„Startnummer 46 bitte zum Start“, schallt es aus der Lautsprecheranlage über den Parkplatz, auf dem 100 Oldtimer ungeduldig darauf warten, endlich losfahren zu dürfen. ,46? Das bin ja ich!’, merke ich erschrocken. Also laufe ich schnell zum Stellplatz 46, wo „mein Schatz“ steht. Ein Opel Rekord C Cabrio, Baureihe 1967, 1.698 ccm Hubraum, 75 PS. Das sind die nackten Zahlen. Emotionaler Wert: nicht zu beziffern. Was für ein schönes Auto! Ferrari-Rot, der Chrom blitzt, schwarze Ledersitze, ein großes Lenkrad, Beinfreiheit ohne Ende. Apropos Freiheit, Anschnallgurte gibt es bei dem nur 50 Mal von der Kölner Firma Deutsch zum Cabrio umgebauten Modell natürlich nicht. Aber man darf ihn dank der H-Nummer (Historisches Fahrzeug) auch ohne Gurte fahren.
100 teams gehen an den Start
Ein freundlicher Mitarbeiter der 21. ADAC OPEL Classic Hessen-Thüringen erklärt meinem Beifahrer und mir schnell noch Handbremse, Schaltung und Verdeck. Mehr gäbe es da nicht, beantwortet er meinen fragenden Blick. 9.42 Uhr. In vier Minuten geht es los. Ich starte den Motor und löse die Handbremse, die neben dem Lenkrad sitzt. Alles kein Problem, obwohl ich ein wenig aufgeregt bin. Den ersten Gang reinzubekommen gestaltet sich schon schwieriger. Gas geben und einlenken. Man muss richtig kräftig einlenken, wie auch bremsen, denn Lenk- oder Bremskraftverstärker gab es 1967 noch nicht. Wir schaffen es trotzdem pünktlich zum Start.
Insgesamt gehen 100 Teams mit ihren Oldtimern vom 4. bis 6. Juni an den Start. Die Ausfahrt teilt sich in zwei Etappen: „Werratal“ mit 190 Kilometern sowie „Bergland“ mit 170 Kilometern. Der älteste teilnehmende Wagen ist ein Opel 8 mit 25 PS aus dem Jahr 1920, der jüngste ein 353er Wartburg von 1986. Das Gros der Fahrzeuge kommt von Oldtimerliebhabern und privaten Sammlern. „Das macht die ADAC OPEL Classic Hessen-Thüringen aus: 40 Marken und eine große Typenvielfalt lassen die zweitägige Tour zu einem Kaleidoskop von 100 Jahren Fahrzeugbau werden, zu einer Zeitreise durch die schönsten Regionen Hessens und Thüringens“, schwärmt Uwe Mertin, Manager von Opel Classic.
Unsere Zeitreise beginnt jetzt. Wir verlassen den Hotelpark Hohenroda in Osthessen und biegen ab Richtung… Richtung? Dafür ist der Beifahrer da, der schleunigst in das Streckenbuch schaut: Richtung Oberbreitzbach. Erst jetzt merke ich, wie leise der Motor läuft, wie eine Nähmaschine. Das offene Verdeck und die strahlende Sonne lassen Cabrio-Feeling aufkommen. Und nach ein paar Minuten habe ich mich auch an das ungewohnt schwere Schalten, Lenken und Bremsen gewöhnt. Nach 27,4 Kilometern Landstraße erreichen wir bei Kleinensee die erste Gleichmäßigkeitsprüfung (GLP). Bei dieser müssen wir einen zwei Kilometer langen Abschnitt in exakt 3,34 Minuten durchfahren. Mathematik war nicht gerade mein Lieblingsfach, aber dafür gibt es ja heute das Smartphone. Das sagt uns, dass wir die Strecke mit exakt 32 Stundenkilometern durchfahren müssen. Mit einer Stoppuhr ausgestattet fahren wir los, und scheitern. Wie auch bei der nächsten Prüfung: 2,9 Kilometer in 5,37 Minuten. Das muss am Tacho liegen.
DIE TÜCKEN DER GLEICHMÄßIGKEIT
In Eschwege drehen alle Oldtimer auf dem Marktplatz eine Ehrenrunde, bevor es Richtung Mittagspause auf die Creuzburg geht. Über die alte Werrabrücke fahren wir anschließend zum Opel-Werk in Eisenach, wo die nächste GLP wartet. Diese endet wie die anderen zuvor. Zu Kaffee und Kuchen treffen sich alle im Automobilbaumuseum wieder. Am späten Nachmittag geht es wieder Richtung Hohenroda, dem Ziel der ersten Etappe nach exakt 201,1 Kilometern. Okay, bei uns waren es ein paar Kilometer mehr als die geplanten 190, weil wir uns hinter der Werratalbrücke kurzzeitig verfahren haben. Im Streckenbuch steht: „Wenn einige Einmündungen oder Abzweige nicht enthalten sind, lautet die Devise: Immer der Hauptstraße folgen.“ Wir haben da wohl nicht direkt die Hauptstraße erwischt.
Egal, es war eine herrliche Ausfahrt in einem wunderschönen Gefährt, durch eindrucksvolle Ortschaften und Landschaften. Der Wechsel in mein modernes Auto fällt mir jedenfalls schwer, trotz Bremskraftverstärker.
Für die Eisenacher Opelaner stellte die Werksdurchfahrt der 100 Oldtimer der 21. ADAC Opel Classic Hessen-Thüringen eine große organisatorische Herausforderung dar, auf die das Team sehr flexibel reagierte. Zum einen galt es den hohen internen Werksverkehrs und den Wechsel von Früh- auf Spätschicht zu berücksichtigen. Aus Sicherheitsgründen wurden zudem an der Prüfungsstelle Absperrzäune beidseitig aufgestellt. Zum einen, damit die Opelaner sicheren Fußes die Strecke passieren konnten, aber auch, um eine Störung der Lichtschrankentechnik während der 150 Meter langen Gleichmäßigkeitsprüfung zu vermeiden. Viele fleißige Helfer, wie die Kameraden der Feuerwehr, Auszubildende und Mitarbeiter aus verschiedenen Bereichen, haben mit dazu beigetragen, dass die Werksdurchfahrt der Oldtimer zu einem ganz besonderen Erlebnis wurde.
Stand Juni 2015
Text: Jens Hirsch, Fotos: Marcel Krummrich