Das Buch ist klein und kompakt. Mit 10 mal 16 Zentimetern gerade mal so groß wie ein Briefumschlag. Es liegt im obersten Fach eines verschlossenen Metallschranks, gebettet in eine spezielle Kiste, die den chemischen Zersetzungsprozess der Papierseiten verlangsamt. Die letzte Schutzschicht bildet ein Pergaminumschlag, der den Staub und die Feuchtigkeit abhält. Das Schriftstück wird nicht ohne Grund so sorgsam verwahrt: Es ist das Wanderbuch des Unternehmensgründers Adam Opel – und ist damit untrennbar mit der 160-jährigen Unternehmensgeschichte von Opel verbunden.
„Auf der Reise reifte bei Adam Opel vermutlich der Entschluss, selbst ein Unternehmen zu gründen.“
Carmen Russo
Sicher verwahrt seit Jahrzehnten
Denn das Buch begleitete den 20-Jährigen, als er im Herbst 1857 von Rüsselsheim aufbrach, um auf seiner Wanderschaft andere Arbeitspraktiken, Länder und Sitten kennenzulernen. „Damals war das Wandern nach der Lehre und bestandener Gesellenprüfung Voraussetzung dafür, den Meistertitel zu erhalten“, erläutert Carmen Russo, Leiterin des Opel Medienarchivs, dem Ort, an dem das Dokument seit vielen Jahrzehnten verwahrt wird. Sie ergänzt: „Auf dieser fünfjährigen Reise reifte bei Adam Opel vermutlich der Entschluss, ein eigenes Unternehmen zu gründen. Die Eintragungen im Buch lassen immer wieder den innovativen Geist erkennen, der Adam Opel auszeichnete.“
Angefasst werden darf das Buch ausschließlich mit Baumwollhandschuhen. Auf den ersten Seiten sind Angaben zum Besitzer festgehalten – „Haare: blond, Augen: grünblau, Stirne: schmal“. Das Buch diente als offizielles Dokument. Bescheinigungen aller Betriebe, bei denen Adam Opel während seiner Reise gearbeitet hat, sind dort hinterlegt. Dadurch lässt sich seine Reiseroute genau nachvollziehen.
„Der Gesell soll sein Wanderbuch wohl verwahren, damit solches nicht verloren, auch unverletzt und rein erhalten wird.“
Hinweis aus dem Wanderbuch
von Adam Opel
Die Wurzeln liegen in Paris
So ging es für Adam Opel von Rüsselsheim mit dem Schiff zunächst den Rhein hinunter nach Eschweiler, Lüttich und Brüssel. Im Mai 1858 brach er nach Paris auf. In dieser, für die Mitte des 19. Jahrhunderts, hoch technisierten Millionenstadt konnte sich der Wandergeselle zunächst nur mit Mühe über Wasser halten. Das änderte sich 1859. Nachdem er eine Ausstellung der Nähmaschinenfabrik von „Journeaux et Lebland” besucht hatte, trat er am 19. August in den Dienst des damals bedeutendsten Nähmaschinenherstellers. Zweieinhalb Jahre blieb er dort. Es war nicht nur die längste, sondern auch die wichtigste Station seiner Reise: Hier lernte Adam Opel moderne Produktionstechniken und alle notwendigen Schritte kennen, um eine gut gehende Nähmaschine zu fertigen.
Als Adam Opel 1862 zurück nach Rüsselsheim kam und seinem Vater seine Pläne unterbreitete, war dieser zunächst wohl nicht sonderlich begeistert. Doch allen Widerständen zum Trotz gründete Adam Opel noch im gleichen Jahr in einem Kuhstall seine Nähmaschinen-Manufaktur. Der Rest ist Geschichte. Diese Gründung legte den Grundstein für ein Unternehmen, das sich von einer erfolgreichen Nähmaschinenfabrik über den weltweit größten Fahrradhersteller zur international bedeutenden Automobilmarke entwickelte. Die Anfänge liegen genau 160 Jahre zurück.
„Das Wanderbuch ist eines der wichtigsten Dokumente des Archivs.“
Carmen Russo
Medienarchiv führt Geschichte fort
„Das Buch, das die so wichtigen Wanderjahre des Firmengründers dokumentiert, ist eines der bedeutendsten Dokumente des Archivs“, sagt Carmen Russo. Auf gut 1.000 Quadratmetern halten die Kollegen des Medienarchivs doch nicht nur die Opel-Geschichte lebendig. Sie sind auch bei jeder neuen Produkteinführung eingebunden, um internen wie externen Kommunikatoren, Journalisten und Freunden der Marke Fotos und Hintergrundinfos zur Verfügung zu stellen. Und Produkteinführungen gibt es rund um den 160. Geburtstag reichlich. Denn das Unternehmen vollzieht den nächsten Schritt – den von einer Automobilmarke hin zum elektrischen Mobilitätsdienstleister.
Februar 2022