Wann der normale Trubel wieder im Adam Opel Haus am Stammsitz in Rüsselsheim einkehrt, weiß noch niemand. Doch wenn es irgendwann so weit ist, wird eines auf jeden Fall nicht mehr so sein wie früher: Michele Russo sitzt nicht mehr an seinem angestammten Platz am Empfang. Der 59-Jährige hat sich im Dezember in den Ruhestand verabschiedet. „Leider muss ich ohne eine ‚Festa‘ von meinen Kollegen Abschied nehmen – das fällt mir nach 42 Jahren schon ein wenig schwer“, sagt der gebürtige Italiener, der die letzten zehn Jahre am Empfang des Adam Opel Hauses nicht nur das Gesicht des Hauses, sondern auch die Stimme war, die die Gäste begrüßt hat. Der einzig wahre „Mister Adam Opel Haus“ eben.
Für die Opel Post erinnert sich Michele Russo noch einmal daran, wie …
… er nach Deutschland kam
„Ich bin in Potenza aufgewachsen, einer Stadt in Süditalien, zwischen Neapel und Bari gelegen. Das Foto zeigt mich wie ich mit 17 Jahren meinen Cousin in Deutschland besucht habe. Eigentlich wollte ich nur ein paar Wochen bleiben. Aber es gefiel mir hier. Ich hab‘ angefangen, als Kellner zu arbeiten, in einem gehobenen spanischen Restaurant, in dem ich dann auch diese Sprache lernte. Und dann habe ich – wie könnte es anders sein – in Deutschland auch jemanden kennengelernt. So wurden aus ein paar Wochen 42 Jahre.
Und mit diesem „jemand“, den ich damals kennengelernt habe, bin ich inzwischen übrigens 37 Jahre lang verheiratet. Meine Frau Rosa stammt gebürtig auch aus Italien, aus Apulien. Wir haben zwei Kinder, die wir zweisprachig erzogen haben. Mein jüngerer Sohn spricht heute sogar fünf Sprachen fließend. Meine Enkel Emilia und Mara sind inzwischen vier und anderthalb Jahre alt.“
… er seinen ersten Tag bei Opel erlebte
„Ich weiß es noch wie heute: Es war der 5. Juni 1979. Onkel, Tante und Cousin von mir arbeiteten bereits bei Opel und hatten immer zu mir gesagt: ‚Komm, du auch! Opel ist gut.‘ Also habe ich mich beworben – und wurde genommen. Auch weil Opel meine Ausbildung zum Kfz-Mechaniker, die ich in Italien abgeschlossen hatte, anerkannte. Ich habe dann in der Fertig- und Endmontage angefangen, damals im K40. Seinerzeit war gerade ein Modellwechsel angesagt. Der Kapitän war ausgelaufen, und wir sollten von nun an den Monza produzieren. An meinem ersten Arbeitstag habe ich mich gleich verlaufen, weil ich den Waschraum nicht gefunden habe. Das war der reinste Horror.“
…er zur Werksicherheit wechselte
„Als wir im Jahr 2000 ins neue Opel-Stammwerk umgezogen sind und damit auch neue Produktionsprozesse Einzug hielten, gab’s meine alte Stelle in der Cockpit-Kontrolle nicht mehr. Also suchte ich mir etwas Neues. Am 27. Dezember stellte ich mich bei der Werksicherheit vor. Und am 4. Januar hatte ich bereits meinen ersten Arbeitstag. Ich war am Portal 45 und an anderen Toren präsent. Noch im gleichen Jahr schloss Opel ein Joint Venture mit Fiat, worauf ich fest an den Empfang im Opel Live-Auditorium wechselte, der ja auch der Besucherempfang des ITEZ war. Schließlich sollten uns von nun an viele Ingenieure aus Italien besuchen. Und die haben sich natürlich gefreut, wenn sie von einem Landsmann in ihrer Muttersprache begrüßt wurden.“
