„Aber wenn es einen Himmel geben sollte, dann werd‘ ich ihn endlich sehn – denn dann holt mein alter Herr mich ab, in einem schneeweißen 51er Kapitän.“ Natürlich kennt auch Eckhart Bartels die Zeilen der Ballade von Reinhard Mey. Es ist zwar nicht „sein“ Lied, wie er einräumt, aber es ist „sein“ Opel, der da besungen wird: eben jener 51er Kapitän. Zugelegt hatte ihn sich der gelernte Industriekaufmann, der sich später als Buchautor und Automobil-Journalist einen Namen machen sollte, im Jahr 1969. Damals war er 22 und erfüllte sich einen lang gehegten Kindheitstraum – Bartels hatte schon als Vierjähriger ein Auge auf die chromblitzenden Automobile aus Rüsselsheim geworfen.
Aufwendige Recherche
Die Leidenschaft für betagte Automobile teilten in den ausklingenden 1960er-Jahren nicht allzu viele. In Deutschland existierten gerade mal vier Klubs, die dem Faible für historische Fahrzeugtechnik frönten. „Alte“ Autos fuhr, wer sich kein neues leisten konnte, lautete das Credo in den Wohlstandszeiten nach den Wirtschaftswunderjahren. In Amerika dagegen hatte sich bereits der „Classic Car Club“ gegründet und etabliert. So hatte der US-Club auch eine „Liste erhaltenswerter Fahrzeuge“ veröffentlicht.
Deutsche Fahrzeuge waren auf der Liste unterrepräsentiert. „Das muss sich ändern“, fand Eckhart Bartels. Und wie er dachten noch einige Opel-Afficionados mehr, die er in diesen Tagen kennenlernte. Hans-Martin Weber etwa, ebenfalls Besitzer eines Opel Kapitän mit dem Baujahr 1951. „Irgendwann beschlossen wir, Gleichgesinnte um uns scharen, die unsere Leidenschaft für die Klassiker von Opel teilten“, erinnert sich der Pionier. Aber wie finden? Internet, Suchmaschinen und elektronische Datenbänke gab es damals noch nicht. „Also haben wir uns umgeschaut, wo alte Opel verkauft wurden und die Käufer ausfindig gemacht.“ Rund zwei Jahre nahm die Recherche in Anspruch.
„Alt-Opel IG ist heute ein Synonym für die Liebe zum automobilen Kulturgut und feinste Ingenieurskunst aus Rüsselsheim.“
– Eckhart Bartels –
Am 24. Juni 1972 war es dann soweit: Ein erstes Treffen fand auf dem Gelände eines Maschinenbauunternehmens in Oberursel statt. Hans-Martin Weber hatte den Juniorchef des Unternehmens, Hans Joachim Schramm, für automobile Opel-Klassik begeistert. „Und Oberursel war ein idealer Standort, mitten im Deutschland“, so Weber. Etwa 25 Opel fuhren vor, fast ausnahmslos Olympia und Kapitän der Baujahre 1950 bis 1953. „Aber auch ein Vorkriegs-Admiral und ein Opel P4 waren dabei“, erinnert sich der heute 77-Jährige. Beim gemeinsamen Essen im Parkhotel kamen alle überein, dass es weitergehen sollte mit solchen Treffen. Und zwar ganz offiziell, im Rahmen eines eingetragenen Vereins.
Man muss heute, 50 Jahre später, zwar keinen Opel-Klassiker besitzen, um Mitglied der Alt-Opel Interessengemeinschaft (IG) zu werden, verzichten wollen auf dieses Vergnügen jedoch die wenigsten. Die Interessengemeinschaft zählt 2.800 Mitglieder aus über 20 Nationen, das Herzstück sind 46 Typreferenten, die allen Ratsuchenden zu Fragen rund um klassische Opel zur Verfügung stehen. Die Spezialisten helfen auch weiter, wenn bei aufwendigen Restaurierungen „das Blech etwas klemmt“. Oder leiten Nachfertigungen in die Wege, wenn sich unverzichtbare Ersatzteile nicht mehr auftreiben lassen.
