Leidenschaft trifft Blitz

Neun Jahre lang hat Tibor Mikolasek ein glückliches Händchen: Die Rücksitzbank ergattert er im Original, Zierringe und Radkappen stöbert er auf einem Oldtimertreffen auf, beim Spezialisten in Rüsselsheim erhält er einen der begehrten Slots, um den V8-Motor überarbeiten zu lassen. Doch am Ende fehlt ein Detail: die Chromzierleisten entlang des schwarzen Dachs – „die waren nirgends zu bekommen.“ Also baut Mikolasek eine Heißpresse und stellt sie kurzerhand selbst her. Vor wenigen Wochen hat er sein Werk vollendet: Für die Premiere seines Diplomat A Coupé ist der ungarische Bauunternehmer heute gut 860 Kilometer von Györ bis nach Rüsselsheim gefahren.

Es ist nicht weniger als die Crème de la Crème der Old- und Youngtimerszene, die sich am vergangenen Sonntag (8. September) in Rüsselsheim am Main präsentiert: Die Stadt hat zum 20. Klassikertreffen mit neuem Konzept geladen, 500 Besitzer und ihre Fahrzeuge sind gekommen. Das Fahrzeug von Tibor Mikolasek begeistert besonders. Selbst Opel Classic-Spezialist Jens Cooper, der tagtäglich mit den schönsten Opel-Modellen in Berührung kommt, quittiert das Oberklasse-Modell mit feinstem Straßenkreuzer-Design mit einem entzückten „Zum Niederknien!“ Unzählige Stunden hat der ungarische Opel-Liebhaber in die Restaurierung gesteckt. Mit so viel Akribie, dass der Status „Neuwagen“ durchaus angebracht ist.

„Mehr Schrottplatz als Straße“: Tibor Mikolasek zeigt den Zustand des Diplomat A, als er ihn vor neun Jahren erstanden hat.
„Zum Niederknien!“: Mit absoluter Akribie und viel Liebe zum Detail hat der Ungar das Fahrzeug von Grund auf neu aufgebaut.
Dank bester Kontakte hat Mikolasek – er ist seit vielen Jahren Mitglied der Alt Opel IG – die Original-Teile zusammengetragen.
Unzählige Stunden hat er in die Restaurierung gesteckt. Das Aufarbeiten des V8-Motors aber hat er einem Spezialisten überlassen.
Opel-Liebe: Mit einem Rekord fing es vor 35 Jahren an, heute besitzt Mikolasek neben dem Diplomat noch viele weitere Modelle mit Blitz.

„Es gibt keinen besseren Ort für die Premiere meines Diplomat A Coupé als hier in seiner Heimatstadt.“

– Tibor Mikolasek –

Es ist sind diese automobilen Schätze, die die Menschen nach Rüsselsheim strömen lassen. Hotspots sind über die Innenstadt verteilt – von der Motorworld bis ans Mainufer, vom Verna-Park bis zu den Opel-Villen. Allein aus der Opel Classic-Sammlung sind – Patentmotorwagen „System Lutzmann“ bis zum Speedster Turbo – 13 Hochkaräter zu bestaunen. Gleich neben dem Diplomat A Coupé parkt eine weitere Rarität: ein bildhübscher Spider auf Kadett-A-Basis. „Es ist jene von Pietro Frua entworfene Studie, die im März 1964 auf dem Genfer Automobilsalon zu sehen war“, erzählt der Besitzer Stefan Dierkes, der den Opel Kadett Italsuisse Spider nicht nur aufgestöbert und restauriert, sondern seine bewegte Historie auch recherchiert und akribisch dokumentiert hat.

Jedes einzelne ausgestellte Automobil erzählt eine Geschichte – eine von Leidenschaft und Liebe. Ariane Dörhöfer erzählt ihre: „Dieses Auto macht was mit mir“, sagt sie und legt ihre Hände auf das sonnengelbe Dach ihres Trabants, „man riecht uns, man hört uns, man sieht uns.“ Seit 27 Jahren lebt die gebürtige Berlinerin in Groß-Gerau. Mit dem Trabant hat sie ein Stück Kindheitserinnerung in ihre neue Heimat geholt. Auch als stellvertretende Standortleiterin der Motorworld Rüsselsheim lebt sie ihre Leidenschaft für „schöne alte Dinge“ aus. Sie hilft dabei, das Gelände des Opel-Altwerks in die Zukunft zu führen. Handel, Werkstätten, Gastronomie sowie Dienstleister rund um Mobilität auf zwei und vier Rädern haben sich auf der ehemaligen Fertigungsfläche angesiedelt: „Verzahnt mit der Fußgängerzone der Innenstadt entwickeln wir auf historischem Grund ein lebendiges und für jeden zugängliches Stadtviertel“, so Dörhöfer.  

