Die Geschichte ist bekannt unter dem Titel „The Unplayable Piano“. Sie ereignete sich vor 47 Jahren in der Kölner Oper als sich Keith Jarrett an ein Piano setzte, das eigentlich unbespielbar war: Der Flügel hatte ein begrenztes oberes Register, die schwarzen Tasten hakten, die Pedale funktionierten nicht, das Instrument war zu klein dimensioniert für den Raum. Der amerikanische Jazz-Pianist spielte das Konzert vor 1.400 Zuschauern dennoch: Er passte sein Spiel den Möglichkeiten des Flügels an, vermied jene oberen Register, baute rollende Bassriffs in sein Spiel ein, es entstand eine Aufführung voller Kreativität und Emotion – das Publikum und die Kritiker waren begeistert.
Kreative Spielräume erkunden
Wann genau der Begriff „The Unplayable Piano“ das erste Mal auftauchte, bei einem Meeting oder in einer Mail – so genau wissen es die Projektverantwortlichen aus Rüsselsheim nicht mehr. Doch er blieb. Und entstanden ist unter dem Namen am Opel-Stammsitz jenes Element, über das das Handelsblatt schreibt: „Den wirklichen Wow-Effekt bietet der Astra im Cockpit. Was sich dort an digitaler Welt präsentiert, hätte man Opel als Volumenhersteller niemals zugetraut, (…) puristisch, clean und hochwertig.“ Das volldigitale Opel Pure Panel, die neuste Generation Mensch-Maschine-Schnittstelle im Newcomer Astra, ist ein Beispiel dafür, dass Außergewöhnliches entstehen kann, wenn ein Team den Mut und den Willen hat, konsequent neue, kreative Spielräume zu erkunden.
– Haiyan Yu, Sonderbeauftragte des Program Teams für das Pure Panel –
„Der Name ‚The Unplayable Piano‘ und die Geschichte dahinter haben uns immer daran erinnert, dass es stets andere, kreative Möglichkeiten gibt, ans Ziel zu kommen.“
„The Unplayable Piano“ sei nicht nur ein Name, sondern vielmehr ein Versprechen gewesen, das sich die Verantwortlichen untereinander gegeben hätten, sagt Haiyan Yu. „Die Geschichte dahinter hat uns immer daran erinnert, dass es andere, kreative Möglichkeiten gibt, ans Ziel zu kommen“, erzählt die Projektsteuerin – im Team nennt man sie „Frau Pure Panel“. Schon als zu Beginn im Konzern-Regal die benötigten Komponenten für das vom Styling „Bold and pure“, also mutig und klar, gezeichnete Cockpit nicht zu finden waren, wäre es ein Leichtes gewesen, Kompromisse einzugehen, die ursprüngliche Vision anzupassen.
Prototyp entfaltet seine Wirkung
Stattdessen besorgte sich das Team einen Termin bei der Unternehmensführung, baute einen ersten Prototyp. Ohne großen Aufwand, schlicht aus Holz, mit einer aufgeklebten Glasplatte. Die Materialkosten: keine 20 Euro. Die Wirkung: unbezahlbar. „Als wir aus der Besprechung kamen, hatten wir die Genehmigung, das Cockpit genauso zu verwirklichen“, erinnert sich Haiyan Yu. Das Konzert sollte also stattfinden. Jetzt musste virtuos gespielt werden. Und das haben die Projektverantwortlichen mit viel Hingabe getan.
