Greenpeace,
Assuan-Staudamm
und der Elektro GT
1971 gründeten Pazifisten im kanadischen Vancouver eine Non-Profit-Organisation, die sich international für den Umweltschutz einsetzt, während in Ägypten der Assuan-Staudamm in Betrieb genommen wurde. Und so lange, wie sich Greenpeace-Aktivisten nun bereits engagieren und eine Mauer das Nil-Wasser staut, hat Ernst Rapp den Elektro GT nicht gesehen. Den ersten Opel-Stromer hatte er einst zusammengebaut, Stück für Stück, in Handarbeit. Nun sieht ihn der 71-Jährige im „OPELHAUS 120“ auf der IAA erstmals wieder. Gemeinsam mit seiner Frau Martha war er in Frankfurt zu Besuch.
Die Weltrekorde des Elektro GT
Im Mai 1971 stellte Georg von Opel am Hockenheim gleich sechs neue Weltrekorde für elektrisch betriebene Fahrzeuge auf. 188,86 km/h schaffte er über den sogenannten „fliegenden Kilometer“, also bei einer Messung nach einem Start- und Beschleunigungskilometer. Ohne diesen, also „stehend“, erreichte der Elektro GT 115,88 km/h – ebenfalls ein Weltrekord. Gleiches gilt für die „stehenden“ 500 Meter, bei denen 92,98 km/h gemessen wurden, und die stehende Viertelmeile mit 85,87 km/h. Zehn Kilometer meisterte der Power-Stromer mit einer Durchschnittsgeschwindigkeit von 126,89 km/h, zehn Meilen mit 127,15 km/h.
„Der Wagen hat sich äußerlich kaum verändert“, findet Rapp. Dafür hat Jens Cooper von Opel Classic gesorgt. Der Classic-Experte hat das Paar aus dem baden-württembergischen Eppingen eingeladen. Der Kontakt kam durch Zufall zustande. Vor einem Jahr besuchte Rapp den Geburtstag seines Freundes. Dort traf er dessen Schwager, den Opel-Rentner Hajo Döge. „Ich habe mal für den Enkel des großen Adam ein Auto gebaut“, begann Rapp damals. Und nachdem er seine Geschichte erzählt hatte, setzte sich Döge mit Cooper in Verbindung.
Die Geschichte begann 1970. Ernst Rapp arbeitete im vierten Jahr bei Bosch in Stuttgart, in der Spezialabteilung für Sonderanfertigungen. Dort war der junge Elektromechaniker gelandet, nachdem er bei seiner Einstellung erklärt hatte, dass er begeisterter Modellbauer sei. Eine Leidenschaft, die er von seinem Vater geerbt hatte, einem Konstrukteur von Modell-Segelflugzeugen. „Leute, die Flugzeuge aus Holz bauen können, sind in der Abteilung genau richtig“, erhielt er zur Antwort.
Georg von Opel in geheimer Mission
Auf dem Hof erblickte Rapp einen Herrn, von dem bald gemunkelt wurde, dass es Georg von Opel sei, der Enkel des großen Adam. Und dass er wegen eines Geheimauftrags hier sei.
Kurz darauf stand ein Opel GT in Rapps Werkstatt. Dieser war lediglich mit einem Fahrwerk ausgestattet, sonst war er leer. Den Rest sollte der junge Prototypenbauer richten – wie, war ihm überlassen. Die zu verarbeitenden Bauteile erhielt er separat angeliefert. Wichtigstes Element war ein Elektromotor. Georg von Opel, damals 59 Jahre alt, wollte mit dieser Sonderanfertigung der Weltöffentlichkeit die Zukunftsfähigkeit dieser Antriebsart beweisen und gleich mehrere Weltrekorde aufstellen, aber das müsse alles streng geheim bleiben.
Die Modifikationen
Der Elektro GT wurde aerodynamisch optimiert, alle Lufteinlässe im Frontbereich geschlossen, Rückspiegel entfernt, ebenso die Türgriffe. Zur Kühlung der Elektromotoren wurde ein elektrisches Gebläse installiert und der Bremskraftverstärker mit einer elektrischen Vakuumpumpe ausgestattet. Durch das Gewicht der Batterien musste das Fahrwerk mit härteren Federn ausgestattet werden. Immerhin lastete auf dem
Opel GT ein Gesamtgewicht von bis zu 1,7 Tonnen.
