„Kein Mucks, kein Ton – wir kommen schon“

Wie groß muss die Erleichterung gewesen sein? Wenn man – am Straßenrand gestrandet – im Rückspiegel den großen, an ein Fischmaul erinnernden Kühlergrill des Olympia Rekord erspähte. Sah man das rot-weiße Automobil mit dem Schild „AvD Verkehrs-Hilfsdienst“ auf dem Dach wusste man – alles wird gut. Ganz nach dem Motto: „Kein Mucks, kein Ton – wir kommen schon“. Denn Notrufsäulen am Straßenrand entstehen ab Mitte der 1950er-Jahre erst nach und nach, Funk haben die Pannenhelfer noch nicht an Bord. Und so patrouillieren die in weiß gekleideten AvD-Mitarbeiter auf den gut 2.000 Kilometer langen Fernstraßen, halten Ausschau nach liegengebliebenen Autofahrern und leisten spontan Pannenhilfe.

Dieses Jahr feiert der Automobilclub von Deutschland 125. Geburtstag. Aus diesem Anlass lassen die Verantwortlichen die Geschichte aufleben: Liebevoll restaurierte Klassiker wie der Olympia Rekord mit dem charakteristischen Fischmaul erinnern an die Historie des Verkehrshilfsdienstes, der 1953 mit einem halben Dutzend DKW-Schnelllastern startete. Allein vier der sieben Fahrzeuge umfassenden Klassikerflotte tragen den Blitz. Das zeigt: Opel und der AvD – das ist eine bewährte Partnerschaft. Eine, die sich in Millionen von Kilometern gefestigt hat. Und so stehen neben dem Olympia Rekord (1956) auch ein Kadett B Caravan (1970), gefolgt vom Kadett C Caravan (1976) und einem Rekord E2 (1983) fürs Foto-Shooting aufgereiht in einer ehemaligen Werkshalle von Opel – allesamt in Rot-Weiß.

Der Komfort einer Limousine kombiniert mit dem Ladevolumen eines Transporters: 1957 stellt der AvD den Olympia Rekord Caravan in Dienst – es ist der Beginn einer langjährigen Partnerschaft.
Ideengeber: Der AvD-Präsident Lutz Leif Linden hat zum 125. Bestehen des Automobilclubs die historische Flotte des Verkehrshilfsdienstes wieder aufleben lassen.
1970 bezieht der AvD das „Weiße Haus“ im Frankfurter Stadtteil Niederrad, davor platziert ist die neue Kadett-Flotte.
In neuem Glanz: Den 1970er-Kadett B haben die AvD-Verantwortlichen bei Hannover erworben und liebevoll restauriert.
Die zweite Kadett-Nachkriegsgeneration war als zuverlässiges Pannenfahrzeug im Einsatz, um beispielsweise Starthilfe zu leisten.

„Es war mir ein Herzensanliegen, diese historische Flotte in neuem Glanz wieder rollen zu lassen.“

– AvD-Präsident Lutz Leif Linden – 

Diese historische Jubiläumsflotte zusammenzustellen, war ein Herzensanliegen des AvD-Präsidenten Lutz Leif Linden, der die Klassiker schon als Kind durch Frankfurts Straßen rollen sah. Denn der AvD-Chef hat nicht nur Benzin im Blut, bereits sein Vater Hans-Jürgen Linden war in den Sechziger- und Siebziger-Jahren Verwaltungsdirektor des AvD. Was der Automobilclub nicht mehr selbst in Besitz hatte, wurde auf dem Oldtimermarkt gescoutet und erworben. Den 1970er B-Kadett zum Beispiel entdeckte man in Hannover, den Olympia Rekord Kastenwagen in Schweden. „Der Verkäufer war ein Mann Ende 70. Er hat sich nur schweren Herzens von ihm getrennt. Aber er ist froh, dass der Wagen bei uns weiterlebt“, erzählt Lutz Leif Linden.