Neues, dezentrales Konzept: Das Opel-Altwerk der Motorworld ist nur einer von vielen über die Stadt verteilten Hotspots.
Blitz und Regen: Ein gelber Opel GT rollt zur Parade auf dem Marktplatz vor.
Wunderschöne Rarität: Stefan Dierkes bewahrt das Andenken an den Opel Kadett Italsuisse Spider, jener Studie, die 1964 auf dem Genfer Automobilsalon zu sehen war.
Faible für alte Dinge: Privat fährt Ariane Dörhöfer einen Trabant, beruflich bringt sie die Entwicklung der Motorworld voran.
Neben den rund 750 Stellplätze für Old- und Youngtimer bietet das 20. Klassikertreffen ein buntes Rahmenprogramm auch für Familien und Kinder.

„Wir freuen uns, dabei zu sein – immerhin feiert Opel dieses Jahr gleich zwei besondere Jubiläen.“

– Opel-Kommunikationschef Harald Hamprecht –

Pünktlich zum Start der Oldtimer-Parade um 13 Uhr am Marktplatz gesellt sich zum Regen der Blitz. Moderator Bernd Schultz stellt tapfer die 50 Fahrzeuge des Treffens vor, die zuvor von einer Jury ausgewählt wurden. Als erstes Fahrzeug rollt ein roter Rekord aus der Sammlung Opel Classic vor: „Wir freuen uns, heute dabei zu sein – immerhin feiert Opel dieses Jahr nicht nur „125 Jahren Automobilbau“, sondern auch „60 Jahren Opel-Designstudio“, sagt Opel-Kommunikationschef Harald Hamprecht. Und so ist mit dem Experimental GT auch jene erste Studie zu sehen, mit dem das Designstudio vor sechs Jahrzehnten auf der IAA für Furore sorgte – und die nur drei Jahre später mit dem Opel GT in eines der schönsten Serienmodelle mündet.

Ein Stück südlich des Marktplatzes, in den Räumlichkeiten des Kulturzentrums „Rind“, werben Jürgen Pawolka und Carsten Ritter für ein besonderes Kulturgut: Zu jeder vollen Stunde zeigen die Macher der Kulturinitiative „Opel-Rennbahn“ in dem Kinosaal drei kurze Filme über das historische Gelände zwischen Rüsselsheim und Trebur, das vor einem Jahrhundert ein Besuchermagnet für zehntausende Motorsportbegeisterte gewesen ist. Ihr Ziel ist es, die Opelbahn, ein Symbol einer Ära des technischen Aufbruchs, zu erhalten und ein neues Nutzungskonzept dafür zu schaffen. „Immerhin war es die erste fest gebaute Rennstrecke auf dem europäischen Kontinent – Jahre bevor der Nürburgring, die AVUS in Berlin oder der Hockenheimring ihren Betrieb aufnahmen“, sagt Carsten Ritter.

Dort, wo Fritz von Opel mit der Bahnrennmaschine 1922 für Furore sorgte: Jürgen Pawolka und Carsten Ritter halten mit ihrer Kulturinitiative die Erinnerung an die Opel-Rennbahn wach.   
Musik ist Trumpf: Mit Charme und Temperament fegen die „Wonderfrolleins“ über den Rüsselsheimer Marktplatz und durch die Musikwelt der Wirtschaftswunderjahre.
Mit Petticoat und Botschaft: Trotz Dauerregen strömen tausende Besucher zu den Hotspots – von der Motorworld bis ans Mainufer, vom Verna-Park bis zu den Opel-Villen.
Schlagkräftige Truppe: Die Organisatoren der Stadt mit Oberbürgermeister Patrick Burghardt (Mitte) an der Spitze zusammen mit Opel-Kommunikationschef Harald Hamprecht (links) auf einem Blitz-Feuerwehrwagen.  
Raum für mobile Leidenschaft: Auch die Motorworld ist als einer der Hotspots dabei – sie bringt neues Leben in die historischen und charmanten Gebäude des Opel-Altwerks.

