Das Bild ist fest mit der Erinnerung an die frühste Kindheit verknüpft: der Opel Olympia Rekord PI, der in der Sonne glänzend im Hof steht. In zwei Farben lackiert – blau und weiß. Auch die Worte des Vaters, dass die gebogene Windschutzscheibe Panorama-Scheibe genannt wird, hat sich tief im Gedächtnis verankert. Heute in Koblenz, in einem rechtsrheinischen Stadtteil, also der „schäl‘ Seit‘“, drängt diese frühkindliche Erinnerung an die Oberfläche – ausgelöst durch das „Panorama-Treffen“ schlechthin.
32 Opel Rekord P I und P II sowie Kapitän P 2.5 und P 2.6, die alle mit eben jener Panorama-Scheibe aufwarten können, sind bei der 22. Auflage des Treffens versammelt. Nach einer gemeinschaftlichen, traumhaften Ausfahrt an Mosel und Rhein sind Besitzer und Fahrzeuge gerade auf die Campingwiese zurückgekehrt.
Es ist an der Zeit, „Benzin zu sprechen“. Zeit, mit Harry zu sprechen. Denn wegen ihm sind alle hier, er hat wie jedes Jahr zu dem Treffen eingeladen. Eigentlich Harald Hartmann, aber bei seinem richtigen Vornamen nennen ihn nur ein paar Verwandte. „Mein Vater hat nur Opel gefahren, in meiner Kindheit eine alabastergraue P II Limousine, zweitürig und mit großem Stoffschiebedach,“ erklärt er über den Tisch gebeugt. Mit schelmischem Blick ergänzt er: „Bis auf ein einziges Mal. Da hat mein Vater eine andere Marke gekauft, dies aber schnell bereut.“ Harrys erstes eigenes Auto, das war ein P II Coupé: „Das habe ich mir 1988 aus erster Hand gekauft, weiß mit rubinrotem Dach.“ Seine Augen leuchten. Das Exemplar – er besitzt es heute noch.
Lohnenswertes Extra: die Lichthupe für
19 D-Mark.
Das Rekord P2 Coupé war eine Abkehr vom opulenten, amerikanischen Design. „Form Follows Function“ lautete die neue in Europa populäre Designphilosophie. Die dazu gehörende klare Linienführung des P II führte dazu, dass er gegenüber dem P I eine deutlich bessere Rundumsicht hatte. Auch der Kofferraum war besser nutzbar. Ein Pluspunkt, der lange Zeit ganz oben auf der Wunschliste der Opel-Käufer stand. Aber auch die Sicherheit in Form einer verbesserten Straßenlage, zeichnete den P II aus und machten ihn zum schnellen Tourer auf der linken Spur der Autobahn. Da war es durchaus ratsam, die 19 D-Mark für die Lichthupe als Extra investiert zu haben.
Fotogalerie Nach der Tour ist vor der Tour: Im „Fahrerlager“ angekommen wird bei offener Motorhaube „Benzin gesprochen“. Und weil vor 50 Jahren das Wort „Tieferlegung“ noch nicht im Duden stand, kann man auch ohne Wagenheber mal schnell unters Auto kriechen und dort nach dem Rechten schauen. Wer hätte gedacht, dass ein Handwerkerauto zum Liebling von Familien werden sollte. Noch heute sagt man zu einem Kombi Caravan und jeder weiß, was gemeint ist.
Doch es waren nicht nur diese Pluspunkte, die Harry Hartmanns Passion ausgelöst haben. Und die ihn spätestens seit seinem ersten eigenen Auto aus Rüsselsheim nicht mehr loslässt. Es ist eine tiefe Verbundenheit mit der Marke Opel, die er an Tagen wie heute, gerne mit anderen teilt.
Die „Anderen“, das sind Opel-Fans, die mit ihren 32 P-Rekorden und P-Kapitänen angereist sind und wie jedes Jahr die Opel-Oldtimer ihrer Bestimmung gemäß, das ganze Wochenende bewegt haben. Denn wo könnte man das besser, als entlang der Mosel und des Rheins. Einem Fleckchen Erde, das für die steilen Hanglagen, die dort wachsenden Reben und exzellenten Wein bekannt ist.
Klassiker und Kehren: eine Kombi zum Entspannen.
Den Alltagsstress zurücklassen
Klar, man kann Yoga machen. Oder achtsame Atemübungen. Man kann sich nach einer stressigen Woche aber auch hinter das Lenkrad setzen und Kehre für Kehre dem Flusslauf der Mosel folgen, die Seele baumeln lassen, den Ausblick genießen. Nach wenigen Kilometern ist der Stress wie weggeblasen. In einem Opel-Klassiker mit Panoramascheibe lässt sich diese Entspannungsübung natürlich besonders stilvoll bewerkstelligen.
Beste Aussichten: Die Panoramascheiben sind um bis zu 90° gekrümmt.
Aber zurück zu den Panorama-Enthusiasten auf der Campingwiese. Mittlerweile wurde der Schwenkgrill angeworfen, der Tag nimmt Kurs auf den gemütlichen Teil. Einige Opel-Liebhaber haben sich auf Original Stühlen der 70er-Jahre niedergelassen. Jene Art von Klappstühlen, bei dessen Anblick man sich sofort an die im Mechanismus eingeklemmten Finger samt Schmerzen erinnert. Ein aktiverer Teil der Gruppe beschäftigt sich mit den geparkten Klassikern. Da werden Motorhauben geöffnet und Tipps ausgetauscht. Da werden Geschichten erzählt und Fragen gestellt. Da wird spekuliert, wie es sein kann, dass Harry einen 50 Jahre alten P II CarAvan mit praktisch neuwertiger, originaler Ladefläche ergattern konnte. Schließlich stellt sich heraus, dass die Erstbesitzerin damit 40 Jahre lang nur Wolle transportiert hat.
Entspannte Fortbewegung
Ingo Buchmüller aus dem Stuttgarter „Speckgürtel“ gesellt sich zu einer Gruppe, unterm Arm ein Bündel. „Das ist ein Opel-Kalender, den mache ich selbst“, erklärt er. Diese Aussage ist durchaus wörtlich zu nehmen. Er zeichnet jedes einzelne Motiv von Hand mit viel Liebe zum Detail. Zur Freude aller Opel-Fans. Auf Treffen wie diesem verkauft er sie zum Selbstkostenpreis.
Er wird langsam dunkel, neben Würstchenduft wehen Gesprächsfetzen mit dem schier unerschöpflichen Opel-Fachwissen von Harry durch die Abendluft. Und alle wissen: Nächstes Jahr bei der 23. Auflage des Opel-Panoramatreffens – da sind alle wieder versammelt. Zur entspannten Fortbewegung an Mosel und Rhein.
Oktober 2021