– Angela Krell, Package-Integration –
„Ohne die Möglichkeiten der virtuellen Simulation wäre die Entwicklung eines vollverglasten Cockpits nicht möglich gewesen.“
Angela Krell ist Package-Ingenieurin. Ihre Aufgabe: Für die nötige Balance zwischen Styling und Engineering sorgen, die Interessen der Fachbereiche von Elektrik bis Safety untereinander orchestrieren, das Gesamtpaket im Blick behalten. Zusammen mit den Kollegen von Manufacturing & Engineering hat sie erste Cockpit-Aufbauten erstellt, um den Einbau der Pure Panel-Komponente zu testen und ein spezielles Einbau-Tool zu entwickeln. Ihr besonderes Augenmerk während der Entwicklung galt dem Attribut „vollverglast“. „Im Hinblick auf Spiegelungen und Reflexionen ist das eine echte Herausforderung“, sagt sie und öffnet eine Präsentation. Darin hinterlegt sind Simulationssequenzen, die die akribische Detailarbeit verdeutlichen. Durchgeführt und feinjustiert hat die Simulationen Nicolas Böcher: Mal trägt der Fahrer auf der Simulation ein weißes T-Shirt, mal hat die Fahrerin glänzenden Schmuck angelegt, mal scheint die untergehende Sonne durchs Heckfenster.
Wenn der Fahrer weiß trägt
So haben die Entwickler auf Basis unzähliger Simulationen unterschiedlichste Materialien erprobt, Oberflächenstrukturen getestet und nicht zuletzt den Einbauwinkel des Pure Panel auf das Grad genau ermittelt. „Ohne die Möglichkeiten der virtuellen Simulation wäre die Entwicklung eines vollverglasten Cockpits kaum möglich gewesen“, sagt die Package-Ingenieurin, die dafür gesorgt hat, dass die Simulationsergebnisse in die Hardware eingeflossen sind. Um die Reflexionen so weit als möglich zu minimieren, wird eine spezielle Folie in das Glas eingearbeitet. Sie wirkt zudem wie eine Art Sonnenjalousie. Zusätzliches Plus: „Dadurch konnten wir die sonst übliche Sonnenschutzhutze über dem Display weglassen, was dem Pure Panel noch mehr Hightech-Charakter verleiht“, sagt Angela Krell.
– Joel Lutz, User Experience (UX) –
„Die Bedienung ist klar und intuitiv: Maximaler Komfort bei minimaler Ablenkung – wir nennen es ‚Detox to the max‘.“
Parallel dazu arbeitete das Team um Joel Lutz an dem Nutzungserlebnis, der sogenannten User Experience (UX) des Cockpits. Klar, eindeutig und intuitiv sollte die Bedienung sein. „Maximaler Komfort bei minimaler Ablenkung – wir nennen es ‚Detox to the max‘“, umschreibt er die Philosophie. Unsinnige Informationen und unnötige Funktionen – die gibt es nicht. Das volldigitale Cockpit ist leicht gebogen, wendet sich dem Fahrer zu. Einige wichtige Funktionen lassen sich nach wie vor per Taste bedienen, die Anordnung erinnert an ein Klavier. Ein intuitiv bespielbares Klavier. Die Liebe zum Detail, die in das Nutzererlebnis geflossen ist, die kann man sehen und hören. So wurden die Graphiken auf den Bildschirmen eigens designt.
Instrumente sind im Spiel
Auch alle Töne, in der Fachsprache Chimes genannt, hat das Team neu entwickelt. Also das rhythmische Geräusch, das ertönt, wenn man den Blinker setzt, das Warnsignal, wenn man nicht angeschnallt ist. „Dabei haben wir auf Töne aus der Konserve verzichtet und stattdessen echte Klänge aufgenommen – eingespielt auf Streich- und Schlaginstrumenten“, sagt Joel Lutz. Und dann sind da die Innovationen, die erstmals im Cockpit Einzug erhalten haben. Das Infotainment erkennt Fahrer oder auch Passagiere anhand des Smartphones. So können unterschiedliche Personen ihre individuellen Einstellungen mit einer Berührung auf dem Widescreen aktivieren. „Hey Opel“ – zwei Worte genügen und das Pure Panel im Astra ist ganz Ohr, was Fahrer und Passagiere wünschen. Die neue natürliche Spracherkennung arbeitet voll vernetzt wie das gesamte Infotainment der neuesten Generation.