Und immer wieder Opel

Und wie er weiterlebt. Pannenhilfe müssen die restaurierten Engel natürlich nicht mehr leisten. Sie sind nicht nur im Jubiläumsjahr ein Aushängeschild bei zahlreichen Events. Ob Rennsport, Oldtimer-Treffen oder Rallyes – der AvD beteiligt sich jedes Jahr an bis zu 50 Veranstaltungen. Und ein Blick in die Historie des Verkehrshilfsdienstes zeigt: Da steckt noch jede Menge mehr Blitz drin. Nach dem Olympia Rekord zum Beispiel wird der Rekord P1 mit seiner schicken Panorama-Frontscheibe AvD-zum Roten Engel abgelöst, gefolgt vom Kadett A. Bei dessen Nachfolger, dem Kadett B 1972, beweist der AvD ein Händchen für eine bildstarke Inszenierung: Die 100 funkelnagelneuen Caravans posieren, in Reih und Glied geordnet, auf dem Frankfurter Flughafen vor einer Boeing 747.

Im Fall der Fälle: Seit gut 70 Jahren ist der AvD – hier mit einem Kadett C – zur Stelle, falls es einmal unplanmäßig läuft.
Verkehrsgünstige Lage: Heute residiert der AvD in einem modernen Bürogebäude in Frankfurt-Niederrad unweit der A5.

Partner der Mobilität

Der traditionsreiche Automobilclub von Deutschland setzt sich seit seinen Anfängen 1899 für die Entwicklung des Verkehrsmittels Automobil in all seinen Facetten ein. So hob er die erste Kraftfahrtversicherung mit aus der Taufe, entwickelte den Vorläufer des Führerscheins und richtete 1904 die erste internationale Automobilausstellung in Frankfurt aus. Der Motorsport ist in all seinen Facetten bis heute ein wichtiger Bestandteil der Clubarbeit. Aber auch die Verkehrssicherheit ist ein beständiger Auftrag. Der AvD ist Gründungsmitglied sowohl der Federation Internationale de l’Automobile (FIA) als auch der Deutschen Verkehrswacht. Seit 1948 hat der in Berlin gegründete Club seinen Sitz in Frankfurt am Main.

In den 80er-Jahren – das Autobahnnetz ist auf 7.500 Kilometer angewachsen – hält zunächst der Opel Rekord Einzug in den AvD-Fuhrpark und bietet den Mitarbeitern ein Plus an Komfort, Laderaum und Nutzlast. Auch der Kadett E – ausgestattet mit einem Abgaskatalysator – bewährt sich ab 1984 im Alltag der Helfer. Im tagtäglichen Einsatz kommen die einzelnen Hilfsdienstfahrzeuge auf jährliche Fahrleistungen von mehr als 350.000 Kilometer. Grund genug, Anfang der 1990er-Jahre mit der Indienststellung des Astra F auch die Fahrzeugbeschaffung von Kauf auf Leasing umzustellen. Heute garantieren bundesweit über 2.000 Pannenhilfsfahrzeuge von gut 600 AvD-Partnerunternehmen eine flächendeckende, schnelle Hilfe. Sieben Tage die Woche, rund um die Uhr.

Sport in den Genen

Doch die Historie umfasst nicht nur sieben Jahrzehnte Verkehrshilfsdienst – sie reicht noch viel weiter zurück: Der AvD beginnt seine Geschichte vor 125 Jahren zunächst als Deutscher (DAC) und später Kaiserlicher Automobil-Club (KAC). Doch warum gründet sich in Deutschland im Jahr 1899 überhaupt ein solcher Verein? „Selbstfahrer“ sind jedenfalls ein Jahr vor der Jahrhundertwende noch so gut wie gar nicht auf öffentlichen Wegen unterwegs. In Rüsselsheim hat Opel zu diesem Zeitpunkt gerade mal elf Patentmotorwagen „System Lutzmann“ hergestellt. Der Auslöser ist vielmehr die Faszination am Motorsport. Es sind Verlagshäuser, die seinerzeit Rennsport-Veranstaltungen ausrufen. Ihr Kalkül, dass die Berichterstattung über die spektakulären Rennen die Auflage steigert, geht auf. Was fehlt, sind Regularien für diese Rennen. Hier kommen die neu gegründeten Automobilclubs ins Spiel.

