Was ist das für ein Gefühl, mit einer Flex in seinen geliebten Opel zu schneiden? „Ein verdammt komisches, zumindest am Anfang“, gesteht Marcel Künstler. Seine Frau Katharina mochte diesem barbarischen Akt erst gar nicht beiwohnen: Die Budgetsachbearbeiterin im Opel-Werk Kaiserslautern hatte ihr Heim zuvor verlassen, sie mochte einfach nicht zusehen. „Später hat er mich dann angerufen und mir erzählt, unser Auto wäre bei dem Eingriff zusammengebrochen. Auf solche Scherze kann ich wirklich verzichten.“ Szenen einer Ehe im pfälzischen Schwedelbach …
Glücklicherweise ereignen sie sich in dieser Heftigkeit nicht allzu oft. Genauer gesagt: Diese Szene hat sich konkret erst ein einziges Mal zugetragen. Und am Ende ist alles gut gegangen. Und ganz so barbarisch wie eben geschildert war der Akt eigentlich auch nicht. Sondern gut durchdacht.
Opel im Herzen
Die Marke mit dem Blitz begeistert seit jeher. Dabei gibt es Anhänger, die sich der Tradition von Opel ganz besonders eng verbunden fühlen – und sie gar mitprägen. Solche Menschen stellen wir in der Serie „Opel im Herzen“ vor.
WIE MANN MIT FRAU AUF EINE SOLCHE IDEE KOMMT
Aber schrecklich ausgesehen haben muss es dennoch, als Marcel Künstler die Flex am Dach seines Tigra ansetzte. Und eine verrückte Idee war’s auch. „Wir machen aus unserem Tigra einen Targa“ – darauf muss man erst einmal kommen.
Und wie kommt man darauf?
„Mann“ muss zu den mutmaßlich größten Tigra-Fans auf diesem Planeten gehören – und außerdem noch eine Frau an der Seite haben, die diese Leidenschaft in vollem Umfang teilt. „Der Tigra ist für uns der schönste Opel, der je gebaut wurde“, erklären die beiden unisono. „Wir sind von ihm fasziniert, seit Franziska von Almsick damit in der TV-Werbung durch Wasserpfützen tauchte.“
Wohlgemerkt: Sie reden von dem original Tigra, den Opel von 1994 bis 2001 produzierte. Der Tigra Twintop, den es ab 2004 gab, sei zwar „technisch ein tolles Auto“ gewesen, war für die Künstlers aber keine Alternative zu ihrem geliebten Sportcoupé mit den wunderbar fließenden Rundungen, die seinerzeit vor allem im designbewussten Italien so beliebt waren.
SORGFÄLTIG PLANEN – DANN ERST DARF DIE FLEX RAN
Außerdem hätte im TwinTop ja ein simpler Knopfdruck genügt, um einen Oben-Ohne-Zustand herzustellen. Das aber ist einem wahren Künstler zu einfach. Das Ehepaar ist seit Jahr und Tag in der pfälzischen Corsa-Tigra-Connexion aktiv. Und so wie an anderen Stammtischen bei einem Bier über Fußball geredet wird, diskutieren Mann und Frau in deren geselligen Runden nun einmal Fragen wie „Wie lässt sich aus einem Tigra ein Cabrio machen?“ So vor sieben Jahren etwa entschloss Marcel Künstler, nach Antworten darauf zu suchen, wie ein entsprechender Umbau seines Tigra, Baujahr 1996, aussehen könnte.
Denn die Flex ansetzen und dann runter mit dem Dach – so einfach ist das natürlich nicht: „Das Dach ist nun einmal ein tragendes Teil.“ Und wenn ein in Eigenregie davon befreites Gefährt eine ernstzunehmende Chance haben soll, auch nach der erfolgreichen Beschneidung noch eine TÜV-Plakette zu bekommen, müssen A- und B-Säule entscheidend verstärkt werden, damit die Windschutzscheibe bei einem Unfall mit Überschlag nicht niedergedrückt wird.
Drum beriet sich Marcel Künstler, bevor er zur Flex schritt, erst einmal mit seinem Freund Roman Ecker, der damals an der Technischen Universität Kaiserslautern Maschinenbau studierte, wie das im Detail aussehen könnte. Die exakte Planung und der Einbau der Verstärkungsteile zogen sich anschließend über Monate hin, ehe es zum großen Schnitt kam.
ALLEIN DIE TÜV-ABNAHME DAUERTE FÜNF WOCHEN
Auch, wie das Dach aussehen sollte, entschieden die beiden frühzeitig. Ein „Targa“ sollte es werden, also ein komplett herausnehmbares Dachmittelteil, wie es Porsche einst für seine gleichnamige Baureihe entwickelte, worauf sich die Bezeichnung allgemein durchsetzte. Nachdem eine erste Version aus Glasfaser nicht die gewünschte Dichtigkeit aufwies, hat Marcel Künstler nunmehr bereits seine zweite Targadach-Kreation in Betrieb. Sie wurde dem Dach eines schrottreifen Tigra entnommen, auf die exakten Maße geschneidert und mit der Dichtung eines Kadett-Cabrio versehen.
Zur TÜV-Abnahme vorbereitet wurde die Schöpfung anschließend bei einem Tuner im saarländischen Völklingen. Die Technischen Gutachter nahmen sich für die Prüfung fünf Wochen Zeit. Nicht, dass sie genervt gewesen wären:„Sie klärten mich gleich am Anfang auf, dass eine solche Spezialabnahme etwas länger dauere und daher auch etwas mehr koste – und gut war.“ Am Ende fielen allein für den TÜV rund 1000 Euro an. Was Marcel und Katharina Künstler hingegen an Arbeitsstunden in das Projekt investierten, haben sie sich nie ausgerechnet.
NOCH EIN GLÜCKSFALL: PAPA KANN GUT MIT MOTOREN
Dafür haben sind jetzt einen Tigra, wie ihn sonst wohl niemand auf der Welt hat – und das nicht nur des Targa-Daches wegen. „Serie“ ist an diesem Designertraum gar nichts mehr, nicht einmal die Scheibenwischer. Front- und Heckspoiler sind Eigenkreationen, Scheinwerfer und andere exklusive Komponenten stammen aus dem umfangreichen Zubehörangebot – die „Barracuda“-Felgen sind über die Schweiz aus den USA importiert worden, weil es die in Europa gar nicht gibt. Die Zweifarbenlackierung in Keramikblau und Weiß ist ebenfalls eine Augenweide – auch das eine individuelle Künstler-Kreation.
So richtig vollendet ist das Künstler-Werk immer noch nicht. Die Innenausstattung inklusive Installation einer Bassbox steht noch aus – und auch dafür werde alles nach ihrer persönlichen Vision maßgeschneidert.
Und der Motor? Der kommt aus Kaiserslautern: 2,0 Liter 16 V der Familie II-Generation, wie er früher in den Astra OPC verbaut wurde. Für Einbau nebst fachmännischer Anpassung steht dem Ehepaar ein echter Experte zur Verfügung: Marcels Papa Friedrich Künstler, ehemaliger Motorenspezialist im Lauterer Opel-Werk. Zuletzt war er in der Motorenaufbereitung aktiv. Er hat sich auch um das Triebwerk des zweiten Tigra im Künstlerschen Haushalt gekümmert, mit dem hauptsächlich Katharina unterwegs ist. Das hat zwar kein Targa-Dach, ist aber nicht minder individuell gestylt und ausgestattet – und wäre fast eine eigene Geschichte wert.
Stand Mai 2015