Beeindruckende Entwicklung
Es ist eine beeindruckende Entwicklung, die die Gemeinschaft in den vergangenen fünf Jahrzehnten genommen hat. Kein Wunder, dass die Gründerväter schmunzeln müssen, wenn sie an ihre Anfänge zurückdenken. „Unseren winzigen Klub hat zunächst gar niemand ernstgenommen“, erinnert sich Eckhart Bartels, der im ersten Vierteljahrhundert die Vereinsgeschicke bestimmte. Schon die Namensgebung stieß in den frühen Jahren bei vielen auf Unverständnis. „IG“ für Interessengemeinschaft – „das klang nach Selbsthilfegruppe, und dann auch noch Alt-Opel.“ Aber wie hätte man sich sonst nennen sollen? Der Begriff „Oldtimer“ hatte sich noch nicht durchgesetzt. Die wenigen Autoklassik-Klubs, die es damals gab, führten „Veteran“ im Namen. Eine Assoziation, die die Gründer im Zusammenhang mit Autos nicht herstellen wollten. „Heute ist die Bezeichnung Alt-Opel IG fest etabliert“, sagt Eckhart Bartels, „es ist ein Synonym für die Liebe zum automobilen Kulturgut und feinste Ingenieurskunst aus Rüsselsheim.“ Regelmäßige Treffen, ein Klub-Magazin, Typreferenten für die einzelnen Modelle, lokale Stammtische – die Arbeit der Alt-Opel IG wurde zur „Blaupause“ für viele weitere Oldtimer-Klubs, die sich in den anschließenden Jahren gründen sollten.
Mit einem großen Fest im Allgäu in Altusried feierte die Alt-Opel Interessengemeinschaft über das Himmelfahrtswochenende ihren 50. Geburtstag. Es waren Tage mit viel Opel-Enthusiasmus – „live“ und zum Anfassen. Auf dem Parkplatz einer großen Freilichtbühne präsentierten die angereisten Klubmitglieder Opel-Modelle aus allen automobilen Epochen – vom Doktorwagen bis zum Manta GSi, seltene Olympia-Cabrios ein noch seltener Olympia-Caravan, der Diplomat als Coupé, Cabrio und Limousine oder der Kapitän in seiner Vor- und Nachkriegserscheinungsform. Und fast alle kamen auf eigener Achse. 350 Opel waren angemeldet, weitere Kurzentschlossene stießen dazu, so dass am Ende über 400 Klassiker zusammenkamen. Natürlich waren die Gründungsmitglieder Eckhart Bartels und Hans-Martin Weber mit ihren Kapitänen angereist.
„Die gesellschaftliche Anerkennung dafür, was das Auto unserem Land an Wohlstand brachte, wird bleiben.“
– Eckhart Bartels –
Und dass der Verein so schnell wuchs, ist der Begeisterungsfähigkeit seiner Pioniere zu verdanken. Auch der Draht zu den Verantwortlichen am Opel-Stammsitz in Rüsselsheim war von Beginn an eng. Der neue Opel Classic-Chef Leif Rohwedder war als Gratulant des besonderen Jubiläums daher ein gern gesehener, aber auch kein Überraschungsgast. Nachwuchssorgen gibt es keine: „Die gesellschaftliche Anerkennung dafür, was das Auto unserem Land an Wohlstand und Arbeitsplätzen brachte, wird bleiben“, ist Eckhart Bartels überzeugt. Das zeigen auch die Mitgliederzahlen: Die Alt-Opel IG wächst kontinuierlich.
Gemeinschaft wächst
Und zuletzt verrät uns Eckhart Bartels noch, was ihn an Reinhard Meys Kapitän-Ballade vor allem stört: „Er singt von einem schneeweißen Kapitän – so einen gab’s ab Werk gar nicht.“ Dergleichen wurmt einen Experten eben. Zumal sich die Alt-Opel IG dafür einsetzt, klassische Fahrzeuge möglichst im Original zu erhalten. Doch auch die, die nicht mehr in Werkslackierungen zu bekommen sind, verdienen Pflege, wie ebenfalls niemand besser weiß als Eckharts Bartels: „Mein eigener Kapitän ist dunkelgrün – und wurde in dieser Farbe niemals ab Werk ausgeliefert.“
Juni 2022