– Monika Krämer, Supplier Management –
„Eines der ambitioniertesten Komponenten des Pure Panels bekommen die Kunden nie zu sehen: die Tragstruktur aus Magnesium.“
Und das Pure Panel, das sind aus Sicht des Engineerings nicht nur zwei hinter Echtglas verbundene zwei 10 Zoll große Monitore, sondern eine hochkomplexe in das Auto integrierte Komponente – von Klima/Heizung über Elektronik bis Hardware. Selbst die Lüftungsdüse für den Fahrer ist in die nahtlose Scheibe integriert. Entsprechend akribisch musste die Arbeit der Zulieferer koordiniert werden. Dafür verantwortlich: Monika Krämer. „Das ambitionierteste Bauteil des Pure Panels bekommen die Kunden gar nicht zu sehen: die Tragstruktur“, sagt die Supplier Managerin des Entwicklungsteams.
Sorgfältig komponiertes Package
Es ist die zentrale, die tragende Komponente des Cockpits. Die vorgegebene Marschrichtung war auch hier: anspruchsvoll. Leicht sollte das gewichtigste Bauteil des Cockpits sein und gleichzeitig stabil. „Daher haben wir uns für Magnesium entschieden. Ein Rohstoff, der drei Mal leichter ist als Stahl, eineinhalb Mal leichter als Aluminium und gleichzeitig eine hohe Steifigkeit aufweist“, sagt Monika Krämer. Der zur Verfügung stehende Bauraum – er ist ein sorgfältig komponiertes Paket.
– Matthias Röthel,
Perfektion in Fahrzeug Integration –
„Das Pure Panel ist dann perfekt, wenn die Kollegen der Fertigung es auch perfekt einbauen können.“
Die von den Zulieferern gefertigten Cockpit-Komponenten, die sind ohne Ausnahme früher oder später an einem Ort gelandet: in K111, der sogenannten Mapiex-Werkstatt mitten auf dem Rüsselsheimer Werksgelände. Hier unweit der Astra-Fertigungslinie sorgt ein Team dafür, dass die Komponenten maßgenau verbaut werden können. Um das anspruchsvolle Cockpit hat sich der Leiter der Abteilung, Matthias Röthel, maßgeblich persönlich gekümmert. Vor ihm auf einem Prüfbock aufgebaut steht das Cockpit inklusive Mittelkonsole. „Ich habe so ziemlich jede Komponente 500 mal ein- und ausgebaut – mindestens“, sagt er und schickt hinterher: „Es ist nur dann perfekt, wenn die Kollegen der Fertigung es auch perfekt einbauen können.“ Spaltmaße sind eine Kerngröße, aber auch die Kräfte, die erforderlich sind, die Komponenten zu vereinen. Und auf dem Regal hinter Matthias Röthel steht jenes Objekt, mit dem die Entwicklung seinerzeit begonnen hat: Der Prototyp aus Holz und Glas, den das Team der Unternehmensführung präsentiert hatte. Zwei Jahre ist das her.
Meisterwerk aus Rüsselsheim
Und wie ging die Geschichte des „The Unplayable Piano“ aus der Kölner Oper aus, die Pate stand für das Rüsselsheimer Projekt? Sie ist auch deshalb noch heute bekannt, weil die Aufnahme, die an diesem Abend entstand, für Keith Jarrett den großen Durchbruch brachte. Das Album „The Köln Concert” verkaufte sich 3,5 Millionen Mal. Es ist bis heute das meistverkaufte Solo-Jazzalbum überhaupt. „Wir haben bei der Entwicklung des Pure Panels – wie damals Keith Jarrett – die gewohnten Pfade des Denkens und Handelns verlassen. Immer wieder“, sagt Haiyan Yu. Das koste Mut und Selbstvertrauen und garantiere nicht immer automatisch den sofortigen Erfolg: „Aber es schafft neue kreative Spielräume und im Ergebnis ein außergewöhnliches Erlebnis im Fahrzeug-Cockpit, das hoffentlich ganz, ganz viele Kunden im neuen Astra erleben werden.“ Das virtuos komponierte Meisterwerk aus Rüsselsheim kann man ab sofort vielfach live erleben – der neue Astra wird läuft seit Mitte Februar am Opel-Stammsitz in Serie vom Band.
Februar 2022