Am Anfang war das Hochrad
Auf einer Reise nach Paris lernt Adam Opel 1884 das Hochrad kennen – in Frankreichs Hauptstadt stellen Räder bereits selbstverständliche Fortbewegungsmittel dar. Kurzentschlossen beschafft sich der Unternehmer ein solches Gerät. Es dauert aber noch etliche Monate, bevor nach gründlichem Studium französischer und englischer Räder 1886 das erste eigene Modell die Fabrik in Rüsselsheim verlässt. Mit einer illustrierten Preisliste beginnt im Herbst 1887 dann ganz offiziell der bedeutende Abschnitt der Firmengeschichte.
Weltgrößter Produzent
Schon 1888 wird die erste dedizierte Fabrikhalle errichtet. 1890 können bereits 2.200 Zweiräder abgesetzt werden. Großen Anteil an dieser Entwicklung haben die fünf Opel-Söhne. Sie begeistern sich früh für das Fahrrad, erkennen sein Absatzpotenzial und machen das Unternehmen schließlich zum weltweit größten Fahrradproduzenten der 1920er Jahre. Die Begeisterung von Carl, Wilhelm, Heinrich, Fritz und Ludwig für das Rad drückt sich besonders in den zahlreichen Rennsiegen aus. Die sportlichen Erfolge sind auch eine hervorragende Werbung für die eigenen Produkte.
Zum Wohle der Kunden
Der Grundsatz der Kundenorientierung wird bei Opel von Anfang an großgeschrieben. Dem Hochrad, mit dem der Fahrradbau in Rüsselsheim begann, wird 1888 das moderne Niederrad beiseite gestellt. Es lässt sich einfacher bedienen und ist dadurch erheblich sicherer. Sein Name: „Blitz“. Auch kippsichere Dreiräder Typ „Fortuna“ finden den Weg ins Sortiment. Darüber hinaus lässt Adam Opel eigens einen „Fahrsaal“ auf dem Werksgelände bauen, in dem die Opel-Kundschaft ungestört das Radeln üben kann. Ehefrau Sophie gibt sich hier bisweilen als Instruktorin die Ehre.
Velodrome entstehen
Ähnliche Velodrome entstehen später überall in Deutschland. Außerdem gründet die Opel-Familie einen Radfahrer-Verein. So können Zweiradfahrer, die zu Beginn des Booms noch keine Lobby hatten, ihre Interessen besser vertreten. Auch außerhalb Rüsselsheims werden solche Klubgründungen von Opel unterstützt. Während die Fahrsäle schon lange Geschichte sind, existiert der „Radfahrer-Verein Opel 1888 Rüsselsheim e. V.“ noch heute.
Vorsprung durch Kompetenz
In der Fahrradproduktion beschäftigt Opel fast ausschließlich Fachkräfte, die vorher in der eigenen Nähmaschinen-Fertigung tätig waren. Ob Nähmaschine oder Zweirad – beiden Produktionsprozessen gemeinsam ist das Prinzip austauschbarer Einzelteile. Damit hat Opel von Anfang an einen Kompetenzvorteil gegenüber den Mitbewerbern. Des Weiteren kombiniert Opel das Gespür für das technisch Machbare mit dem Weitblick für das, was der Kunde von morgen wünscht. Beispiele dafür sind die frühe serienmäßige Verwendung von Kugellagern und Luftreifen, aber auch die recht schnelle Einstellung der heiklen Hochräder im Jahr 1892.
Was Kunden wünschen
Eine weitere Säule des Rüsselsheimer Erfolgs ist die große Modellvielfalt, die alle Wünsche berücksichtigt. Erste Beispiele dafür sind die Nieder- und Dreiräder, denn sie erfüllen das Sicherheitsbedürfnis der Kundschaft. Rennräder, Lastenräder und Tandems kommen bald hinzu. 1894 präsentiert Opel mit dem Typ „Flora“ sein erstes Modell für Frauen. All dies trägt dazu bei, dass sich der Fahrradabsatz von 1893 bis 1898 mehr als verdoppelt: von 6.002 zu 13.575 Einheiten. Opel ist so erfolgreich, dass Zulieferer mit Materiallieferungen nicht mehr hinterherkommen. So wird Opel zum Zubehör- und Kettenhersteller, der sogar die Mitbewerber versorgt.