Bosch hatte sich Georg von Opel mit Bedacht als Partner für diesen Spezialauftrag ausgewählt. Das Stuttgarter Unternehmen galt als Vorreiter in Sachen Elektromotoren und hatte unter anderem bereits mit Blei-Batterien experimentiert, was sich aber als höchst gefährlich erwiesen hatte. „Für den Opel verwendete ich nun Nickel-Cadmium Batterien“, erzählt Ernst Rapp.
Ernst Rapp in seinem Element
Batterien, Motor, Kühlgebläse, Steuereinheit et cetera in einem Opel GT unterzubringen, erwies sich in den folgenden vier Wochen als ungeheuer anspruchsvolle Tüftelarbeit. „Die Kollegen schlossen bereits Wetten ab, dass ich das niemals schaffen würde“, erinnert sich der Techniker. Was sie nicht wussten: Rapp hatte sich gleich zu Beginn seiner Arbeiten in der Versandabteilung Pappe besorgt und daraus eine Schablone gefertigt. Mit dieser probierte er immer wieder neue Anordnungen der Bauteile, ohne viel Zeit zu verlieren. Zu guter Letzt entschied er sich für eine Winkelkonstruktion auf der Beifahrerseite und hinter dem Fahrersitz.
Georg von Opel schaute in diesen Tagen auch zwei, drei Mal vorbei, um sich vom Fortschritt der Arbeiten zu überzeugen – „geredet hat er aber leider immer nur mit meinen Chefs.“ Testfahrten mit dem Elektro GT waren ebenfalls nicht möglich. Als seine Schöpfung schließlich verladen und Richtung Rüsselsheim abtransportiert wurde, hatte Ernst Rapp sich am zumindest am Bremsenprüfstand von dessen Leistungsfähigkeit überzeugen können. Und das erfolgreich, wie sich bald darauf auf dem Hockenheimring zeigen sollte.
Ein Wunsch bleibt offen
Von den Weltrekorden, die Georg von Opel anschließend mit dem Elektro GT aufstellte, erfuhr Ernst Rapp aus der Sportpresse. 1972 wechselte der Tüftler zum Pressen-Hersteller Dieffenbacher, für den er in den folgenden Jahren immer wieder mal mit Opel zu tun hatte. Vor sechs Jahren trat er seinen Ruhestand an. Sein Modellbau-Hobby pflegt er seither mit seinem Enkel. Und einmal pro Woche erteilt er Fünft-und Sechstklässlern der Gemminger Gemeinschaftschule Werkunterricht – „das hält jung.“
Von dem Elektro GT hatte er nie mehr etwas gehört. Bis Jens Cooper sich eines Tages bei ihm meldete. Beim gemeinsamen Besuch auf der IAA konnte er allerdings nicht das Innere seiner Schöpfung in Augenschein nehmen. Der Prototyp präsentierte sich auf dem Opel-Stand in extremer Schräglage, aufgehängt über seinem geistigen Nachfahren, dem Corsa-e Rally.
Dafür hatte Ernst Rapp in der Rüsselsheimer Classic Werkstatt Gelegenheit, einmal unter die Heckklappe zu schauen. Dabei entdeckte er zu seiner großen Freude einige Aufkleber, die noch seine Handschrift trugen. Und überhaupt mache es ihn sehr glücklich, dass Jens Cooper dieses Unikat so hingebungsvoll hegt und pflegt, so Rapp.
Ein Wunsch, der beiden natürlich sofort in den Sinn kam, wird sich allerdings wohl nicht erfüllen lassen: den Elektro GT nochmal fahrbar zu machen. „Die Elektrik von damals kannst du heute nicht mehr verwenden“, schütteln beide Spezialisten nach kurzer Überlegung den Kopf. Und den Oldtimer mit neuer Technik auszustatten, ist einfach zu aufwendig.
September 2019