… das Adam Opel Haus seine berufliche „Endausbaustufe“ wurde
„Vor über zehn Jahren wechselte ich ins Foyer des Adam Opel Hauses. Meine Vielsprachigkeit war da auch weiterhin gefragt. Nach dem Ende des Opel-Fiat-Joint Ventures kamen zwar nicht mehr so viele Italiener, aber viele Südamerikaner aus Spanisch sprechenden Ländern, und auch die konnte ich in ihrer Muttersprache begrüßen – dank meiner Zeit als Kellner. Französisch hatte ich nur zwei Jahre in der Schule, das kann ich nicht ganz so gut, aber um die französischen Kollegen von PSA willkommen zu heißen, genügt es allemal. Deutsch habe ich übrigens nie an einer Schule gelernt, das habe ich mir selbst beigebracht.“
… er prominente Besucher begrüßte
„Ich habe schon viele bekannte Persönlichkeiten bei Opel ein und aus gehen sehen. Bundeskanzlerin Angela Merkel beispielsweise. Ministerpräsident Volker Bouffier und Hans-Joachim Watzke, der Geschäftsführer von Borussia Dortmund, haben sogar ein bisschen mit mir geplaudert. Und besonders gerne denke ich an den Besuch der Meistermannschaft des AC Milan in unserem Werk zurück – damals habe ich auch selbst noch im K40 gearbeitet. Es war schön, sich mit den Spielern auf Italienisch zu unterhalten.“
… er seine Liebe zum Fußball auslebt
„Wenn ich sage, dass ich aus der Nähe von Napoli komme, werde ich natürlich sofort auf die SSC Neapel und Diego Maradona angesprochen. Tatsächlich aber bin ich schon immer ein Fan von Juventus Turin gewesen. Hier in Deutschland drücke ich den Lilien die Daumen, dem SV Darmstadt 98. In Weiterstadt, wo ich zu Hause bin, habe ich früher auch selbst aktiv gespielt. Später war ich sieben Jahre lang Sportlicher Leiter beim AC Italia Weiterstadt. Den Verein gibt es heute leider nicht mehr.“
… er seine Altersteilzeit geplant hat
„Eigentlich noch gar nicht. Die ersten drei, vier Wochen werde ich wohl einfach nur genießen, nicht früh morgens raus und am Auto Eis kratzen zu müssen. Danach muss man sehen. Zu Mama, die nach wie vor in Potenza lebt, kann ich ja derzeit leider nicht, wegen Corona. Es wird aber auch immer etwas am Haus zu tun geben. Außerdem bin ich nie einer gewesen, der ‚Nein‘ sagt, wenn ihn ein Nachbar um Hilfe bittet. Vor allem, wenn er Probleme mit seinem Auto hat. Schließlich bin ich gelernter Kfz-Mechaniker.“
… er seinen Abschied erlebt
„Natürlich bin ich unendlich traurig, dass es keine kleine ‚Festa‘ zu meinem Abschied geben kann. 42 Jahre bleiben eben nicht so einfach in den Kleidern hängen. Umso mehr hat es mich gefreut, dass unser Opel-Chef Michael Lohscheller und unser Arbeitsdirektor Ralph Wangemann mich persönlich verabschiedet haben – einfach toll! Andererseits sage ich mir: Es hat vielleicht auch sein Gutes, dass das Adam Opel Haus zurzeit so still und unbelebt ist, so mag ich es nämlich gar nicht. Da fällt es mir ein ganz klein wenig leichter zu gehen, als es in normalen Zeiten der Fall gewesen wäre. Und sage stattdessen an dieser Stelle:
Grazie a voi Tutti – Danke Euch allen!“
Lieber Herr Russo, auch wir – das Opel Post-Team – sagen Danke und Arrivederci. Wir werden Ihr freundliches Lächeln und Ihre netten Worte immer in bester Erinnerung behalten.
Dezember 2020