Ideen und Innovationen
Komfort und Sicherheit zu verbessern, hat für Adam Opel schon in der Anfangszeit seines Unternehmens höchsten Stellenwert. Oft sind es Opel-eigene Entwicklungen und Patente. Aber auch bahnbrechende externe Neuerungen werden frühzeitig aufgegriffen.
Essenzielle Qualitätsmerkmale der Fahrräder aus Rüsselsheim sind zum Beispiel der konsequente Einsatz moderner Kugellager von Beginn an sowie die großangelegte
Einführung von Luftreifen. Für perfekte Stabilität wird 1894 der Diamantrahmen eingeführt, ab 1899 mit ovalen Rohren, die ab 1900 wiederum durchweg innengelötet sind. Zu sehen sind hier weitere wichtige Innovationen aus Rüsselsheim.
Opel — feine Marke
Schon früh erkennt die Familie Opel, dass für den Verkaufserfolg nicht nur die technischen Vorzüge ausschlaggebend sind, sondern auch deren ansprechende Darstellung in der Öffentlichkeit. So präsentiert das Unternehmen seine Fahrräder sowie die Vielzahl seiner sportlichen Erfolge und Rekorde auf Plakaten, Handzetteln und in Anzeigen in fünf Jahrzehnten.
Freiraum für Frauen
Mit der zunehmenden Verbreitung des Fahrrades geraten in Europa sogar Tabus ins Wanken. So ist das Rad ein erster beträchtlicher Schritt bei der Emanzipation der modernen Frau. Zweiräder ermöglichen eine bis dahin nicht gekannte
Bewegungsfreiheit. Aus praktischen Gründen greifen Damen im Sattel zu Hosenröcken oder Pumphosen – trotz zorniger Proteste der Sittenwächter. Opel setzt schon früh auf die weibliche Zielgruppe und inszeniert selbstbewusste Protagonistinnen.
Von Sieg zu Sieg…
… fahren die Opel-Radrennfahrer, allen voran die fünf Söhne des Hauses. Noch heute ist die Bilanz ihrer Siege beeindruckend: Carl gewinnt insgesamt 60 erste Preise, Wilhelm 70, Heinrich 150 und Ludwig mehr als 100. Insbesondere aber Fritz zählt mit über 180 ersten Plätzen zu den weltweit erfolgreichsten Radsportlern. Unter anderem entscheidet er 1894 die bedeutende Fernfahrt Basel–Cleve für sich. Auch viele weitere namhafte Athleten gehen mit Rüsselsheimer Sportgeräten an den Start. 1889 ist ein besonders erfolgreiches Jahr: 240 Siege, darunter 13 Meisterschaften, werden auf Opel-Produkten errungen. Den Triumph von August Lehr bei der Weltmeisterschaft 1888 in London kann Willy Arend wiederholen. Er wird 1897 in Glasgow als zweiter Opelfahrer Weltmeister. 1908 sorgt Kollege Hans Ludwig für positive Schlagzeilen. Er siegt bei der Wien–Berlin, ein Prestigerennen, das 15 Jahre zuvor Josef Fischer bereits für Opel gewinnen konnte. Die sportlichen Erfolge kurbeln den Absatz kräftig an.
Das Motor-Fahrrad:
Elegant, sauber, schnell
1911 wütet ein Großbrand im Opelwerk. Mit dem Wiederaufbau fällt die Entscheidung, die Nähmaschinenproduktion zu beenden. Opel verschreibt sich vollständig der Mobilität. Neben Fahrrädern und Automobilen sollen auch Motorräder angeboten werden, was bereits zwischen 1901 und 1907 der Fall war. Durch den Ersten Weltkrieg dauert es noch bis 1919, bis das erste Modell herauskommen kann: das Motor-Fahrrad. Es ist leicht und erschwinglich, passt daher gut in die Zeit.
