„Nur Fliegen ist schöner…“ – diese vier Worte reichen aus, um Sehnsüchte und pure Emotionen zu wecken. So wie der Slogan als Klassiker in die Werbegeschichte einging, so ist der Beworbene selbst zum Klassiker geworden: Vor 50 Jahren rollte der erste Opel GT vom Band. In einer losen Serie werfen wir im Jubiläumsjahr Schlaglichter auf das Kult-Coupé.
Opel GT-Fahrer sind Freigeister. Ein Formular ausfüllen, um sich irgendwo anzumelden, ist nicht so ihr Ding. Unter diesen Umständen garantieren Familientreffen selbst nach Jahrzehnten noch Überraschungen – und stellen die Organisatoren vor Herausforderungen. „150 haben sich angemeldet“, ist am Einlass zum 26. Opel GT-Europatreffen in Seeheim-Jugenheim schon am Vormittag zu hören. „Die sind auch längst da, aber mindestens noch 50 weitere sind einfach so gekommen. Langsam werden die Stellplätze knapp.“
Die GT-Szene lässt sich eben nur schwer disziplinieren. Kein Wunder, brachte doch das Sportcoupé aus dem Hause Opel vor 50 Jahren nicht weniger als den Rock ’n‘ Roll auf Europas Straßen. Ein echtes Frontmittelmotor-Konzept auf Basis der B-Kadett-Fahrzeugarchitektur? Schon das hatte was von stahlgewordener Rebellion. Und so ist das Coupé mit seinem zeitlos schönen Blechkleid voller kraftstrotzender und dennoch geschwungen-eleganter Linienführung auch 2018 noch für ein wenig Eigensinn gut. Die in Seeheim-Jugenheim versammelten zeitlosen Designikonen werden heute von niemandem geringerem inspiziert als dem Oberhaupt der GT-Familie persönlich.
Mick Jagger der Opel GT-Szene
Mittags erscheint der Designer chauffiert von Jens Cooper, Mitarbeiter von Opel Classic. Gestützt auf einen Stock, mit dem er seinen nunmehr 90 Lebensjahren Tribut zollen muss. Und herzlich begrüßt von allen, die seinen Weg kreuzen. Als GT-Liebhaber Erhard Schnell nicht zu kennen, wäre ungefähr so, wie Rolling Stones-Fan zu sein und nicht zu wissen, wer Mick Jagger ist. Immerhin leitete er 1961 die „Advanced Studios“ in Rüsselsheim, als die Legende aus der Taufe gehoben wurde.
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Im kundigen Familienkreis lassen sich Opel GT-Mysterien bestens ergründen.
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Das „Schuldorf Bergstraße“, das die örtliche GT Interessengemeinschaft fürs Europatreffen ein Wochenende Ende Mai lang in Beschlag nimmt, verfügt über mehrere Höfe, alle sind sie gepflastert mit dem kultigen Sportcoupé. Schnells Augen beginnen zu leuchten, überwältigt von dem tadellosen Bild, das die zwischen 45 und 50 Jahre alten Sportcoupés abgeben. Rollende Steine setzen eben kein Moos an. „Gepflegt, kultiviert – und keiner ist überspoilert“, nickt der Meister anerkennend.
Alterslos gut
„Daran erkennst du, dass dein GT jetzt ein Klassiker geworden ist“, bestätigt Marco Siemkes, der an seiner Seite läuft. „Die Szene akzeptiert den GT nur noch mit original Anbauteilen und in original Lackierungen.“ Marco Siemkes ist mit seinem Bruder André nach Seeheim-Jugenheim gekommen. Die beiden Schrauber gehören der Opel GT 1900 IG Westmünsterland an. Unlängst haben sie einen GT-Reimport für TV-Star Horst Lichter restauriert. Sich mit solchen Typen zu einem „Benzingespräch“ an einen Tisch zu setzen, macht Erhard Schnell sichtlich Spaß. Auch Maurice von Sevecotte gesellt sich zu ihnen, Kopf der niederländischen GT-Bewegung und Co-Autor eines Motorsport-Buchs über den Opel-Klassiker. In diesem kundigen Familienkreis lassen sich GT-Mysterien bestens ergründen.
Beispiel: Wieso sind von 103.463 GT, die zwischen 1968 und 1973 gebaut wurden, rund 50 Prozent in die USA verkauft worden? Erhard Schnell hebt die Schultern. „Sagt Ihr’s mir“, fordert er seine Anhänger auf. „Die Amerikaner waren uns 20 Jahre voraus, was ihre Einstellung zu Autos anging.“, erklärt André Siemkes. „Die legten sich schon damals Zweit- oder Drittwagen zu. In Deutschland war da noch ein Auto pro Haushalt die Regel, bestenfalls, und damit musste die gesamte Familie in den Italien-Urlaub kutschiert werden. Ein GT kam da nicht in Frage.“ Erhard Schnell nickt. „Das ging mir selbst ja nicht anders. Ich war ja zu dieser Zeit selbst junger Familienvater. Privat konnte ich auch keinen GT gebrauchen.“
Alles, außer Schrottplatz
Das Coupé brachte ab Ende der 60er-Jahre der Marke einen derart gewaltigen Imageschub, dass das Unternehmen Anfang der siebziger Jahre zum Marktführer avancierte. „Weil der GT ein Sehnsuchtsauto ist“, weiß Maurice van Sevecotte. „Gekauft haben ihn zwar nicht viele, aber davon geträumt, mal einen zu fahren, hat jeder.“
Warum sich von den insgesamt knapp 100.000 Exemplaren, die in den gerade mal fünf Jahren gebaut wurden, so viele nach 50 Jahren im Top-Zustand durch die Lande bewegen, dafür hat André Siemkes eine einfache, wie einleuchtende Erklärung.
