Beautiful to behold: The golden GT in front of the Colosseum – each a testimony to the art of engineering of its time.

Der Traum von Rom

Ein selten schöner Traum führt uns nach Rom. Drei Uhr in der Früh. Italiens Herz pocht langsamer, erholt sich vom hektischen Tag. Nur ein paar Taxen huschen noch über die breiten Straßen, die letzten Tänzer taumeln nach Hause. Im Schatten des Kolosseums zwitschern Frischverliebte. Das berühmte Amphitheater wird von einem Lichtermeer angestrahlt – und wirkt dadurch nochmals größer. In diesem Moment bleibt die Welt für Jens stehen. Er parkt seinen goldenen Opel GT vor dem Kolosseum, wie er es im Traum schon zigmal gemacht hat. Und hält die Luft an.

Sein Traum geht an jenen Punkt zurück, als ihm klar wurde, dass in seinem Leben ein Opel GT fehlte. Jener flache Sportwagen, der vor 55 Jahren erstmals Herzen im Sturm eroberte. Und zwar wie kein Blitz zuvor. Die Erfolgsgeschichte hat mit Opels erstem Designstudio zu tun, das Anfang der 1960er-Jahre die Arbeit aufnahm. Das Team um Erhard Schnell wollte zeigen, was es draufhatte. Dankbar nahmen sie sich der Idee eines kleinen, preiswerten Sportwagens an. Die daraus resultierende Studie „Experimental GT“ verzückte auf der IAA 1965 nahezu jeden Besucher. Jedoch glaubte keiner, dass Opel den Keil tatsächlich bauen würde.

Stilecht: Eine Straßenkarte weist den Weg.  
Das Stilfser Joch – der höchste erschlossene italienische Gebirgspass.
In der Farbe Goldmetallic ist der GT unschlagbar schön.
Schöner reisen: Jeder Kilometer ein Genuss.
Spektakuläre Bergkulisse auf der Silvretta-Hochalpenstraße.

Von Frankfurt aus geht es über Basel zum Bodensee – und übers Stilfser Joch. Um dem GT ein paar leckere Kurven zu servieren.

Wenig Hoffnung hatte auch Jens Cooper, Projektleiter von Opel Classic, als er sich durch die frühen 2000er-Jahre suchte – und keinen passenden Opel GT fand. Entweder waren die Oldies zu verlebt, zu verpfuscht oder schlicht zu teuer. 2015 dann bekam er einen Tipp – ein belgischer GT-Kenner hatte eine Anzeige in Italien entdeckt. Auf dem Kleinanzeigenportal subito.it wurde ein GT aus 1969 angeboten. Ein 1900er in Gold. In der Anzeige stand der Wagen bei einem Opel-Händler in Rom. Die Bilder sahen vielversprechend aus, der Preis war fair. Jens wusste, dass er nicht lange warten durfte. Also nahm er den nächsten Tag Urlaub – und fuhr nach Rom.

Blechkleid entscheidet über Freud und Leid

Wie Fans wissen dürften: Die Technik ist bei einem Opel GT nie das Problem, da es sich um die DNA des Opel Kadett B handelt. Solide Massenware. Über Freud und Leid entscheidet oft das Blechkleid – damals größtenteils beim französischen Karosseriebauer Brissonneau & Lotz gefertigt. Rost oder schlecht instand gesetzte Unfallschäden zerstören hier jede schöne Beziehung zu einem gebrauchten GT.

Der Weg ist das Ziel: Der Zweisitzer meistert den Trip ohne Probleme.
„Bella macchina“: Der GT kommt auch an der Mautstation gut an.  
Bekanntestes Fotomotiv der Toskana: Früh morgens parkt das Coupé in Pisa.
„Nur fliegen ist schöner“ – ein Werbespruch, der nicht ohne Grund so populär wurde.
Die Originalunterlagen sind noch erhalten. Die schwarzen römischen Nummernschilder müssen dem GT sehr gut gestanden haben.  

Eine gründliche Politur, etwas Liebe für die Technik – und der GT ist genau so, wie Jens ihn haben wollte.

Zurück zum goldenen Exemplar, das Jens nach langer Fahrt endlich bestaunt. Nach jahrelanger Suche ist sein Blick geschult, so fällt ihm schnell auf, dass der Wagen nachlackiert wurde. Er vermutet, wegen eines Blechschadens, kann aber auf die Schnelle keine Narben im Blech finden. Dennoch ist seine Freude über das optisch verlebte Exemplar verhalten. Daher verabschiedet er sich vom Verkäufer, trinkt noch einen doppelten Espresso und braust anschließend wieder zurück ins Rhein-Main-Gebiert. Nach über 1000 Kilometern hüpft er ins Bett – und grübelt. Hätte ich ihn vielleicht doch kaufen sollen? Ein goldener GT mit nur zwei Vorbesitzern, der bis auf die Lackierung akzeptabel erscheint?

Wie stolz muss der Signore gewesen sein?

Am nächsten Morgen ist das Gefühl noch immer nicht weg. Zwei Tage später ruft er den Händler in Rom an – und kauft den Wagen. Als der GT dann endlich in seiner Garage steht, sind die Zweifel verflogen. Auf den zweiten Blick ist’s nämlich ein richtig gutes Auto. Eine gründliche Politur, etwas Liebe für die Technik – und der GT ist genau so, wie Jens ihn haben wollte. Stück für Stück arbeitet er sich durch den Ordner von Papieren, die mit dem Opel kamen. Und er checkt, dass der erste Käufer 60 Jahre alt war, als er den goldenen GT in Rom bestellte. Wie stolz muss der Typ gewesen sein, als er 1970 mit diesem Schlitten über die Straßen der italienischen Hauptstadt flanierte. Jens fasziniert dieser Gedanke. Und langsam wächst der Traum in ihm, eines Tages mit dem goldenen GT durch Rom zu schlendern.

Die Yacht des feinen Mannes: Der GT im Hafen von Santo Stefano.
Mini-Reparatur: Ein Rücklichtbirnchen muss getauscht werden.
Die Strecke führt vorbei an Florenz mit seinen Meisterwerken der Renaissance.
Durch traumhaft schöne Alleen der Toskana.
Neun Tage, 3.500 Kilometer: Ein Roadtrip, der für Jens Cooper unvergessen bleiben wird.

Jens steuert seinen GT zum hell erleuchteten Kolosseum. Es ist wie in seinem Traum. Nur schöner.

Sieben Jahre später ist’s so weit. Wir treffen uns im Morgengrauen an einer Tankstelle, trinken Kaffee und schmunzeln. Jens hat eine schöne Route in eine alte Karte gezeichnet. Sie führt von Frankfurt über Basel zum Bodensee – und übers Stilfser Joch. Um dem GT ein paar leckere Kurven zu servieren. Hinter dem Gardasee wartet dann die letzte Etappe Richtung Hauptstadt. Als wir die Stadtgrenze von Rom erreichen, ist es kurz vor Mitternacht. Der GT klingt kernig, die Augen von Jens leuchten. Das Hotelbett? Kann warten. Die beiden drehen jetzt eine große Runde durch die Stadt auf den sieben Hügeln. Irgendwann steuert Jens seinen GT zum hell erleuchteten Kolosseum. Es ist wie in seinem Traum. Nur schöner.

Angekommen: Wie im Traum. Nur schöner. Hier in Rom wurde der GT 1970 erstmals zugelassen.
Kulisse satt: Die 1,22 Meter flache Karosse vor einem bunt beleuchteten Gebäude.

Juli 2023

Text und Fotos: Dani Heyne