Moderne Zeiten
1923 liegt Deutschland am Boden. Der Staat ist pleite, die Inflation explodiert – eine Spätfolge des Ersten Weltkriegs. Geldentwertung und Rohstoffmangel zwingen Opel zur Unterbrechung der Produktion. Doch die vier Brüder (Ludwig fiel 1917) nutzen diese Zwangspause geschickt. Schon seit vielen Jahren beobachten sie fortschrittliche Industriebetriebe über die Grenzen ihrer Heimat hinaus. Besonders in den USA gibt es viel zu lernen. Und so revolutioniert Opel im Herbst 1923 mit einem gewaltigen Kraftakt seine Produktion und etabliert innerhalb weniger Monate die „Serienfertigung“ nach amerikanischem Muster. Durch Einführung des Fließbandes, cleveren Zuschnitt der Produktionsräume und standardisierte Prozesse können die Produkte bei gesteigerter Qualität deutlich im Preis gesenkt werden und erschließen so neue breitere Käuferschichten. Das Fahrrad verspricht aufgrund seiner weniger komplexen Konstruktion geringere Anlaufschwierigkeiten und daher beginnt der Umstellungsprozess zunächst hier. 1924 folgt mit dem kleinen 4/12 PS das erste Automobil. Die Pläne gehen auf: Nur drei Jahre später ist Opel der größte Autobauer Deutschlands sowie der größte Fahrradhersteller der Welt.
Das Rad der Champions
Nach dem Rückzug aus dem Motorsport 1926 konzentriert sich Opel auf den Radsport. Mit 18 festen deutschen und ausländischen Straßenfahrern stellt Fritz von Opel die bisher größte Werksmannschaft zusammen. Dieses Weltklasseteam wird noch um die großen Bahnfahrer dieser Zeit ergänzt: Robert Grassin, Jaap Meyer, Jean Rosellen, Walter Sawall und Jean Weiss. Sie alle vertrauen auf die Rüsselsheimer Rennmaschine ZR III. Wo das Team mit den knallgelben Trikots erscheint, räumt es Spitzenplätze ab.
Im Rausch der Geschwindigkeit
In den 1920er- und 1930er-Jahren genießen Radrennen dieselbe Popularität wie heute der Fußball. Das größte Spektakel fürs Publikum bieten die sogenannten Steher-Rennen, bei denen der Athlet im Windschatten eines Motorrades hohe Geschwindigkeiten erreicht. Auch hier vertrauen Topfahrer dem ZR lll. Seinen größten Auftritt hat es am 29. September 1928 auf der Rennbahn von Montlhéry bei Paris: Der belgische Rennfahrer Léon Vanderstuyft legt hinter seinem Schrittmacher Lehmann in einer Stunde 122,771 Kilometer zurück und stellt damit einen neuen Geschwindigkeits-Weltrekord auf. Weitere Stars der Steher-Rennen sind der Franzose Robert Grassin und der fünffache deutsche Meister Erich Metze, der 1934 in Leipzig auf Opel ZR III Weltmeister wird.
Erfolgsbilanz:
Mehr als 2,5 Millionen Räder
Am 15. Februar 1937 produziert Opel das letzte Fahrrad. Es ist ein „Blau-Chrom“-Herrenrad und trägt die Seriennummer 2.621.964. Im Rahmendreieck verkündet ein rundes Schild das Ende einer Ära: „Das letzte Fahrrad –Konzentration auf Motorisierung“. Opel wird sich ab sofort vollständig dem Automobilgeschäft widmen. Die Zweirad-Produktionsanlagen werden an NSU verkauft. Dort werden noch rund ein Jahr Opel-Räder mit der Markenbezeichnung NSU-Opel hergestellt – danach nur noch unter dem Namen NSU.
Innovation trifft Tradition
58 Jahre nach dem Ende der Produktion kehrt Opel zum ersten Mal zu seinen Zweirad-Wurzeln zurück. Das edle dunkelgrün-metallicfarbene Frontera- Bike ist wie sein motorisierter großer 4×4-Bruder perfekt auf Offroad-Einsätze abgestimmt. Die 2.265 Exemplare sind innerhalb kurzer Zeit ausverkauft. Auf der Vienna Autoshow 2010 stellt Opel eine Kooperation mit Österreichs größtem Fahrradhersteller KTM vor. Anlässlich des Jubiläums „111 Jahre Opel Automobile“ entsteht das auf 111 Stück limitierte Elektrofahrrad „Opel ecoBike Edition 111“. 2012 feiert dann auf dem Genfer Autosalon das jüngste Opel-Rad öffentlichkeitswirksam Premiere: die in Rüsselsheim realisierte futuristische E-Bike-Studie RAD e.
Juni 2022