Und immer wieder Kadett: Der als „Weltauto“ konzipierte Kadett C tritt in der zweiten Hälfte der 1970er-Jahre seinen AvD-Dienst an – ebenfalls in der Caravan-Version.
Rot-Weiß in Szene gesetzt: Trugen die Fahrer in den Anfangsjahren weiße Overalls, schlüpften sie 1970 mit dem Start des Kadett B Caravan in eine rote Montur.
Klar gezeichnete Karosserie mit viel Ladevolumen: Werkzeug, Ersatzteile, Ersatzkanister und Absperrutensilien für die schnelle Hilfe an der Pannen- oder Unfallstelle finden Platz.
Foto-Shooting am Frankfurter Flughafen: Im Hintergrund steht eine Boeing 747, davor 100 neue Kadett B Caravan – für das Olympiajahr 1972 stockt der AvD seine Flotte mächtig auf.
Familienbande: 1975 gibt es die Übergabe der nächsten Kadett-Generation. Auf dem Foto zu sehen: der damalige AvD-Geschäftsführer Hans-Jürgen Linden, der Vater von Lutz Leif Linden.

Die „Pflege des Sports“ ist so auch das erste Ziel des in Berlin gegründeten DAC. 1904 darf der Club den 5. Gordon-Bennett-Cup ausrichten – es ist das erste internationale Rennen auf deutschem Boden. Fahrer aus sieben Nationen rasen durch den Taunus, eine Million Zuschauer säumen den Rundkurs. Mit dabei: Fritz Opel; er geht mit einem 100-PS-Vierzylinder-Rennwagen an den Start. Dieser internationale Leistungsvergleich mit drei Rennwagen pro Nation gilt als Geburtsstunde des Grand-Prix-Motorsports. Und so ist der AvD auch einer der 13 Mitbegründer der FIA, der Fédération Internationale de l’Automobile, dem Leitungsgremium des weltweiten Motorsports. Auch heute noch ist der AvD aktiver Organisator von Motorsportveranstaltungen wie dem Großen Preis von Deutschland, der Rallye Monte-Carlo Historique oder der AvD-Histo-Tour.

Von IAA bis Führerschein

Doch auch vieles, was heute selbstverständlich ist, hat der AvD bereits in der automobilen Frühphase aktiv vorangetrieben und mitgeprägt: Der Club hebt die erste Kraftfahrtversicherung mit aus der Taufe, betreibt eine der ersten Fahrschulen in Berlin, entwickelt den Vorläufer des Führerscheins mit und richtet 1904 die erste internationale Automobilausstellung, kurz IAA, in Frankfurt aus. „Der AvD ist nicht irgendein Club“, betont Lutz Leif Linden. Der Automobilclub von Deutschland sei längst ein moderner Dienstleister, der nicht nur den Anforderungen seiner Mitglieder gerecht werde. „Wir erfüllen auch die Bedürfnisse der Industriekunden, wir arbeiten politisch, bringen uns in wichtigen Gremien ein und betreiben Lobbyarbeit.“ Damit spiele der Club auch verkehrs- und steuerpolitisch eine bedeutende Rolle.

Und natürlich muss heute niemand mehr darauf hoffen, ein zufällig patroullierendes Pannenfahrzeug in Rot-weiß im Rückspiegel zu erblicken. Die 1,4 Millionen Mitglieder des AvD können per App ihren aktuellen Standort, die Pannenursache und Angaben zum Fahrzeug senden, um Hilfe anzufordern. Und so gilt auch heute noch: „Kein Mucks, kein Ton – wir kommen schon“.

Viel Platz, robust, gut motorisiert: Eine ganze Klasse über dem Kadett rangiert der Opel Rekord, der in den 1980er-Jahren Einzug in den AvD-Fuhrpark hält.
Für die Mitarbeiter des Verkehrshilfsdienstes bietet der dreitürige Rekord Caravan ein Plus an Komfort, Laderaum und Nutzlast.

November 2024

Fotos: Automobilclub von Deutschland