Wenn sie gemeinsam im Café sitzen, wirken sie wie zwei junge Männer, die schon gemeinsam im Sandkasten gespielt haben. Ungefähr gleich alt, plaudern sie angeregt über Job, Wohnung und Familie. Sie ähneln sich in Gestik und Mimik. Tatsächlich jedoch könnten ihre Lebensgeschichten kaum unterschiedlicher sein.
Monir El Yousfi, 35, ist in Mainz geboren und in Rüsselsheim aufgewachsen – und heute Assistent von Katherine Worthen, Vice President Einkauf und Logistik der Opel Group. Kasem Aldabes, 31, ist in Syrien geboren, hat in Damaskus studiert – und ist vor etwa einem Jahr vor Krieg und Terror geflohen. Seit Juni 2015 ist er im Flüchtlingsheim in Frankfurt untergebracht. Mit Verwandten und Freunden aus seiner Heimat kommuniziert er nur noch über Facebook.
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„Wir sind alle angehalten, einen Beitrag
zu leisten und zu helfen.“
– Monir El Yousfi –
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Kennengelernt haben sich die beiden vergangenen Dezember. Bei einem Treffen im Rahmen der InCharge-Initiative für Flüchtlinge, die deutsche Wirtschaftsunternehmen, darunter Opel, gestartet haben. „Ich habe Karl-Thomas Neumanns Aufruf an die Opel-Mitarbeiter gelesen, mitzumachen – da habe ich nicht lange überlegt“, erzählt Monir El Yousfi. „Ich denke, wir sind alle angehalten, einen Beitrag zu leisten, um diesen Menschen zu helfen.“
DIE CHEMIE STIMMT
Dass seine Wurzeln als Marokkaner ebenfalls im arabischen Sprachraum liegen, sei gar nicht mal ausschlaggebend dafür, dass die Chemie zwischen ihnen stimme. Eher ist es die Mentalität, die Mentor und Mentee miteinander verbindet. Kasem Aldabes hat ein klares Ziel vor Augen, das ihn motiviert: „Ich möchte in Deutschland meinen Master in Business Psychologie machen.“ Um sein Studium zu finanzieren, will er unbedingt arbeiten gehen – „was genau, muss sich ergeben, da bin ich flexibel“. In Syrien hat er bereits ein Pädagogik-Studium mit Diplom abgeschlossen.
MEHR FREUND ALS MENTOR
Im InCharge-Programm ist angedacht, eine Mentorentätigkeit über eine Dauer von zwölf Wochen auszuüben – „doch das ist ja nur ein Orientierungswert“, erklärt Monir El Yousfi. Für ihn längst klar, dass er mit Kasem auch über diese Zeit hinaus in Kontakt bleiben wird. „Irgendwann sieht man sich eben nicht mehr als Mentor, sondern als Freund.“ Viel wichtiger ist doch, dass auch die Familie Verständnis für dieses Engagement hat, das sich ja ausschließlich außerhalb der Arbeitszeit abspielen muss: „Und das ist bei mir der Fall, glücklicher Weise.“
„Wir stehen erst am Anfang“
InCharge-Koordinatorin Yasmine Schritt über Bedingungen und Entwicklungsmöglichkeiten
Rund 15 hessische Unternehmen unterstützen das InCharge-Programm für Flüchtlinge mittlerweile – vom kleinen Familienbetrieb bis zu großen Automobilunternehmen. Allein bei Opel wurden seit November 2015 über 100 Mentoren gewonnen. Sie helfen den Flüchtlingen, ihre Deutschkenntnisse zu verbessern, Alltagsprobleme zu meistern und unterstützen sie bei der Wohnung-, Ausbildungs- oder Jobsuche. Im Unternehmen koordiniert Yasmine Schritt vom Bereich Public Policy und Government Relations das Engagement.
Frau Schritt, muss man eigentlich Sprachkenntnisse mitbringen, um Mentor zu werden?
Nein. Die Mentees sollen im Kontakt mit ihren Mentoren ja vor allem ihre Deutschkenntnisse verbessern – denn die sind eine wichtige Voraussetzung, um den Einstieg in den Arbeitsmarkt zu schaffen. In der Regel verfügen sie bereits über erste Sprachkenntnisse, wenn wir sie vermitteln – „B1-Niveau“, wie es in der Behördensprache heißt. Dabei handelt es sich um Flüchtlinge, die das Asylverfahren bereits erfolgreich abgeschlossen haben oder mit Sicherheit noch abschließen werden.
Wie finden sich Mentor und Mentee?
Wer Mentor werden möchte, registriert sich zunächst auf unserer Homepage. In regelmäßigen Abständen laden wir dann vorab gebildete Tandems zu Kennenlern-Veranstaltungen in der Region ein. Generell achten wir darauf, dass Mentor und Mentee ungefähr in einem Alter sind und das gleiche Geschlecht haben – und gegebenenfalls auf andere Gemeinsamkeiten, die sich aus der Anmeldung ergeben haben. Bislang haben wir mit unserer Art der Tandem-Bildung recht gute Erfahrungen gemacht.
Wie soll die Initiative weiterentwickelt werden?
An der Johannes Gutenberg-Universität in Mainz werden gegenwärtig die ersten Fragebogen ausgewertet, die an die erste Generation Mentoren und Flüchtlingen ausgegeben wurden. So erhalten wir in Kürze erste Aufschlüsse, wie erfolgreich unser Programm ist und wie und wo es sich noch verbessern lässt. Hessen macht ja lediglich den Anfang: Im Lauf des Jahres soll das Mentorenprogramm bundesweit ausgerollt werden. Im Mai startet der Pilot im Großraum Bonn.
Stand April 2016