DOKTORANDEN
BEI OPEL
Sie stellen Grundsätzliches infrage, steigern die Innovationskraft des Unternehmens, gestalten die Zukunft der Branche: In einer losen Serie stellen wir Doktoranden bei Opel vor und beleuchten ihr wissenschaftliches Forschungsthema. Aktuell arbeiten 19 Opel-Doktoranden an ihrer Dissertation. Neun von ihnen gehören zur Abteilung Advanced Technology E/E, die von Dr. Nikolas Wagner geleitet wird.
Es ist erstaunlich, was ein Autofahrer mit der Zeit zu leisten lernt, ohne sich dessen bewusst zu sein. Beispiel Überholmanöver auf der Autobahn: Wie lange muss ich auf meiner eigenen Spur beschleunigen, ehe ich nach links einschlage? Und wie stark und wie lange muss ich nach dem Spurwechsel weiter beschleunigen, ohne zu dicht auf meinen Vordermann aufzufahren, aber auch den Fahrer hinter mir nicht in die Bredouille zu bringen? Der Fahrer entscheidet und handelt mit einer Selbstverständlichkeit, ohne dass er ernsthaft darüber nachdenken muss.
Zudem bedeutet Autofahren nicht nur zu agieren – sondern auch permanent zu reagieren. Wie stark muss ich abbremsen, wenn vor mir ein Wagen auf meine Spur wechselt? Das entscheidet ein Fahrer „einfach so“. Wie viel Aufwand es kostet, all diese Abläufe vorauszuberechnen, zu programmieren und Motor, Bremse und Lenkung eines Autos zu den entsprechenden Aktionen zu veranlassen, das wissen die Opel-Doktoranden Jeremias Schucker und David Augustin nur zu gut. In den vergangenen drei Jahren haben sie intensiv daran mitgearbeitet, in einem Insignia das hochautomatisierte Fahren zu implementieren.
Sie gehören zu den sechs Doktoranden, die in der Abteilung Advanced Technology E/E von Dr. Nikolas Wagner das Förderprojekt „Ko-HAF“ mitbetreuen – das Kürzel steht für „kooperatives hochautomatisiertes Fahren“. Jeremias Schucker, der aus Reutlingen stammt, promoviert an der TU Darmstadt. David Augustin ist in Lindlar bei Köln aufgewachsen, hat zunächst in Aachen studiert und promoviert nun ebenfalls an der TU Darmstadt. Beide haben sich auf Ausschreibungen im Internet auf diese Doktoranden-Stellen beworben. Davor hatte noch keiner der beiden eine Beziehung zu Opel. „Das hat sich in den vergangenen 36 Monaten nun nachhaltig geändert“, versichert Jeremias Schucker.
„Ko-HAF“ ist in fünf Arbeitspakete eingeteilt. Schucker und Augustin wirken im „AP 4“ mit, das von Dr. Stefan Berger geleitet wird. Darin geht es um die Funktionsentwicklung im Normal- und Notbetrieb eines automatisierten Fahrzeugs.
Übersetzung in Aktion
Der Schwerpunkt von Augustins Arbeit liegt dabei auf der „Umfelderfassung“. Das heißt, er sorgt dafür, dass die Informationen, die die Sensoren und Kameras im Auto aufnehmen und permanent mit den Kartendaten ihres Navigationssystems abgleichen, zusammengefügt und bewertet werden, sodass das Fahrzeug selbstständig eine „Strategieentscheidung“ treffen kann. Schuckers Part ist es, diese in entsprechende Aktionen von Motor, Bremse und Lenkung zu übersetzen. Das klingt nach endlosen Stunden am Rechner. Ganz so liefen die vergangenen drei Jahre aber doch nicht ab: „Wir haben durchaus auch handwerklich arbeiten dürfen“, berichtet David Augustin.
„Der Fahrer muss in der Lage sein, auf ein Warnsignal des Fahrzeugs hin, die Steuerung innerhalb von zehn Sekunden wieder selbst zu übernehmen.“
– Jeremias Schucker –
Das Projekt „Ko-HAF“
Während die erste Generation des hochautomatisierten Fahrens (HAF) den niedrigen Geschwindigkeitsbereich in einfachen Verkehrssituationen wie dem Autobahnstau adressiert, soll die zweite Generation den höheren Geschwindigkeitsbereich auf gut ausgebauter Verkehrsinfrastruktur beherrschen. Die Abkürzung Ko-HAF steht für kooperatives hochautomatisiertes Fahren. Mit kooperativ ist die Interaktion von hochautomatisierten Fahrzeugen mit einem sogenannten Safety Server gemeint. Bei dem Konsortialprojekt, das in fünf Arbeitspakete unterteilt ist (siehe unten), werden Technologien entwickelt und getestet. Projektpartner sind Automobilhersteller, Zulieferer und wissenschaftliche Institute. Dr. Stefan Berger agiert als Projektleiter für die Opel Automobile GmbH und leitet das Arbeitspaket 4 auf Konsortialebene.
„Ich schaffe die Voraussetzungen dafür, dass das Fahrzeug selbstständig eine strategische Entscheidung treffen kann.“
– David Augustin –
Die Funktionsfähigkeit ihrer Entwicklungen haben die beiden in der Praxis getestet – im Opel Test Center in Dudenhofen. Sie haben ihren Versuchs-Insignia also auch selbst gefahren. Beziehungsweise: Hinterm Steuer gesessen und mitverfolgt, wie der Insignia von allein fährt. Als Sicherheitsfahrer zertifizieren lassen mussten sie sich dennoch. Das ist Vorschrift.
Und so ganz ohne eigene Fahrtätigkeit geht es ja auch (noch) nicht. „Man muss in der Lage sein, auf ein Warnsignal des Fahrzeugs hin, die Steuerung innerhalb von zehn Sekunden wieder selbst zu übernehmen“, erklärt Jeremias Schucker. „So sieht es das hochautomatisierte Fahren vor, das demnächst zur Serienreife entwickelt werden soll.“ Und für den Fall, dass etwas noch gar nicht funktioniert, hält der Versuchs-Insignia einen „Notausknopf“ bereit. Mit diesem können auf einen Schlag sämtliche Versuchssysteme deaktiviert werden.
Reichlich „Feldforschung“ sah die Projektarbeit ebenfalls vor. Beispielsweise haben die Doktoranden auf Autobahnen im Rhein-Main-Gebiet rund 400 Überholmanöver erfasst und ausgewertet, um ihrem Fahrzeug das vorausschauende Fahren beizubringen.
Erfolgreiche Demo
Das Projekt Ko-HAF wurde inzwischen erfolgreich beendet. Auf der Abschlussveranstaltung, zu der Opel die Konsortialpartner ins Test Center nach Dudenhofen lud, fuhr der Versuchs-Insignia selbstständig auf die Teststrecke und führte ein Überholmanöver aus, ohne dass es zu Beanstandungen kam. Nun allerdings sind Jeremias Schucker und David Augustin tatsächlich erst einmal an den PC gefesselt. In den nächsten Wochen widmen sie sich fast ausschließlich ihren Doktorarbeiten. Wie es danach für sie weitergeht, wissen sie noch nicht. Eins ist aber sicher: Teil ihres Lebenslaufs ist Opel nun auf jeden Fall geworden.
Februar 2019