Noch im Morgengrauen steigt Artem Shevchenko am Freitag in seinen Corsa D, fährt die 1.500 Kilometer lange Strecke von Kaunas in Litauen bis nach Rüsselsheim, um am nächsten Vormittag am Opel-Stammsitz beim „Tag der offenen Tür“ dabei zu sein. Jetzt, am Nachmittag, tippt der 23-Jährige im Opel Design Center Niels Loeb auf die Schulter: „Sind Sie nicht der Designer des Corsa D? Ich bin ein großer Fan ihrer Arbeit!“ Er ist es.
Und Niels Loeb fackelt nicht lange. „Bin gleich zurück“, ruft er und taucht kurz darauf mit einem überquellenden Ordner auf. Darin: erste händische Skizzen, ausgearbeitete Visualisierungen, Details vom Armaturenbrett, der Front – quasi dem gesamten kreativen Entstehungsprozess der vierten Corsa-Generation, den Loeb als Chefdesigner für Kleinwagen seit Anfang der 2000er-Jahre verantwortet hat. Der junge Student kann sein Glück kaum fassen. Die Episode von Artem Shevchenko und Niels Loeb ist eine von vielen bewegenden Momenten, die dieser besondere Tag bereithält.
„Sind Sie nicht der Designer des Corsa D? Ich bin ein großer Fan ihrer Arbeit!“
– Besucher Artem Shevchenko –
Denn Opel feiert am 8. Juni nicht nur „125 Jahre Automobilbau“, auch das Opel Design Center hat runden Geburtstag und öffnet erstmals die Türen: Am 10. Juni 1964 – fast auf den Tag genau vor 60 Jahren – wird das neue Designstudio in Rüsselsheim eingeweiht. Es ist das erste Design Center seiner Art, ein Meilenstein europäischer Automobilbaugeschichte. Vom Experimental GT, dem ersten in Europa entwickelten Konzeptfahrzeug überhaupt, bis zur aktuellen Markenstudie Opel Experimental – die Besucher bestaunen wegweisende Konzeptfahrzeuge und Innovationen, die in den vergangenen sechs Jahrzehnten entstanden und in Serien-Modelle geflossen sind.
Ein Paradebeispiel dafür ist die Studie GTX Experimental. Sie nämlich rollt heute nahezu unverändert auf den Straßen – als Opel Mokka. Der damalige Chef-Designer, dem dieses Meisterstück gelungen ist, ist heute extra angereist. „Das ist doch Ehrensache“, sagt Friedhelm Engler lachend, streicht sich durch den langen Bart, den er sich zu seinem Ruhestand vor drei Jahren zugelegt hat. Denn normalerweise tourt er zusammen mit seiner Frau kreuz und quer durch Europa – „ohne Zeitlimit, einfach der Straße folgen, bis sie so eng wird, dass man mit dem Auto nicht mehr weiter kommt.“ Doch den heutigen Tag wollte er sich auf keinen Fall entgehen lassen: „Das ist einmalig: Welcher Automobilhersteller öffnet sein Design-Center – das macht nur Opel!“
„Das ist einmalig: Welcher Automobilhersteller öffnet sein Design-Center – das macht nur Opel!“
– Friedhelm Engler, ehemaliger Opel Design Director –
Pierre-Olivier Garcia nickt: „Ja, das dürfte in der Tat so ziemlich einmalig sein.“ Dass ein Autohersteller sein Design Center für Besucher öffnet, gab es so noch nie. Der globale Brand Design Director ist das „Mastermind“ hinter der Idee, die Türen zu öffnen und Einblicke in die moderne Welt des Designs zu geben. Zu zeigen, wie die Marke die Design-Philosophie „Modern German“ mit Hightech-Equipment wie virtuellen 3D-Brillen und Augmented Reality in die automobile Zukunft überführt. Doch die Idee, sei der einfache Part, betont er. Man brauche auch ein Team, das bereit ist, die Sache durchzuziehen: „Ich bin vor allem Mark (Adams, Opel-Chefdesigner, Anm. der Redaktion) unendlich dankbar, dass er uns das Vertrauen geschenkt hat, die Idee auch wirklich umzusetzen.“
Und weil Autos nun mal dafür geschaffen sind, sich zu bewegen, gibt es nicht nur statische Exponate zu sehen. Auf dem Innenhof drehen der Manta GSe, der GT Concept, der RAK e und der GT X Experimental ihre Runden. Es ist jener normalerweise streng von der Öffentlichkeit abgeschirmte Hof, auf dem die Designer ihre neusten Kreationen erstmals im Tageslicht anschauen. In der abgedunkelten Halle nebenan sind Modelle des Studiengangs „Transportation Design“ der Hochschule Pforzheim zu sehen, die zeigen, wie sich die Studenten den „Iconic Opel 2040“ vorstellen.
Visionäres
Design Center
Als Opel im Juni 1964 in Rüsselsheim das neue Designstudio eröffnet, ist es das größte eines Herstellers auf dem Kontinent – ein Meilenstein europäischer Automobilbaugeschichte. Bis heute sind es drei Abteilungen, die hier vereint sind: Das Interieur-Design bestimmt Formen und Materialien des Innenraums, gestaltet Sitze und Armaturentafeln. Die Exterieur-Abteilung beschäftigt sich mit der Karosserie, spielt mit dem Gesicht, der Silhouette, den Proportionen des Autos. Und die dritte Abteilung – sie leistet Pionierarbeit. Ein Team aus hochkarätigen Advanced Designern richtet den Blick in die Zukunft, abseits vom Tagesgeschäft entwickeln sie bekannte Baureihen weiter, entwickeln Konzeptfahrzeuge, denken über Formensprache und Emotionen nach.
„Was Opel hier heute auf die Beine gestellt hat, ist einfach fantastisch!“
– Besucherin Stefanie Vogelsang –
„Was Opel hier heute auf die Beine gestellt hat, ist einfach fantastisch!“ Seit fast sechs Stunden ist Stefanie Vogelsang mit ihren Kindern bereits am Opel-Stammsitz –beginnend mit einem Besuch der Pop-up-Ausstellung am Vormittag – unterwegs. Und fertig sind sie noch lange nicht. Olivier Awveyard, der französische Austauschschüler der Familie, sitzt vertieft am digitalen Zeichenbrett, coloriert eine Skizze des Opel Frontera nach seinen Vorstellungen. Einmal um die Ecke wartet die Station, an der Besucher mit einer 3D-Brille virtuell in die Markenstudie Experimental eintauchen können. Außerdem zeigen die Opel-Designer 3D-Konzeptstudien, die auf einer futuristischen Interpretation der Opel-Rennbahn ihre Runden drehen.
Die von den Designern animierten Clips „Opel icons, re-imagined classics“ werden auch auf den 18 Meter langen Bildschirmen des Virtual Reality-Präsentationsraums abgespielt. Ein Ort, der normalerweise für wichtige Besprechungen reserviert ist und wo die großen Entscheidungen getroffen werden. Am Abend schließt das Opel Design Center seine Tore. Und die Designer kehren –abgeschirmt von neugierigen Blicken – wieder zum Tagesgeschäft zurück, arbeiten an automobilen Entwürfen für die kommenden Jahrzehnte. Dabei werden viele weitere spannende Ideen und Konzepte entstehen – garantiert! Ob es wieder 60 Jahre dauert, bis das Studio seine Türen öffnet. „Wer weiß – Opel ist eine emotionale und nahbare Marke, die immer für eine Überraschung gut ist“, sagt Pierre-Olivier Garcia.
Juni 2024