Der neu entwickelte Elektromotor mit 115 kW/156 PS, das mit 168 LED-Elementen gespickte Pixel-Licht, das Head-up Display oder die natürliche Spracherkennung – der erste elektrifizierte Astra steckt voller technischer Highlights. Doch die Ingenieure haben den Kompaktklasse-Bestseller auch an weniger sichtbaren Stellen weiterentwickelt. Besonders ein passives Sicherheits-Feature macht den Astra Electric jetzt noch sicherer: der adaptive Gurtkraftbegrenzer. Er steuert die Gurtkraft noch präziser, die während eines Aufpralls auf den Körper einwirkt, um Verletzungen möglichst zu vermindern und den Fahrer gleichzeitig bestmöglich zu schützen.
Über Sensoren erkennt das adaptiv gesteuerte Rückhaltesystem die Schwere des Unfalls und passt die Gurtkraft auf den Aufprallverlauf optimiert an. Ein Plus an Sicherheit, das den entscheidenden Unterschied machen kann. Denn allen Airbags und Assistenzsystemen zum Trotz: „Der Gurt ist nach wie vor der wichtigste Lebensretter im Auto“, sagt Peter Schüßler, Manager aus Rüsselsheim für passive Rückhaltekomponenten. Und das Wichtigste aller Sicherheits-Features feiert diesen Sommer ein rundes Jubiläum: 50 Jahre ist es her, dass Opel nach den Werksferien im Jahr 1973 damit begonnen hat, in allen Modellen serienmäßig Dreipunktgurt-Systeme mit praktischer Einhandbedienung einzubauen – und das zu einer Zeit als die Anschnallpflicht in Deutschland noch drei Jahre auf sich warten ließ.
Opel war seinerzeit nicht nur Vorbild, das Unternehmen hat sich schon sehr früh aktiv für die Akzeptanz von Sicherheitsgurten stark gemacht. 1969 demonstrierten Opel-Ingenieure Pressevertretern in Dudenhofen die Ergebnisse ihres Unfall-Forschungsprogramms. Die wichtigste Botschaft: Mehr als die Hälfte aller Unfallopfer könnte noch leben, wenn sie Sicherheitsgurte benutzt hätten. Anfang 1972 wand sich die Geschäftsführung per Brief an alle Opel-Mitarbeiter mit der Bitte, den Sicherheitsgurt anzulegen. Für alle Werksangehörigen gab es vergünstigte Gurte zum Nachrüsten. Der Ansturm war riesig, 12.000 Exemplare gingen innerhalb kürzester Zeit weg.
Irrationale Debatte
In der breiten Öffentlichkeit dauerte es seine Zeit, bis der Gurt als unverzichtbares Stück Fahrzeugsicherheit akzeptiert war. Millionen Menschen verweigerten sich dem Lebensretter, als am 1. Januar 1976 die allgemeine Anschnallpflicht kam. Das Anlegen galt vielen als zu umständlich. Erst recht, wenn der Pkw von verschiedenen Familienmitgliedern benutzt wurde und der Gurt jeweils angepasst werden musste. Ein Problem, das der automatische Gurtaufroller bald löste. Gegen diverse Vorurteile jedoch schien lange Zeit kein Kraut gewachsen: Der Gurt beschneide die persönliche Freiheit, der Sicherheitseffekt wurde angezweifelt. Doch die Bedenken verstummten schnell, als die Zahl der Verkehrstoten nachweislich zu sinken begann.
Parallel verbesserten die Sicherheitsspezialisten die Systeme stetig. Der Omega war 1986 das weltweit erste Auto, das serienmäßig höhenverstellbare Sicherheitsgurte auf den Vorder- und Rücksitzen an Bord hatte. 1991 präsentierte Opel den Gurtstraffer im Opel Astra F, es folgten der Full-Size-Airbag sowie aktive und passive Sicherheitssysteme wie das Anti-Blockier-System oder das Elektronische Stabilitätsprogramm.
Das perfekte Duo
Besonders Airbags minimieren das Verletzungsrisiko im Fall der Fälle nochmals deutlich – unter einer Voraussetzung: „Man muss angeschnallt sein: Gurt und Airbag funktionieren optimal nur in Kombination“, erklärt Torsten Kerz, Safety-Experte für Insassenschutz, „der eine hält zurück, der andere dämpft ab.“ Dabei nimmt der Gurt etwa zwei Drittel der Energie eines Aufpralls auf. Ab den 2000er-Jahren kamen erste Gurtkraftbegrenzer zum Einsatz, um Belastungsspitzen zu vermeiden. Andere Verbesserungen erhöhten den Komfort, etwa der elektrische Gurtzuführer in Cabrios.
Eine lange Erfolgsgeschichte
Mit über 20.000 Opfern erreichte die Zahl der Verkehrstoten 1970 in Deutschland einen traurigen Höhepunkt. Die Politik reagierte: Die Geschwindigkeit auf Landstraßen wurde auf maximal 100 km/h begrenzt, die Promillegrenze bei 0,8 festgelegt. Die Zahl sollte jedoch erst deutlich sinken, als 1976 die Gurtpflicht eingeführt wurde, 1984 wurde bei Nichtbeachtung ein Bußgeld fällig. Im Jahr 2020 gab es erstmals weniger als 3.000 Verkehrstote.
In 50 Jahren ist einiges zusammen gekommen: In jedem Opel-Modell sind durchschnittlich 15 Meter Gurt verbaut, in Summe ergibt das nach fünf Jahrzehnten rund 750 Millionen Meter Gurtband – das entspricht 18 Umrundungen des Äquators.
