Vor 60 Jahren: Die Schmiede wuchs, das Bargeld stapelte sich, die Opel-Wohnheime entstanden, während die Opel-Sirene verstummte. Wir werfen einen Blick in die Opel Post-Ausgabe vom Januar/Februar 1962.
Die komplette Ausgabe zum Download: Das Titelbild von Heft 1 aus dem Jahr 1962 zeigt die Ötztaler Alpen.
Geformt unter Hitze und Druck
Dieser gewaltige Drehherd-Ofen gehört zu der neuen Kurbelwellenstraße im Schmiede-Erweiterungsbau, die Anfang der 60er-Jahre in Rüsselsheim ihren Betrieb aufgenommen hat. Im Hintergrund zu sehen ist die dazugehörige Ajaxpresse. Die Arbeitsgänge sind automatisiert, es war die erste derartige Anlage in Europa. In dem Ofen werden die auf vier Meter gekürzten Stahlstäbe auf bis zu 1.290 Grad erhitzt. Nach zwei Hüben in der 6.000 Tonnen-Ajaxpresse und weiteren Stationen in der Abgrat- und Richtpresse verlassen die immer noch 700 Grad heißen Wellen die Halle in Richtung Vergüterei.
Kurbelwellen entstehen: Der Drehofen
ist Teil der erweiterten Schmiede.
Als Bares nichts Rares war
Die Opel Post beleuchtete in ihrer Serie „Mensch und Arbeit“ Tätigkeiten jenseits der Fertigung, damit die Leser „einen Eindruck gewinnen, daß auch in anderen Bereichen wichtige, verantwortungsvolle Arbeit im Interesse des Ganzen geleistet wird.“ Den Beginn der Serie macht die Hauptkasse, die seinerzeit von Ludwig Gerhardt geleitet wurde.
Gespickt mit Fachbegriffen wie „Kontokorrentkonten“, „Kreditorenbuchhaltung“ und „abdisponiert“ erklärt der Artikel, wie die Hauptkasse Geldbewegungen verbucht und ein lückenloses System die Verbuchung aller eingehenden Schecks erfasst. Der größte Gegensatz zu heute: Die Kollegen verwalteten dabei noch bündelweise Bargeld.
Herr über das Bargeld:
Ludwig Gerhardt war 1962
Leiter der Hauptkasse.
Moskauer Alltag anno 1962
Restaurantbesuch: Gaststätten wie diese gibt es laut des Berichts nur wenige, das gesellschaftliche Leben spiele sich stattdessen in der Familie ab.
Die Opel Post wirft in der Rubrik „Wie die anderen leben“ einen Blick über die Grenzen der Bundesrepublik hinaus. In Folge 15: die Sowjetunion oder genauer die Russische Sozialistische Förderative Sowjetrepublik als eine der 15 Unionsrepubliken der UdSSR. Protagonist des Lesestücks ist der Moskauer Iwan Nekrassow, Arbeiter in einer Maschinenfabrik, und „einer dieser 209 Millionen Sowjetmenschen, der die Veränderungen seines Landes seit der Revolution mit offenen Augen, manchmal mit stiller Angst, aber doch mit zunehmendem Stolz miterlebt hat.“
Der Bericht gibt Einblicke ins Private, seine Zweizimmer-Wohnung „mit alten Möbeln, einem Wachstuchsofa, der großen Hängelampe“, aber auch das damalige Preisgefüge in dem totalitären Staat. Dinge des täglichen Lebens sind preiswert, Extravaganzen kosten: Ein Brot gibt es für 1,20 Rubel, für die Tafel Schokolade hingegen muss Iwan Nekrassow 20 Rubel hinblättern.
Stadtansichten: Während Arbeiter, darunter Frauen, ein Gleisbett anlegen, exerzieren im Hintergrund Kadetten der Moskauer Militärakademie.
„Beim Opel ‚brummts‘ nicht mehr!“
Das Zitat bezieht sich nicht auf die Automobil-Produktion, schließlich befand sich das Unternehmen Anfang der 60er-Jahre in einer großen Blütezeit. Es war die tägliche Opel-Sirene, die zur Mittagszeit nicht mehr ertönte – die nicht mehr brummte. Die Sirene sei zwar ein Stück Opel, ein Stück Rüsselsheim gewesen, berichtet der Artikel, doch weiter heißt es: „Sie war zu laut und zu störend und nicht mehr zeitgemäß, und deshalb wurde sie kurzerhand in den Ruhestand geschickt.“
722 Betten
sind in den Opel-Wohnheimen am Rüsselsheimer Grundweg entstanden. Ein Jahr zuvor, 1961, hatte mit der Unterzeichnung der Arbeitskräfte-Allianz offiziell die türkische Migration in die Bundesrepublik begonnen. Der Anteil türkischer Bürger in der Rüsselsheimer Bevölkerung und in der Opel-Belegschaft wuchs. Mit den Ein- und Zweibettzimmern wurde Wohnraum für die neuen Kollegen geschaffen. In den Gebäuden integriert waren Bastelräume, ein Fotolabor und Vortragsräume, es gab eine pädagogische Betreuung, die eng mit der Opel-Sozialabteilung zusammenarbeitete.
Januar 2022