Group picture: The trullo in the vineyard is one of the dome-shaped shelters in the region from the 18th century that are unique in Germany.

Die Kunst des Weglassens

Ein Opel Speedster braucht nur das Nötigste: Liebe. So stand es damals im offiziellen Verkaufsprospekt. 7.207 Stück wurden gebaut. Wie viele davon es in die Gegenwart geschafft haben? Darüber kann nur spekuliert werden. Viele wurden schlicht und einfach „verunfallt“. Einer davon schon bei der Pressevorstellung vor 20 Jahren. Er ist eben nicht einfach in der Handhabung – insbesondere bei Regen muss man den Mittelmotor-Sportwagen mit Bedacht bewegen. Außer ABS sind keinerlei Assistenzsysteme an Bord. Stattdessen: Go-Kart-Feeling, das seines gleichen sucht. Puristisches Fahren.

Rein kommen sie alle – irgendwie


Vor Fahrtantritt verlangt der 1,11 Meter flache Opel-Minimalist maximale Gelenkigkeit und Geschick. Um in den auf Kniehöhe gelegenen Steuerraum zu gelangen, muss ein mächtiger Seitenschweller überwunden werden. Wer das Einsteigen schon knifflig findet, der erlebt beim Aussteigen sein blaues Wunder. Insider-Tipp: In einem unbeobachteten Augenblick üben, dann klappt es auch vor der Eisdiele.

Unterwegs mit Opel-Sportgeräten: Sanfte Hügel und kurvenreiche Landstraßen machen die Gegend zum perfekten Ausflugsziel.

Hat man es hineingeschafft, begeistert der Roadster mit ungewohnten Perspektiven. Auf Bordsteinkanten. Kniescheiben. Pinscher-Terrier. Das zu seiner Zeit kleinste Airbag-Lenkrad der Welt liegt gut in der Hand und lässt keine Zweifel aufkommen: Dieses Sportgerät auf Rädern will Kurven. Aber vor die erste Kehre hat der Herr der Serpentinen die Startprozedur gesetzt. Der Zündschlüssel findet seinen gewohnten Platz rechts der Lenksäule und lässt sich auch wie gewohnt drehen. Aber da endet die Routine. Starten lässt sich der Motor so nicht. Auch wenn die sportlich, schlicht gehaltene Instrumententafel verrät, dass die Zündung an ist.

Die Tankanzeige besteht aus 6 Balken. Jeder steht für genau 6 Liter.

Schlicht ist auch die Tankanzeige. Sie besteht aus gerade mal 6 Balken. Jeder steht für genau 6 Liter. Nach 36 Litern ist Schluss. Mehr gibt der Tank nicht her. Das ist dem konsequenten Leichtbau geschuldet. Der Rahmen etwa besteht aus einer Aluminiumwanne mit einigen Streben. Zwischen 870 und 930 Kilogramm bringt der Roadster damit auf die Waage. Je nach Ausstattung und Motorvariante. Bei letzterer hatte man ab 2003 die Wahl zwischen dem 2,2 Liter-Sauger mit 147 PS und einem 2,0 Liter-Turbomotor mit 200 munteren Pferdchen. Beide Kraftwerke haben leichtestes Spiel und beschleunigten den Sauger in 5,9 und den Turbo in 4,9 Sekunden auf 100 km/h. Für die mutigsten unter den Fahrern ist bei 243 km/h (Sauger 217 km/h) Schluss.

Aber wie startet man nun den Motor? Ein Druck auf den zentral platzierten Knopf der Armaturentafel zündet das Aggregat. Damit hätten wir dies auch geklärt. Es brummelt aus der Mitte heraus. Und genau diese Position des Motors macht in Sachen Gewichtsverteilung und damit für die Balance des Fahrzeugs den entscheidenden Unterschied.   

Farben satt: Begleitet werden wir von der herbstlichen Kulisse des Nordpfälzer Berglandes.

Unser Tourentipp im Herzen von Rheinhessen: 100 Kilometer gespickt mit Kurven und Serpentinen.  

Wir haben unsere Mitte gefunden

Gebaut wurde der Speedster in Hethel, unweit von Norwich in England, in den heiligen Hallen von Lotus. Hier entstand auch der Lotus Omega, der uns noch als schnellste Serien-Limousine der Welt in Erinnerung ist. Opel-Kenner wissen das natürlich. Die Gene des Speedster liegen im Leichtbau und dem tiefen Schwerpunkt. Eine artgerechte Haltung des Roadsters ist auf kurvigen Landstraßen und Serpentinen gegeben.

Wir haben uns für eine Strecke im Herzen von Rheinhessen entschieden. Ausgangspunkt ist Flonheim. Kurven hat es hier ausreichend. Sanfte Hügel und wunderschöne Ausblicke gibt’s obendrein. Keine 15 Minuten nördlich vom Werk in Kaiserslautern befindet sich das waldreiche Gebiet, welches sich 1816 das Königreich Bayern einverleibte. Im Jahr 1956 votierte die Bevölkerung in einem Volksbegehren gegen eine Wiedereingliederung in den Freistaat und den Verbleib im Bundesland Rheinland-Pfalz.

Da kommt selbst der Teufel ins Schleudern: Auf der „Teufelsrutsch“ bei Wendelsheim, einer der kürzesten, dafür schnellsten Bergrennstrecken Deutschlands, hätten die Speedster mit Sicherheit im Renneinsatz eine gute Figur gemacht. Auch Opel-Rallye-Weltmeister Walter Röhrl war hier schon unterwegs. Seit 2001 werden auf der „Teufelsrutsch“ allerdings keine Rennen mehr gefahren.
Zwischenstopp in Eisenberg: Der Name der Gemeinde bezieht sich auf die frühere Eisengewinnung in dieser Region. 

Kirchen mit Zwiebeltürmen in der Region erinnern noch heute an die bayerischen Wurzeln. Einmalig sind die runden Schutzhäuschen in den Weinbergen, Trulli genannt, die es so nur in Rheinhessen gibt. Sie stammen ursprünglich aus Alberobello, einem kleinen Ort in Apulien unweit von Bari. Wie diese ausgerechnet nach Rheinhessen kamen, erfährt man, wenn man eine von neun „Hiwweltouren“ (rheinhessisch für Hügeltouren) erwandert, die vom Deutschen Wanderverband und dem Deutschen Wanderinstitut ins Leben gerufen wurden. Die Touren sind sehr zu empfehlen, wenn man auch mal aus dem Speedster aussteigen mag.  

Christian Krauß im gelben Speedster und Thorsten Stamm mit dem roten Exemplar beschränken sich heute auf das Notwendigste – das Fahren. Beide sind begeisterte Speedster-Besitzer der ersten Stunde und wissen genau, was sie an ihren raren Fahrzeugen haben: einen reinrassigen Sportwagen mit solider Opel-Technik. Die beiden lieben es, sportlich unterwegs zu sein. Und weil der Roadster vor 20 Jahren auf den Markt kam, kann er bereits als klassischer Youngtimer gesehen werden. Die Preise auf dem Markt sind noch moderat, aber mit deutlich steigender Tendenz. Vielleicht ist jetzt der richtige Zeitpunkt, sich ein Exemplar zuzulegen? Die passende Tour für eine entsprechende Ausfahrt hätten wir hiermit jedenfalls schon mal bereit gestellt.

Eine Ausfahrt, die glücklich macht: Christian Krauß (links) und Thorsten Stamm wissen ihr Opel-Sportgerät zu schätzen.

November 2021

Text und Fotos: Stephan R. Arnold