals schon stolz darauf, den Schriftzug für den Rekord entworfen zu haben, oder die Innenleuchte. Die wurde sogar vom Folgemodell übernommen. Daran denke ich noch heute gern. Da schlägt die alte Leidenschaft des Grafikers zur Schriftgestaltung durch. Manchmal macht man aber auch Sachen, die auf dem Papier unheimlich gut aussehen, leider aber aus Kostengründen nicht zu realisieren sind. Jungen Designern fällt diese Einsicht manchmal sehr schwer.
Folgt die Form da der Funktion?
Ja, unbedingt! Die einwandfreie Funktion ist für mich selbstverständlich. Alles andere schließe ich von vornherein aus.
Haben Sie den Zeichenstift jetzt im Ruhestand aus der Hand gelegt?
Ganz und gar nicht. Ich habe meine Arbeit einfach auf mein Zuhause übertragen und gestalte den Garten oder mein Haus. Oft aquarelliere ich auch noch. Ganz werde ich die Finger wohl niemals davon lassen können
November 2017