Ein repräsentatives Büro mit durchgehenden Fensterfronten im spitz zulaufenden Winkel des Gebäudes N50. Auf einem Vorsprung an der Wand reihen sich Miniaturmodelle automobiler Klassiker zu einem Korso auf. Gastgeber Mark Adams – gut gelaunt, freundlich und galant – bittet an den niedrigen Tisch mit den edlen Drahtgitter-Stühlen – „Knoll International“, ein Klassiker. Alles hier atmet Design. Womit wir im Thema wären: Ein Gespräch mit dem Vizepräsident Design von GM Europe.
Opel Post: Mark Adams, es heißt, gutes Design muss seiner Zeit voraus sein, damit es den Leuten auch noch in einigen Jahren gefällt. Was bedeutet das für Ihre Arbeit?
Mark Adams: Ja, das stimmt. Und ich denke, unter unseren Autos finden sich gute Beispiele dafür, wie der aktuelle Corsa. Als wir ihn auf den Markt brachten, hob er sich mit seinem frischen Auftritt gegen die Konkurrenz ab. Und diese Optik ist auch heute, nach mehreren Jahren, noch unverbraucht. Damit das gelingt, braucht es ein starkes Design-Statement, das über das hinausgeht, was die Kunden erwarten. Das hat auch schon beim Calibra oder dem Corsa B funktioniert. Und aktuell verkörpert das der Insignia: Er sieht heute noch so gut aus wie damals, als wir ihn gelauncht haben.
Wie haben Sie das Opel-Design empfunden, als Sie 2002 ins Unternehmen kamen?
Damals wurde im Design gerade umstrukturiert. Meine Stelle als Leiter Exterior Design war neu geschaffen worden. Bis dahin war alles an den Fahrzeugarchitekturen ausgerichtet, jetzt wurden Interior, Exterior und Advanced Design unterschieden. Der Vectra C lief gerade an. Er war – wie die anderen Autos, die ich in meinen ersten Tagen hier sah – gut gemacht, gut verarbeitet. Aber den Autos fehlte aus meiner Sicht die emotionale Qualität.
Was war Ihr erstes Projekt?
Das Insignia Concept Car – wobei es damals noch keinen Namen hatte. Die Arbeit daran begann, als ich gerade zwei Monate hier war. Es sollte auf der IAA 2003 vorgestellt werden. Ich wollte mit ihm etwas schaffen, das skulpturaler, emotionaler ist, zugleich aber die technische Qualität transportiert, die in unserer Marke liegt. Mit dem Insignia Concept haben wir damals den Samen gesät für das, was unsere neue Designphilosophie wurde. Das Motto dazu – „skulpturales Design trifft deutsche Ingenieurskunst“ – fiel mir 2005 ein. Das war hier nebenan, im Besprechungsraum. Ich sprach mit meinem Team und sagte: ,Wisst ihr was? Das ist es, so nennen wir es!’
Damit hatte die Opel-Designsprache ihren Namen…
Nicht die Designsprache, sondern die Designphilosophie. Das ist ein Unterschied. Viele Wettbewerber hatten damals eigene Designsprachen. Aber die waren vergänglich. Ich wollte nicht, dass wir uns alle vier, fünf Jahre hinstellen müssen und sagen: So, hier ist nun die nächste neue Designsprache. Nein, wir wollten Konsistenz schaffen. Eine Designphilosophie wie ich sie verstehe, ist etwas Langfristiges, Beständiges. Sie kann hundert Jahre aktuell sein. Das wollte ich meinem Team veranschaulichen. Also griff ich mir einzelne Modelle aus der Opel-Geschichte heraus. Ich fragte meine Leute: Skulpturales Design trifft deutsche Ingenieurskunst – hätte man den Opel GT von 1965 so betiteln können? Die Antwort war: Ja, das hätte gepasst. Also haben wir das weiterverfolgt. Der Insignia wurde unser erstes Serienauto der Gegenwart, das diese Werte in sich trug. Aber man kann sich auch noch Autos im Jahr 2060 vorstellen, die dieser Philosophie entsprechen und doch in die Zeit passen.
