Zunächst begann ja alles wie geplant: Pünktlicher Start am Samstagnachmittag, fünfeinhalb Stunden Fahrt, allerdings bei strömenden Regen – den braucht Anfang Juni wirklich niemand. Und das Team musste feststellen, für diese Witterung nicht die besten Reifen gewählt zu haben. So gingen Runde für Runde wertvolle Sekunden verloren. Aber egal, es war ja noch jede Menge Zeit, um aufzuholen. Doch dann zog Nebel auf. Der wurde dichter und dichter, bis Weiterfahren unmöglich war.
Um 21.30 Uhr hisst die Rennleitung die rote Flagge, das Rennen wird unterbrochen. Jetzt heißt es warten, die ganze Nacht lang. Mehrmals wird ein Termin für den Restart in Aussicht gestellt, dann wieder verworfen. „Das drückt natürlich auf die Stimmung“, erzählt Volker Strycek.
Der ehemalige Opel-Motorsportchef ist Teil des Teams von Olaf Beckmann. Der Hamburger Unternehmer hat auch bei der 49. Auflage des legendären 24-Stunden-Rennens auf dem Nürburgring seinen nicht minder legendären Opel Manta am Start. Der Klassiker ist seit 1994 bei Deutschlands bekanntestem Langstreckenrennen dabei und hat längst Kultstatus erreicht. Die Altersgrenze für eine Teilnahme hat er im Grunde schon vor 17 Jahren überschritten, doch seine Fangemeinde hat für den Rennrochen eine Sonderzulassung durchgesetzt, die bis heute Gültigkeit hat.
Eigentlich war der Manta mal ein Rallye-Fahrzeug. Der versierte Opel-Tuner Kissling Motorsport baute ihn Anfang der 1990er-Jahre im Auftrag von Olaf Beckmann zum Long Distance Runner um. Sein Herz bildet seither ein 1800er-Opel-Vierzylinder, der auf zwei Liter Hubraum aufgebohrt wurde. Den Zylinderkopf mit 16 Ventilen spendete ein Opel Kadett E GSi. Auf 255 Pferdestärken bringt es der Saugmotor.
Die Nordschleife – das natürliche Habitat des Rennrochens
Sein Leergewicht von nur 930 Kilogramm, seine ausgeklügelte Bremsbalance sowie sehr spezielle Features wie eine individuell konstruierte Vorderachse oder Heckflügel von Porsche, Kotflügel von BMW, die wie Haube und Türen aus Kohlefaser gefertigt sind, machen aus dem Rennrochen ein Unikat, das sich in den engen Kurven der Nordschleife stets besonders wohlfühlte. Über 100.000 Kilometer hat der Beckmann-Manta mittlerweile am Ring abgespult.
Mit wieviel Respekt ihm auch im Fahrerlager begegnet wird, erlebte das Team während der 24 Stunden im Jahr 2019. Nach einem Crash war das Rennen für ihn gelaufen, doch die Mannschaft wollte den Fans des Klassikers zeigen, dass sie sich um ihren Liebling nicht zu sorgen brauchten. Die Crew richtete ihn in Windeseile wieder soweit her, dass er wenigstens noch eine letzte Runde zu fahren vermochte. Und als er ins Ziel rollte, erhoben sich nicht nur die Tribünenbesucher von ihren Sitzen, auch die Teams in den Boxengassen standen Spalier und applaudierten. „Das sind Momente, die bewegen genauso wie ein Sieg“, erinnert sich Volker Strycek. Dass der Manta die Menschen noch immer berührt, zeigten auch zuletzt die euphorischen Reaktionen auf den elektrifizierten Manta GSe ElektroMOD. Wo immer der Kult-Klassiker auftaucht, weckt er Emotionen.
Ohne Fuchsschwanz
keine Manta-Mania
2020 hatte das Beckmann-Team absagen müssen. „Wir konnten einige Ersatzteile, die wir dringend benötigten, nicht mehr rechtzeitig heranschaffen“, erzählt der ehemalige Opel-Motorsportchef. Umso stärker fieberte die Fangemeinde dem Comeback 2021 entgegen. „Bei mir schlugen schon Wochen vor dem Start Mails und Textnachrichten mit Glückwünschen ein, auch von Leuten, die ich gar nicht kenne. Keine Ahnung, wo die die Kontaktdaten herhaben.“
Und das, obwohl Corona auch 2021 kaum Publikum am Ring erlaubte und die Fans nur dem Live-Stream im Internet oder der Übertragung bei „rtl Nitro“ folgen durften. Lediglich 10.000 Tribünentickets kamen in den Handel. In normalen Zeiten campen bis zu 200.000 Besucher an der Nordschleife. Viele von ihnen reisen schon eine Woche vor dem Start an.
Die Manta-Freunde schauen dann auch immer mal im Fahrerlager vorbei. „Viele bringen ihre eigenen Fuchsschwänze mit und bitten uns, ihn während des Rennes an unsere Antenne zu heften“, schmunzelt der Ring-Veteran. Einer Bitte, der leider nicht entsprochen werden kann. Denn an der Antenne dieses Manta hat schon seit Jahr und Tag ein eigener Fuchsschwanz seinen Platz, er ist ein wesentlicher Bestandteil des Kults. Strycek: „Kein Sportfotograf, der was auf sich hält, würde ein Bild von unserem Wagen schießen, bevor die Antenne mit dem Fuchsschwanz aufgeschraubt ist.“
Wer nicht topfit ist, hat in
diesem Manta keine Chance
Wer denkt, der Beckmann-Manta sei zwischen all den hochmodernen 600 PS-Boliden der GT3-Klasse heute nur noch als Maskottchen am Ring unterwegs, als kauziges Kuriosum, der irrt gewaltig. „Wir treiben hier Leistungssport, wie alle anderen“, stellt Volker Strycek klar. „Was für Kräfte in diesem Wagen auf den Fahrer einwirken, kann sich ein einfacher Beobachter nicht vorstellen. Wir fahren puristisch, ohne Servolenkung. Wer da nicht topfit ist, dem lässt dieser Manta keine Chance – nicht über eine solche Distanz.“
Ob sie die Rentner-Gang sind?
