Der Selfmade-Millionär

Mal Hand aufs Herz: Wann haben Sie das letzte Mal einen Rekord D auf der Straße gesehen? Ist sicher schon eine Weile her. Es gibt sie aber noch. Man muss nur genau hinschauen. Und das hat Andreas Vollmer getan. Er ist in der Szene als Sammler schöner Opel-Oldtimer bekannt, spezialisiert auf den Kadett D. Ganze sechs Opel-Fahrzeuge dieser Epoche kann er sein Eigen nennen. Und er ist bestens vernetzt, wenn es um Rüsselsheimer Modelle aus dieser Zeit geht.


Im Dornröschenschlaf: So hat Andreas Vollmer den Rekord D in einer Scheune vorgefunden.

So bekam Andreas Vollmer eines Tages einen Anruf. Ausgerechnet von einem Freund aus der Ford-Szene. Er meldete sich mit dem Hinweis, dass eine Bekannte einen Opel Rekord D in der Scheune stehen habe. Und zwar seit gut 30 Jahren. Mit gerade mal 60.000 Kilometern auf der dem Tacho. Man kennt diese Art von Geschichten aus früheren Zeiten: Da wurde ein Auto in irgendeine Scheune geschoben und Jahrzehnte lang vergessen. Bis es dann von einem glücklichen Sammler wiederentdeckt wurde. Aber sowas gibt es heute nicht mehr. Die Scheunen sind alle schon lange leergeräumt worden. Wirklich alle?

Staub gut, alles gut

Andreas Vollmer fuhr natürlich zu besagtem Ort in Mittelhessen. Vor Ort fand er einen sehr verstaubten Oldtimer. Ein Bild, das ungeübte Augen vielleicht erstmal abgeschreckt hätte. Nicht so das des Kenners. Der Staub verrät: die Scheune ist trocken. Gute Voraussetzungen für ein Auto, das drei Jahrzehnte darin verbracht hat.

Spurtkraft und Ausdauer: Das Sondermodell „Millionär“, Baujahr 1976, fährt mit einem 100 PS starken 2,0 Liter-S-Motor vor.
Der Luxus der Berlina-Ausstattung: Polsterung und Teppich so weit das Auge reicht – selbst auf der Tunnelkonsole.

Der Mythos Scheunenfund – er lebt.


Im Jahr 1971 wurde das erste Mal „Die Sendung mit der Maus“ ausgestrahlt. Die Fernseher hatten meistens noch farblose Röhren und natürlich keine Fernbedienung. Bei den drei angebotenen Fernseh-Programmen war weder das „Zappen“, noch das Wort selbst erfunden. Und in diesem Jahr, im Dezember, erblickte der erste Opel Rekord II das Licht der Welt. So wurde er anfangs genannt, nicht Rekord D. Man befürchtete, dass das „D“ als Diesel missinterpretiert werden könnte.

Erster Opel-Pkw-Diesel

In der Tat kam der Selbstzünder erstmalig ein Jahr später im Rekord auf den Markt. Somit gilt das Modell als erster Opel-Pkw-Diesel, der in Serie gebaut wurde. Drei Monate zuvor im Juni hatte der turbogeladene Wirbelkammermotor seinen ersten Einsatz – in einem aerodynamisch optimierten Diesel GT, der 18 internationale Rekorde und zwei Weltrekorde im Testcenter Dudenhofen aufstellte. Wer hätte damals gedacht, wie beliebt diese bis dato insbesondere in Lkws verwendete Antriebsart werden würde?

Im September 1976 läuft der einmillionste Rekord D vom Band: Anlässlich des Jubiläums geht eine Kleinserie des Sondermodells „Millionär“ in den Verkauf. 

Am Ende laufen 1.128.196 Rekord D in Rüsselsheim vom Band.

Wie beim Vorgänger stehen drei Karosserievarianten zur Wahl: die klassische Stufenheck-Limousine mit zwei oder vier Türen, eine Caravan-Version mit drei oder fünf Türen. Für den gewerblichen Einsatz – und in bester Tradition des legendären „Schnelllieferwagens“ der 1950er und 1960er Jahre – bietet Opel außerdem den Rekord als Lieferwagen an (einen dreitürigen Kombi ohne Seitenfenster im Fond). Last but not least rundete ein Coupé das Angebot ab. Allerdings diesmal mit einer B-Säule, deren Wegfall noch den C-Rekord auszeichnete.