Wie lange hat es gedauert, bis Ihr gesamtes Team das verinnerlicht hatte?
Etwa zwei Jahre, dann war es in allen Köpfen drin. Es kommt heute kaum vor, dass ich bei uns eine Skizze an der Wand sehe, die das nicht transportieren würde. Das Gute ist: Unsere Philosophie beschränkt uns nicht, sondern lässt uns viele kreative Freiheiten. Sie ist ein Rahmen, in dem wir arbeiten können, der aber nicht restriktiv ist. Würden wir Autos verschiedener Plattformen im immer gleichen Design entwerfen, die alle irgendwie identisch sind – wie die russischen Matrjoschka-Puppen –, würde das auch gar nicht funktionieren. Unser Kundenspektrum ist sehr breit, deshalb brauchen wir unterschiedliche Autos mit jeweils eigenständiger Persönlichkeit. Dieser Rahmen versetzt uns in die Lage, solche Autos zu designen. Wir haben diese Philosophie in jedem neuen Fahrzeug seit dem Insignia fortgeführt. Heute steht unsere gesamte Modellpalette dafür: Ob Astra, Meriva oder Zafira Tourer, alle tragen das in sich. Auch die Autos, die das Portfolio erweitert haben – Ampera, Mokka, ADAM, Cascada. Der ADAM zum Beispiel ist klar erkennbar ein Opel, aber hat dabei eine völlig andere Persönlichkeit als der Insignia.
Und das wollen Sie auch in zukünftigen Fahrzeuggenerationen fortführen?
Genau. Jetzt folgt unsere nächste Stufe: Im Monza Concept steckt der Samen für das Opel Design 2.0. In ihm kündigt sich an, was das Design unserer Serienfahrzeuge der nächsten acht bis zehn Jahre ausmachen wird. Er greift einige vertraute Merkmale auf und interpretiert sie frisch, führt sie auf die heutige Zeit bezogen aus.
Wie wollen Sie es anstellen, den Charakter einer Studie mit Flügeltüren auf ein Serienfahrzeug mit fünf Sitzplätzen und geräumigem Kofferraum zu übertragen?
Warten Sie mal noch ein gutes Jahr ab und lassen Sie sich überraschen, wie die neue Insignia-Generation aussieht. (grinst) Der Monza ist zwar eine Vision, aber doch nicht zu weit von der Gegenwart entfernt. Das ist wichtig, damit das für alle innerhalb unserer Organisation greifbar bleibt. Deshalb denken wir in Zyklen von acht bis zehn Jahren. Im nächsten Zyklus werden wir beim Opel Design 3.0 sein. Das wird wieder um neue Trends, neue Technologien erweitert sein – ohne dass unsere Philosophie dabei an Konsistenz verlieren wird. Wenn man Insignia Concept und Monza Concept vergleicht, kann man diese Verbindung, diesen DNA-Link sehen.
Wofür steht der Monza Concept außerdem?
Er ist inspirierend und visionär, steht für herausragende Effizienz und Konnektivität. Ich bin sicher, LED-Projektionstechnologie und Mensch-Maschine-Schnittstellen werden in einigen Jahren perfekt sein. Wo der Fahrer heute über Touchscreens kommuniziert, wird bald die Spracherkennung dominieren. Das ist nebenbei ein erheblicher Beitrag zur Sicherheit, weil die Hände beim Fahren frei bleiben. Und Opel will auf diesem Feld führend sein – bereits mit der nächsten Generation unserer Autos. Wir fokussieren uns auf die Vereinfachung der Bedienung. Schon die neue Mittelkonsole des Insignia ist ein Schritt in diese Richtung. Das Infotainmentsystem des ADAM ist aktuell schon sehr gut; auch unsere Highspeed-Mobilfunkverbindung OnStar zeigt, in welche Richtung es geht. Konnektivität ist ein sehr wichtiges Feld für uns. Ganz allgemein wird das Interieur an Bedeutung gewinnen. Okay, das Außendesign ist das, was die anderen wahrnehmen. Aber man selbst verbringt doch 99 Prozent der Zeit im Inneren des Autos. Der neue Corsa wird das beste Interieur der Kleinwagenklasse haben, was Material, Gestaltung und Formen angeht, aber auch in Sachen Infotainment.