„Das neue Konzept bietet viel Abwechslung – das kommt bei den Besuchern an.“

– Jürgen Pawolka, Kulturinitiative „Opel-Rennbahn“ –

Und das Besucherinteresse an der Geschichte des Meilensteins des frühen Rennsports ist groß, weitere Stühle werden geholt. In der Mitte des Kinosaals thront die Opel Bahnrennmaschine, mit der Fritz von Opel am 2. Juli 1922 beim 100.000-Mark-Rennen auf der Rennbahn triumphierte, dazu gibt es passend Drinks und Musik aus den 1920er-Jahren. „Das neue Konzept des Klassikertreffens – es funktioniert“, sagt Jürgen Pawolka. Bislang habe er ausschließlich lobende Worte der Besucher gehört. „Es ist die Abwechslung, die diese neue Form des Treffens so spannend macht“, sagt er.

Der Sammler Volker Thull hat ein besonders leidenschaftliches Team nach Rüsselsheim gelotst – allesamt Opel-Fans durch und durch, Besitzer sportlicher Ikonen. Die Motorsport-Ära der 80er-Jahre vertreten die Brüder Alois und Thomas Juchmes aus der Eifel mit dem Kadett GSi 16V. Sie schrauben gemeinsam, gehen gemeinsam bei Rallyes an den Start. So auch Steven Kaiser. Als Opel 1984 in einen frontgetriebenen Kadett D die bewährte Technik des Ascona 400 mit Heckantrieb einbaut, ist er zwar noch nicht mal geboren. Doch die Technik und Historie des Prototyps, der hauptsächlich in Südafrika zum Einsatz kam, fasziniert den heute 32-Jährigen so sehr, dass er zunächst eine Replika des Kadett 400 aufbaut und später noch ein original Werksauto ersteht. Sicher ist sicher.

Bestens vernetzt: Volker Thull hat die Besitzer sportlicher Opel-Ikonen in Rüsselsheim versammelt.
Team-Spirit: Auf Einladung von Maximilian Dünkel, Standortleiter der Motorworld, haben die Motorsport-Enthusiasten vorm Opel-Altwerk Stellung bezogen.
Die Exoten: Steven Kaiser (vorne, zusammen mit Co-Pilot „Queen Frank“) besitzt die vermutlich letzten Exemplare des Kadett 400 –  einmal als Replika, einmal als Original Werksauto.
Im Doppelpack: Thomas und Manuela Griesche sind mit einem Ascona 400 (im Hintergrund) und einem Ascona i2000 nach Rüsselsheim gekommen.
Vor acht Jahren hat Uwe Sturm seinen Traumwagen ergattert. Vorbild für diesen 2007 von Georg Berlandy aufgebauten Ascona ist jener, mit dem Klaus Miersch 1973 zur Rallye Monte Carlo angetreten ist.
Die Jugendliebe: Mit 16 Jahren jubelt Herbert Heimrich seinem Helden Walter Röhrl bei der Rallye Rüsselsheim zu. Heute besitzt er selbst das siegreiche Modell von 1973.  
Die Brüder: Alois (rechts) und Thomas Juchmes aus der Eifel haben ein gemeinsames Hobby – den Kadett GSi 16V. Zusammen schrauben sie daran und gehen bei Rallyes an den Start.

„Opel und Motorsport – das gehört einfach zusammen.“

– Sammler Volker Thull –

Herbert Heimrich weiß auf den Tag genau, wann er sich endgültig mit dem Opel-Virus infiziert hat. „Am letzten Februar-Wochenende 1973 war das“, erinnert er sich. Walter Röhrl fuhr bei der Rallye Rüsselsheim mit dem Ascona zum Sieg, Heimrich stand als 16-Jähriger an der Strecke. Heute besitzt er selbst einen Ascona Rallye von Irmscher. Keine Parade des Opel-Motorsports ist komplett ohne den Ascona 400. Den steuern Thomas und Manuela Griesche bei. Und weil er so schön ist, haben sie auch einen Ascona i2000 mit nach Rüsselsheim gebracht. Uwe Sturm hat ein weiteres besonderes Ascona-Exemplar im Gepäck. Jenes, mit dem Vorbesitzer Georg Berlandy zigfach die Rallye Köln-Ahrweiler gewonnen hat. Angeregte Gespräche werden geführt, Kontakte geknüpft, Motorhauben geöffnet. Auch wenn die Gewitterwolken bis zum Ende der Veranstaltung am Nachmittag nicht weichen wollen – der Liebe fürs Automobil tut das keinen Abbruch. Leidenschaft und Blitz gehören nun mal zusammen.


September 2024

Fotos: Alex Heimann, Isabella Groth