Ein echter Bestseller

Als im September 1977 die letzte Rekord-Generation startet, sind in Rüsselsheim 1.128.196 Einheiten des Rekord D und 140.827 Commodore B vom Band gelaufen. Ein großer Erfolg für die Marke aus Hessen. Und Beweis genug, dass „der Markt einen Wagen wie den Rekord braucht“, wie eine „Opel Presse-Information“ damals zur Einführung des Modells treffend feststellt.

Bestens ausgestattet: Der von innen bequem verstellbare Außenspiegel.
Für den sportlichen Fahrer: Zusätzliche Instrumente wie Drehzahlmesser und Voltmeter sind an Bord.
Per Knopfdruck: Vom Fahrersitz aus lässt sich der Kofferraum elektrisch entriegeln.

„Denken Sie daran: Millionäre gibt es nicht alle Tage.“

– aus dem „Millionär“-Verkaufsprospekt 1976

Rekord entpuppt sich als Millionär


Wie sich schnell herausstellte, war der Scheunenfund von Andreas Vollmer das exklusive Sondermodell „Millionär“. Das wurde aufgelegt als im September 1976 eine goldene Rekord D-Limousine als einmillionstes Modell der Baureihe vom Band lief. Neben der Berlina-Ausstattung spendierte Opel dem „Millionär“ unter anderem eine elektromagnetische Entriegelung des Kofferraumdeckels – per Knopfdruck vom Fahrersitz aus. Außerdem gab es jede Menge Zusatzinstrumente wie Drehzahlmesser, Voltmeter und Öldruckmesser. Damit war der Rekord-Fahrer besser ausgestattet als mancher Fahrer eines Sportwagens dieser Zeit. Andreas Vollmer jedenfalls war klar, dass dieser besondere Rekord schnell wieder ins Leben zurückgeführt werden musste.

Spurtkraft und Ausdauer: Das Sondermodell „Millionär“ fährt mit einem 100 PS starken 2,0 Liter-S-Motor vor. Ein kleines Extra aus Zeiten, als man noch öfters unter die Motorhaube schaute: die Motorraum-Beleuchtung.
Opel, der Zuverlässige: Um den Wagen wieder fahrtüchtig zu machen, musste Andreas Vollmer lediglich wenige Teile tauschen.

Eine optische Begutachtung ergab: keine gravierenden Roststellen. Sehr gut. Sogar der Motor drehte, wenn auch vorsichtshalber erstmal nur mit einer Ratsche an der Kurbelwellenscheibe. Lediglich das Thermostat sah etwas aufgequollen aus und die Wasserpumpe hatte auch ihre besten Zeiten hinter sich. Neben dem Keilriemen, der nach so langer Standzeit getauscht gehört, waren das nur Kleinigkeiten. Mit Hilfe von Kollegen der Alt Opel Interessengemeinschaft wurde der Oldie in Eigenregie schnell wieder fit gemacht. Seit September dieses Jahres besitzt das Fahrzeug auch wieder die Freigabe in Form einer Vollabnahme. Nach über 30 Jahren in der Scheune darf der Millionär wieder am öffentlichen Verkehr teilnehmen.

Nach 30 Jahren in der Scheune darf er wieder auf die Straße.

Gemäß der ursprünglichen Bestimmung des Rekord D fährt Andreas Vollmer gerne mit ihm zur Arbeit oder auch mal zum Supermarkt. Als „Daily Driver“ taugt der lindgrüne Rüsselsheimer noch heute. Aber besonders gerne wird der Klassiker zu einer Ausfahrt bei schönem Wetter am Wochenende bewegt. Vielleicht sehen wir ihn demnächst dabei auf der Straße. Denn wie gesagt: Es gibt sie doch noch. Man muss nur genau hinschauen.

Mit Blick auf den Rhein: Andreas Vollmer und seine Lebensgefährtin Kira Wunsch sind an ihren Lieblingsplatz auf der Laubenheimer Höhe bei Mainz gefahren. Im Hintergrund das Opel-Werk, die Geburtsstätte des Rekord D.

November 2021

Text und Fotos: Stephan R. Arnold