„Keine Ahnung“
Und: „Wir treten an, um zu gewinnen“. Natürlich nicht im Hauptfeld, sondern in der speziellen Klasse „SP3“ für Fahrzeuge mit Saugmotor und bis zu zwei Liter Hubraum. Da gilt es, sich vor allem gegen zwei moderne Toyota Corolla Altis eines Teams aus Thailand zu behaupten. „Im Training haben wir die glatt gebügelt“, erzählt Strycek. Die Toyota-Fahrer waren so beeindruckt, dass diese nach den Trainingsrunden in der Beckmann-Box vorbeischauten und sich vor dem betagten Rennrochen verbeugten. Asiatisches Ehrgefühl hat auch im Motorsport Gültigkeit.
Kein Wunder also, dass das Warten auf den Restart an den Nerven des Beckmann-Teams genauso zehrt, wie an denen aller anderen Teilnehmer. Immer mit der Sorge im Hinterkopf, dass vielleicht ganz abgebrochen wird. Da nutzt auch all die Erfahrung nicht, so etwas hat noch keiner von ihnen erlebt. Für Volker Strycek ist es der 43. Start am Nürburgring. Zusammen mit seinen Teamkollegen hat der 63-Jährige über 100 Siege im Rennsport eingefahren.
Teamchef Beckmann ist 74 Jahre alt, Peter Hass hat am Rennsamstag seinen 65. Geburtstag gefeiert, Jürgen Schulten ist Mitte fünfzig. Ob die vier auch das älteste Team im Feld stellen, die Rentner-Gang sozusagen? „Kann sein, hab ich noch nie nachgefragt“, zuckt Strycek nur kurz mit den Schultern. Der Rennveranstalter hat das getan und kam zu dem Schluss – mit 63,5 Jahren im Durchschnitt bilden die vier Fahrer des Kult-Manta in der Tat den 24h-Ältestenrat.
Am späten Vormittag dann die Entwarnung: Um 12 Uhr geht’s weiter, danach soll allerdings nur noch dreieinhalb Stunden gefahren werden. Die 49. Auflage des 24-Stunden-Rennens auf dem Nürburgring wird die kürzeste der Geschichte. Das Beckmann-Team ist sofort wieder Feuer und Flamme: „Wir können es noch schaffen, trotz des Zeitverlusts am Vortag.“ Die thailändischen Toyota-Kollegen können sich auf was gefasst machen.
Nach dem Restart läuft’s –
bis ein Engel erscheint
Nach dem Restart läuft es auch erst mal gut. Die Rundenzeiten werden besser, der Abstand auf die Führenden der „SP3“-Klasse kürzer. Nach anderthalb Stunden aber geschieht es. Mercedes-Pilot Maro Engel, der mit seinem AMG GT3 noch Chancen auf den Gesamtsieg hat, touchiert den Manta, der gerade von Jürgen Schulten gesteuert wird. Beide Wagen brechen nach links aus, rutschen in die Leitplanke. Für sie ist das Rennen vorbei. „Ich habe die Situation falsch eingeschätzt“, erzählt Maro Engel später. „Ich dachte, er sieht mich. Ein klassisches Missverständnis auf der Nordschleife.“
Die Enttäuschung im Beckmann-Team ist groß. Optisch ist dem Manta fast nichts anzusehen. Eigentlich muss nur die linke Radaufhängung wieder in Ordnung gebracht werden. Den Wagen auf die Schnelle für eine letzte Runde wieder herzurichten, wäre leichter, als es 2019 war – doch diesmal verzichtet die Crew. „Wir wollten das nicht zwei Mal hintereinander machen, das hätte zu sehr nach Effekthascherei ausgesehen.“
Auf ein Wiedersehen 2022 –
noch mit Fragezeichen
Der Opel-Veteran hat sich mittlerweile wieder ein wenig gefangen. „Was soll’s – unser Auto war gut, war schnell, hat gute Rundenzeiten gefahren, gezeigt, dass es in seiner Klasse immer noch ‚State of the Art‘ ist“, bilanziert Strycek. Eine Garantie, dass der Manta auch 2022 wieder am Ring an den Start geht, möchte Volker Strycek aber nicht geben. „Da müssen wir jetzt abwarten, wie Olaf Beckmann sich entscheidet“.
Der Teamchef, der die Manta-Auftritte seit jeher aus eigener Tasche finanziert, hadere zunehmend mit den Rahmenbedingungen. Nicht nur, dass die Werksautos immer stärker werden, auch die sich ändernden Reglements machen es für Fahrzeuge wie seinen Manta immer schwerer. Diesmal etwa mussten 70 Kilo zugeladen werden, damit der Wagen die Zulassung in der Klasse „SP3“ erhält – ganz schön viel für ein Auto, dessen Vorteile in den Kurven gerade auch auf seiner 930 Kilo-Leichtigkeit beruhen.
Die Fans, die im nächsten Jahr voraussichtlich wieder dabei sind, werden auf das Kult-Auto mit dem Fuchsschwanz aber kaum verzichten wollen. Dessen ist sich auch Volker Strycek bewusst: „Die Leute kommen wegen ihm: Sie lieben ihren Manta.“
Juni 2021