Die klügere Lenksäule gibt nach
Einen weiteren, entscheidenden Stellhebel für mehr Sicherheit hatten die Opel-Ingenieure bereits in den 60er-Jahren identifiziert: die Sicherheitslenksäule. Dass Lenkrad und Säule nicht in den Fahrgastraum eindringen können, ist bis heute einer der Ausgangspunkte der Sicherheitsstrategie. Im Gegenteil: „Bei einem Aufprall schiebt sich die Lenksäule ein Stück weit zusammen“, so Klaas Hillmann, der Experte im Team für passive Rückhaltesysteme. „Im Zusammenspiel mit Gurt und Airbag ermöglichen wir einen dynamischen Absorberweg von bis zu 100 mm.“ Entscheidende Millimeter, die das Verletzungsrisiko minimieren.
Der jetzt im Opel Astra Electric verbaute adaptive Gurtkraftbegrenzer hat ein nochmals verfeinertes „Antiblockiersystem“. „Die Gurtkraft wird während des Aufprallverlaufs elektronisch gesteuert“, erklärt Hoang-Thai Nguyen, Spezialist für Sicherheitsgurte. „Um die biomechanische Belastung zu messen, welche auf den Brustkorb einwirkt, sind im THOR Crashtest-Dummy vier Sensoren installiert.“ In früheren Versionen waren nur singuläre Messungen möglich. Ermöglicht hat dieses Plus an Sensibilisierung die neuste Generation von Crashtest-Dummys, die seit 2020 im Einsatz ist.
Von wegen „Dummys“
Denn: Die Entwicklung des Sicherheitsgurts ist untrennbar verbunden mit der Weiterentwicklung der intelligenten Hightech-Puppen, die bei Tests die Einwirkungen eines Aufpralls auf den menschlichen Körper simulieren, ehe ein Sicherheitssystem die Freigabe für die Serienproduktion erhält. THOR steht für „Test Device for Human Occupant Restraint“, zu deutsch „Testvorrichtung für die Rückhaltung menschlicher Insassen“. Mit über 120 Sensoren ausgestattet, spürt und kommuniziert THOR elektronisch, was bei einem Aufprall mit ihm passiert. Mit seiner Hilfe wurde der adaptive Gurtkraftbegrenzer entwickelt, der zunächst im Mokka und jetzt in allen Astra-Modellen, darunter der Astra Electric, zum Einsatz kommt. Er ist ein weiterer Meilenstein der seit Jahrzehnten andauernden Entwicklung passiver Sicherheits-Features. Und die Möglichkeiten sind noch lange nicht ausgeschöpft.
Zukunft bringt Spannendes
Ab 2026 zum Beispiel sollen in Verbraucherschutztests Verletzungswerte bewertet werden, die den fragileren Knochenbau von Senioren noch besser berücksichtigen. Auch die fernere Zukunft hat das Rüsselsheimer Team bereits fest im Blick: Das autonome Fahren wird vieles nochmals auf den Kopf stellen. Vor allem dadurch, dass Fahrzeuginsassen nicht mehr ausschließlich nach vorne ausgerichtet sitzen werden, sondern gegebenenfalls einander zugewandt. Und so mancher könnte sich im Liegen chauffieren lassen. So ist es beispielsweise denkbar, dass die Gurte vollständig in die Sitze integriert werden. „An der Frage, was das im Detail für die Rückhaltesysteme bedeutet, arbeiten wir bereits intensiv“, erklärt Peter Schüßler. Die seit fünf Jahrzehnten währende Erfolgsgeschichte der Sicherheitsgurte – sie ist noch lange nicht zu Ende erzählt.
Rüsselsheimer Vorreiterrolle
Sicherheit hat bei Opel schon immer einen besonders hohen Stellenwert. Die 1935 mit dem Olympia eingeführte selbstragende Ganzstahlkarosserie machte es beispielsweise erstmals möglich, eine stabile Fahrgastzelle und gezielte Knautschzonen zu realisieren. Den Gurt hatten die Opel-Ingenieure bereits in den 60er-Jahren intensiv erprobt und sich entschlossen, das Rückhaltesystem auf Wunsch für ausgesuchte Modelle anzubieten. Ab April 1968 konnten unter anderem Kadett, Admiral und Diplomat mit Vordersitzgurten bestellt werden. Der Coupé-Klassiker Manta A folgte im Oktober 1970. Serienmäßig gab es den Lebensretter bei Opel auch in den sportlichen Modellen – zum Beispiel ab 1967 im Rallye Kadett und ein Jahr darauf im Commodore GS.
Ab den frühen 70er-Jahren rückte der Insassenschutz besonders in den Fokus. Ein Zeugnis davon ist der Opel OSV 40. Die 1974 vorgestellte Studie auf Basis des Kadett C war gespickt mit neuartigen Sicherheits-Features. OSV steht für Opel Safety Vehicle und die Zahl 40 für die Frontalaufprall-Geschwindigkeit in Meilen pro Stunde, auf die der OSV 40 ausgelegt ist. Für höhere Sicherheitsreserven beim Seitenaufprall füllten die Ingenieure die Hohlräume der Schweller und Türen mit Polyurethan-Schaum aus, auch die voluminösen Stoßfänger weisen solche Füllungen auf. Im Innenraum sind alle Oberflächen, mit denen die Insassen bei einem Unfall in Berührung kommen könnten, mit Polyurethan-Schaum gepolstert.
Nicht zuletzt hoben die auf allen vier Sitzplätzen angebrachten Gurte das Sicherheitsgefühl auf ein neues Niveau. In Crashtests schnitt der OSV 40 überdurchschnittlich ab. Nach einem Aufprall mit 65 km/h konnten immer noch alle vier Türen geöffnet werden. Einige Neuerungen der Sicherheits-Studie schafften es in abgewandelter Form auch in die Serie, darunter die automatischen Gurtstraffer und die konsequente Weiterentwicklung der Knautschzone.
August 2023