–––––
Das Jahr 1969: Uschi Gold, bekannt als „Twiggy“ von Opel, erhält einen Spezialauftrag.
–––––
Es war an einem Morgen im Jahr 1969, als Uschi Gold, eine damals 22-jährige Stenotypistin der Opel-Exportabteilung, die Anweisung erhielt: „Geh bitte mal rüber zum Design, die wollen da ein paar Fotos machen.“ Es war offenbar bekannt, dass Uschi Gold dem britischen Fotomodell „Twiggy“ zum Verwechseln ähnlich sah – einer damaligen Ikone, die das Schönheitsideal einer ganzen Generation prägte. „So dünn wie Twiggy war ich allerdings nie“, will ihr Rüsselsheimer Double klargestellt wissen. Immerhin sei sie 1969 bereits Mutter einer zweijährigen Tochter gewesen.
Im Kreativzentrum jedenfalls begrüßte der Design-Chef Erhard Schnell die junge Kollegin höchstpersönlich – und stellte sich ihr in den nächsten Stunden als passionierter Fotograf mit höchst professionellen Ansprüchen vor. Erhard Schnell ließ Uschi Gold an und in einem Opel posieren, den sie in dieser Ausstattungsvariante noch nie gesehen hatte.
Ein Opel Commodore – der war damals auch Uschi Golds Lieblingsmodell. Aber dieses Exemplar war besonders: In zitronengelber Lackierung mit weißem Vinyldach. Mit Ledersitzen, die mit Pferdefell beschlagen waren. Einem extrabreiten Bremspedal. Einem speziellen „Handtaschenhalter“. Einem ausklappbaren Schminkspiegel in der Mittelkonsole. Unterm Beifahrersitz eine kleine Wanne zum Ablegen nasser Regenschirme. Und im Kofferraum Ablagefächer, in die sich Einkaufsware sauber separiert verstauen ließ.
–––––
Design-Chef Erhard Schnell persönlich macht die PR-Aufnahmen.
–––––
„Dieser Prototyp eines Commodore ist speziell für Frauen gedacht“, klärte Erhard Schnell sein Model während der Fotosession auf. „Diese Ausstattungsideen sprachen mich durchaus an“, erinnert sich Uschi Gold. Heute schmunzelt sie darüber. Und andere werden vielleicht den Kopf schütteln. Ein Auto für eine Zielgruppe, die nichts anderes möchte als gut aussehen und einen geordneten Haushalt führen – dieser Frauen-Commodore transportiert ein Frauenbild von vorgestern. Aber das macht ihn auch zu einem interessanten Dokument seiner Zeit.
Als Sondermodell auf den Markt kam dieser Prototyp nie. Auch Uschi Gold sah das Fahrzeug nie wieder. Sie kehrte in die Exportabteilung zurück, wechselte in den 1970er-Jahren in die „Sportbetreuung“ – in den aufregenden Zeiten also, als Opel im Rallyesport Erfolge feierte. „Walter Röhrl und sein Beifahrer haben mal bei uns zu Hause auf dem Fußboden gesessen und eins ihrer berühmten Gebetbücher angelegt – so nannten sie ihre Routenplaner.“ Eine von vielen Erinnerungen aus ihren Berufsjahren, in denen sich Uschi Gold bei Opel als Teil einer großen Familie fühlte. Wieder einige Jahre später wechselte sie zur Opel-Bank. Den „Frauen-Commodore“ hatte sie da längst vergessen.
–––––
Vor 15 Jahren kommt Jens Cooper dem Frauen-Commodore dann auf die Spur.
–––––
Vor 15 Jahren dann kam Jens Cooper auf dessen Spur. Der Opel Classic-Experte entdeckte die Schwarzweiß-Fotos, die an diesem Nachmittag im Jahr 1969 entstanden waren. Sie sahen nach professionellen PR-Aufnahmen aus, von denen es aber sonst keine Unterlagen gab … Und er vermochte weder das abgebildete Sondermodell noch das blonde Model auf Anhieb zu identifizieren. Doch gerade solche Fälle faszinieren Jens Cooper – und treiben ihn zu Höchstleistungen an.
Irgendwann entdeckte er ein Farbfoto des gelben Commodore mit weißem Dach – und darin war der junge Erhard Schnell zu erkennen. Also suchte er die mittlerweile pensionierte Designer-Legende auf, und die erinnerte sich: Für diesen Prototypen zeichnete die Japanerin Taeko Nakagome verantwortlich – die erste Frau, die im Rüsselsheimer Design kreativ war.
Erhard Schnell erinnerte sich auch, dass er mit diesem Commodore mal in die Schweiz gefahren war, um ihn einer Gruppe Japanerinnen vorzustellen. Vermutlich, um anhand ihres Feedbacks die Marktchancen eines solchen Frauen-Autos zu beurteilen.
–––––
Die Opel-Designerin Taeko Nakagome hat das „Ladies Car“ gestaltet.
–––––
„Spezielle Autos für die Zielgruppe Frau zu entwickeln, war in der Branche damals nichts Ungewöhnliches“, hat Jens Cooper von der Designer-Legende erfahren. „Bei GM in Detroit etwa wurden solche Ideen eine zeitlang von einer Gruppe weiblicher Kreativer entwickelt, die sich die Damsels of Design nannten.“ Der Rüsselsheimer Frauen-Commodore war ein von Taeko Nakagome umgestalteter Dienstwagen, der intern „Ladies Car“ genannt wurde. „Möglicherweise war er gar nicht für den deutschen Markt gedacht“, so Jens Cooper weiter. „Opel entwickelte damals etliche Sondermodelle nur fürs Ausland. Dass Erhard Schnell ihn einer Gruppe Japanerinnen vorführte, könnte darauf hindeuten.“
Jens Cooper ist es auch gelungen, mit Taeko Nakagome Kontakt aufzunehmen – sie lebt schon seit langem wieder in Japan und führt mittlerweile den Familiennamen Fukusaki. Sie erinnert sich ebenfalls an den Trip mit Erhard Schnell in die Schweiz. Von den Ideen, die sie für das „Ladies Car“ entwickelte, ist ihr insbesondere der mit Fell beschlagene Ledersitz noch gut im Gedächtnis. „Den hatte ich extra in einer Lederfabrik bei Stuttgart besorgt“, schreibt sie in ihrer Mail.
Wer das Model im Modell war, blieb Cooper allerdings noch lange ein Rätsel. Bis die Schwarz-Weiß-Fotos zufällig beim Werkschutz im M55 landeten.
„Auf den Bildern da, das ist meine Mutter“, erklärte plötzlich eine Mitarbeiterin. Es war Stefanie Gold, die Tochter, die damals zwei Jahre alt war – und nun selbst bei Opel arbeitet.
–––––
Nach 50 Jahren: Stefanie Gold erkennt auf den Fotos ihre Mutter.
–––––
Dank ihrer Vermittlung hat Uschi Gold nun wieder in und an einem Commodore posiert – für die Opel Post. Das spezielle „Ladies Car“ existiert natürlich nicht mehr, doch auch in einem „gewöhnlichen“ Modell gibt das nunmehr 72-jährige Model nach wie vor eine blendende Figur ab.
Dezember 2019