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„Die Szene akzeptiert den GT nur noch mit original Anbauteilen und in original Lackierungen.“
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„Weil in den vergangenen Jahrzehnten kein Schrauber auf dieser Welt einen GT verschrottet hat. Egal, in welchem Zustand er ihn ergattert hatte. Egal, ob und wann er jemals Zeit haben würde, ihn zu restaurieren. Man wirft alles Mögliche weg, aber niemals einen GT.“ Als gehörten alle einem Geheimbund an, der die Wiederauferstehung des GT als Kultobjekt vorbereitete… Die mittlerweile ja auch erfolgt ist.
Anderes Calibra
„Ich gebe zu, ich habe das damals alles gar nicht so verfolgt“, schmunzelt Erhard Schnell ein wenig verlegen. „Nach dem GT hatte ich mich um andere Projekte zu kümmern.“ In der Tat: Schnells Handschrift trugen in darauffolgenden Jahren auch Manta und Ascona, Kadett, Corsa und Vectra. Und bevor er 1991 seinen Ruhestand antrat, gab er noch dem Calibra seine Form. Den halten viele Automobilästheten sogar für sein schönstes Werk, auch wenn er nicht den Kultstatus des Opel GT erreichte – noch nicht. Außerdem gestaltete Schnell Signets, Firmenzeichen und Schriftzüge für seine Marke.
Dass die ersten Entwürfe für den GT damals nur „nebenher“ entstanden, weil sich Schnell und sein Team eigentlich um den Rekord C kümmern mussten, dem „Brot- und Butter-Auto“, dass der damalige Designchef Clare MacKichan das GT-Projekt von 1962 bis 1965 vor seinem eigenen Management geheimhielt, ehe es bei der IAA in Frankfurt so viel Aufsehen erregte, dass die Serienproduktion in Auftrag gegeben und 1968 gestartet wurde – das alles gehört längst zum Grundwissen eines GT-Afficionados und bedarf keiner weiteren Erörterung mehr.
Kreativer Geist
Lieber redet die Runde darüber, auf was sich der begabte Gestalter abseits seines automobilen Alltags verstand. Etwa darüber, wie er, der nach dem Zweiten Weltkrieg an der Offenbacher Werkkunstschule eine Ausbildung zum Grafiker absolviert hatte, schon Anfang der 1950er Street Art kreierte, indem er Graffitis sprayte, etwa Tierkreiszeichen auf Rüsselsheimer Hauswände – „die existieren leider nur noch auf Fotos.“ Ebenfalls Kultstatus erlangt haben Schnells Karikaturen von Vorgesetzten, die zum Teil in Sitzungen und Konferenzen entstanden, in denen Schnells kreativer Geist unterfordert war. Selbst Wochenpläne, auf denen er sich mit Randzeichnungen verewigte, sind noch erhalten. „Geärgert hat sich eigentlich nie jemand, wenn ich ihn karikiert hatte“, erinnert sich Schnell. „Manche dieser Arbeiten werden mittlerweile von den Kindern der Porträtierten in Ehren gehalten.“
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Vor fast 55 Jahren zeichnete Erhard Schnell im „Rüsselsheimer Jägerhof“ erste Skizzen des Opel-Sportwagens auf eine Serviette. Noch bis Ende September zeigt der Designer in den Räumlichkeiten des Restaurants seine besten Bilder.
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Erhard Schnells liebster Opel heute? „Der aktuelle Insignia – und natürlich der GT Concept“.
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Auch wenn er das „Computer Aided Design“ durchaus noch kennenlernte, ist Schnell stets ein Mann des Bleistifts und des Papiers geblieben. Und des Pinsels. Sein Haus in Trebur schmücken Gemälde in Öl, Acryl und Tusche, gemeinsam mit seiner Frau Ilse gehört er dem regionalen Künstlerkreis an. Dennoch: Wirklich losgelassen hat ihn der GT bis heute nicht. „Eingeladen werde ich eigentlich auf jedes Treffen, nur kann ich leider nicht mehr zu jedem kommen.“ Sein liebster Opel heute? „Der aktuelle Insignia – und natürlich der GT Concept“.
Spielarten des Kult-Coupés
Der Plausch im engen GT-Familienkreis des Seeheim-Jugenheimer Treffens setzt sich noch bis in die Nachmittagsstunden fort. Natürlich wird dem Patriarchen immer wieder auch angeboten, doch mal selbst eine Runde Opel GT zu fahren. Doch Schnell winkt dankend ab – heute nicht. Bei einem Treffen vor zwei Jahren hat er den GT Conrero von Maurice van Sevecotte gesteuert, „das hat richtig Spaß gemacht.“ Diese italienische GT-Version ist ihm von allen bekannten Interpretationen übrigens die liebste – „auch wenn die Irmscher- und Steinmetz-Varianten ebenfalls ihre Reize haben.“ Überhaupt hat der Freigeist nicht grundsätzlich etwas dagegen, wenn sich andere an Spielarten seiner Schöpfung versuchen – „nur überspoilert dürfen sie nicht sein.“
Stand Juli 2018