Bietet Opel durch sein Design einen Mehrwert gegenüber seinen Wettbewerbern?
Ja, unsere Designphilosophie spielt auch bei der Kaufentscheidung eine wichtige Rolle. Da sind immer Kopf und Herz beteiligt. Wir versuchen, beides zu kombinieren. Die skulpturale Formgebung spricht das Herz an, ist die emotionale Seite. Auf der anderen Seite haben wir die deutsche Ingenieurskunst, in der positive Werte stecken: Technologie, Präzision, Struktur, Qualität. Wer unsere Autos anschaut, spürt auf Anhieb die emotionale Komponente: ,Wow, tolles Design!’ Die starke technologische Substanz erschließt sich dann auf den zweiten Blick. Hier liegt unser Alleinstellungsmerkmal. Es gibt nur zwei deutsche Volumenhersteller, alle anderen bewegen sich im Premiumsegment. VW ist eine starke Marke, aber sehr fokussiert auf die Technik. Da ist keine emotionale Seite. Wir wollen die emotionale deutsche Marke sein! Wir wollen die Leute auf dieser Ebene ansprechen. Ja, wir liefern deutsche Substanz, aber sexyer, dynamischer und skulptural. Das ist unsere Position. Und die wollen wir ausbauen.
Sie waren ein Jahr lang bei GM in Warren, kamen im Herbst 2013 zurück. Was hat sich für Sie in diesem Jahr verändert?
Na ja, ich war ja nicht wirklich weg. Ich hatte Meetings hier und viele Telefonschalten mit Rüsselsheim. Aber persönlich habe ich in diesem Jahr mein GM-internes Netzwerk gestärkt und Kontakte zu wichtigen Leuten in Nordamerika aufgebaut. Ich habe meine Sichtweise auf Opel neu kalibriert, habe jetzt eine globalere Perspektive. Diese Erfahrungen teile ich mit meinem Team und sie helfen mir, mein Team zu führen.
Auf welche Serienfahrzeuge aus Ihrer bisherigen Zeit bei Opel sind sie besonders stolz?
Oh, das ist schwierig. Das ist, als fragten Sie, welches von meinen drei Kindern ich am meisten mag. (lacht) Aber wenn ich mich entscheiden muss, sind es Insignia, Astra GTC und ADAM. Weil alle drei für bestimmte Werte stehen. Der Insignia hat diese Premium-Aura mitgebracht, indem er hochwertige Ausstattungsdetails in seine Klasse eingeführt hat. Der GTC steht für Sportlichkeit und der ADAM für den Spaß-Faktor. Alle unsere aktuellen und künftigen Autos tragen eine Mischung aus diesen drei Werten in sich. Insignia, Astra GTC und ADAM haben – jeder auf seine Art – die Leute verblüfft: ‚Was, das ist ein Opel?’
April 2014
Mark Adams
- Geboren 1961 in London (England)
- studierte Ingenieurswesen und Design, Bachelor-Abschluss in Maschinenbau/ Fahrzeugtechnik, Master in Autodesign am Royal College of Art in London
- nach dem Studium verschiedene leitende Positionen im Design bei Ford
- 2002 Leiter Exterior Design für GM Europa, prägte unter anderem das Design von Antara, Astra TwinTop, Corsa, Zafira Tourer und Astra GTC
- 2007 bis Juli 2012 Vizepräsident GME Design, verantwortlich für das Design der Opel- und Vauxhall-Fahrzeuge
- August 2012 bis August 2013 Head of Design Cadillac und Buick bei GM in Warren (USA)
- seit September 2013 wieder Vizepräsident GME Design
- Mark Adams ist verheiratet und Vater von drei erwachsenen Kindern (eine Tochter, zwei Söhne), seine Familie lebt bei London